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Champions League: Angriff der Angreifer

Die beiden Starstürmer Drogba und Torres könnten das englische Halbfinale Chelsea – Liverpool entscheiden.

Sollte es am Mittwochabend im Rückspiel des Champions-League-Halbfinales zwischen Chelsea und Liverpool wie im Vorjahr zum Elfmeterschießen kommen, könnte es sich lohnen, einen genauen Blick auf Fernando Torres zu werfen. Der spanische Stürmer der Liverpooler wird vor der Ausführung vielleicht einen kleinen Gegenstand aus dem Stutzen ziehen. Einen Spickzettel, der die Lieblingsecke von Chelseas Torwart Petr Cech verrät? Nein, es dürfte eher ein Metermaß sein. „Rafael Benitez ist besessen von den Details“, hat der 24-Jährige mit den vielen Sommersprossen im Gesicht über seinen Landsmann und Trainer erzählt, „wenn er sagt, du sollst fünf Fuß vom Elfmeterpunkt entfernt sein, weißt du, dass es besser ist, nicht sechs Fuß entfernt zu stehen. Er kann dir beweisen, dass diese kleine Distanz den Unterschied zwischen Tor und Fehlschuss ausmachen kann.“

Fußball ist keine Mathematik, da hat Karl-Heinz Rummenigge wohl Recht. Kein Algorithmus der Welt hätte John Arne Riises kurioses Eigentor zum 1:1 in der Nachspielzeit des Hinspiels in Liverpool im Voraus berechnen können. Aber Mathematik kann Fußball sein. An dem gewaltigen Einfluss der Zahlen auf das Spiel gibt es für Benitez, den größten Technokraten im europäischen Fußball, nicht den geringsten Zweifel. Kollege Arsène Wenger vom FC Arsenal kann seinen Schützlingen mittlerweile anhand der Computerdaten zeigen, dass sie den Ball in der Vorsaison ein paar Sekundenbruchteile schneller abspielten. Und Benitez wertet nicht nur wie in vielen Klubs bereits üblich die persönlichen Leistungsdaten der Spieler aus, sondern auch die Flugbahnen des Balles. Sein Ziel ist es, den Fußball im wahrsten Sinne des Wortes zu digitalisieren, das heißt: Er will ihn in ein binäres System von tausend winzigen Leerstellen verwandeln, für die es entweder eine richtige (in der Computersprache eine 1) oder falsche Lösung (0) gibt. „20 bis 30 Mal lässt er dich lange nach dem Training die kleinsten Bewegungsabläufe wiederholen“, sagt Torres begeistert.

Der im Sommer für 30 Millionen Euro von Atletico Madrid verpflichtete Torjäger, den sie in Spanien hartnäckig „El Niño“ (der Junge) rufen, und der Trainer, der sein Team zum dritten Mal in vier Jahren ins Champions League-Finale führen könnte – sie haben sich gefunden. Torres konnte im chaotisch geführten Klub Atletico sein ungeheueres Potenzial jahrelang nur andeuten, Benitez’ komplexe Programme schienen die relativ dürftige Hardware des roten Rechners in der Vergangenheit meist zu überfordern. Mit Torres hat der Fußballlehrer nun einen neuen, turboschnellen Prozessor zur Verfügung, die alle Befehle versteht und schleunigst umsetzt. „Liverpool ist eine viel stärkere Mannschaft in diesem Jahr“, sagt Chelseas Frank Lampard, „weil Torres ein absolut fantastischer Weltklassestürmer ist. So einen haben sie lange gesucht.“ 30 Tore hat er in dieser Saison bisher geschossen, fünf davon in der Champions League, und jüngst wurde er hinter Manchester Uniteds Cristiano Ronaldo zum zweitbesten Fußballer der besten Liga der Welt gewählt.

Hätte Cech im Hinspiel nicht zwei Mal eindrucksvoll gegen Torres pariert, wäre Liverpool schon so gut wie in Moskau. Nun müssen die Liverpooler in Benitez’ neunten Besuch an der Stamford Bridge erstmals ein Tor schießen, um ins Finale zu kommen. Chelsea wird zu Hause auch nicht mauern. Unter dem passiven Trainer Avram Grant macht auf dem Platz ja jeder, was er will; Michael Ballacks Mannschaft ist taktisch gar nicht in der Lage, ein 0:0 zu verwalten. Das in den vergangenen Jahren ganz vom kleinlichen Kampf um die geringste Fehlerquote geprägte Duell sollte zur Abwechslung mal ein Stürmerspiel werden.

Torres’ Gegenüber beim FC Chelsea, Didier Drogba, ist immer noch einer der am schwersten zu kontrollierenden Stürmer der Welt – wenn er sich nicht gerade mit dem deutschen Nationalmannschaftskapitän um die Ausführung eines Freistoßes rangelt oder energische Wechselabsichten bekundet. Das weiß auch Benitez. Der Coach hat unter der Woche prophylaktisch vor der Cleverness des Ivorers im gegnerischen Strafraum gewarnt, allerdings mit sehr bösen Worten. „Er ist ein riesiger Kerl, aber geht sehr leicht zu Boden. Das ist sehr beeindruckend“, sagte der 48-Jährige sarkastisch. „Ich habe viele solcher Szenen von ihm auf Video. Man kann sehr wenig dagegen machen, deswegen ist es wichtig, dass der Schiedsrichter gut ist.“ Den Versuch ist es aus seiner Sicht wert, aber ein guter Schiedsrichter wird sich von dieser Propaganda wenig beeinflussen lassen. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass der Boss der Roten den minütlich zwischen seltsamer Apathie und erbarmungsloser Entschlossenheit schwankenden Ivorer zu jener Spitzenleistung provoziert, auf die man im Westen Londons schon seit ein paar Monaten wartet.

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