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Marode Substanz. Um den Anti-Doping-Kampf in Deutschland (hier die Kontrollbox für Pferde in Hoppegarten) ist es nicht zum Besten bestellt.

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Anti-Doping-Gesetz: Mächtige Mauern im Sport

Seit einem Jahr gibt es das Anti-Doping-Gesetz. Angewandt wird es aber nicht – weil der Sport sich abschottet, statt zu kooperieren.

Aus dem Sport kommt immer wieder mal der Hinweis, dass er nichts mit der Politik zu tun habe. Und weil das vor allem aus Sicht der Politik großer Unfug ist, blickt die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag (SPD) vor wenigen Tagen bei einem Anti-Doping-Symposium in Berlin streng in Richtung Lars Holger Niese, einem Vertreter des Sports, und sagt: „Der Sport allein ist überfordert.“

Es geht bei dieser Veranstaltung um das Anti-Doping-Gesetz, das vor ziemlich genau einem Jahr, am 10. Dezember 2015, erlassen wurde. Die Politik war damals zu der außerhalb der Sportwelt kaum bezweifelten Meinung gekommen, dass der Spitzensport ein höchst lukratives Feld sei und deswegen der Betrug darin auch strafrechtlich verfolgt werden müsse. Leistungssportler, die sich selbst dopen, können seit Inkrafttreten des Gesetzes theoretisch für bis zu drei Jahre ins Gefängnis wandern. Bis dahin hatte sich in Deutschland in der Regel die Sportgerichtsbarkeit um die Sünder gekümmert, sie also bei Doping-Verstößen mit Sperren belegt.

Lars Holger Niese ist Justiziar beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Der Mann vermittelt auf dem Symposium in Berlin den Eindruck, als hätte die Politik mit der Initiierung des Anti-Doping-Gesetzes eine grobe Grenzüberschreitung begangen. „Die Integrität ist das höchste Schutzgut des Sports, und das wurde nun ins Strafrecht transplantiert“, bemängelt Niese.

Noch kein einziges Strafverfahren ist eingeleitet worden

Der Sport kümmert sich um seine Dinge immer noch gerne selbst, und dass Niese diese Haltung so selbstbewusst ausgibt, liegt auch daran, dass die Bilanz von einem Jahr Anti-Doping-Gesetz einigermaßen desaströs ausfällt: Es ist noch kein einziges strafrechtliches Verfahren auf der Grundlage des Anti-Doping-Gesetzes eingeleitet worden. „Wir stehen leider noch mit leeren Händen da“, sagt Christoph Frank.

Frank ist Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Doping in Freiburg und zählt offenbar zu jener Sorte Mensch, die sich auch dann an die Fakten hält, wenn es zu ihrem eigenen Nachteil ist. Er soll das Anti-Doping-Gesetz durchsetzen, auf dem Symposium in Berlin aber gibt Frank unumwunden zu: „Es ist bislang nicht das, was wir uns erhofft, aber das, was wir erwartet haben.“

In Baden-Württemberg, wo seine auf Doping spezialisierte Staatsanwaltschaft zuständig ist, laufen seit Inkrafttreten des Gesetzes Mitte Dezember gerade einmal 14 Ermittlungsverfahren. Ob und wann diese Ermittlungen in Strafverfahren münden, ist völlig unklar.

So faktentreu Frank die enttäuschenden Ergebnisse präsentiert, so präzise gibt er auch die Gründe dafür an. Er projiziert in Berlin eine Power-Point-Präsentation an die Leinwand, auf der ungeschminkt die Wahrheit über das bisherige Scheitern des Anti-Doping-Gesetzes steht. Kurzum: Das Gesetz wird nicht in die Praxis umgesetzt, es ist gegenwärtig nicht mehr als ein Papiertiger. Weil zum einen das Personal dafür fehlt und zum anderen der Sport wenig bis gar kein Interesse zeigt, mit den Behörden zu kooperieren.

Oberstaatsanwalt Frank hat gerade einmal knapp zwei volle Stellen in seiner Behörde für den Kampf gegen Doping zur Verfügung. Viel verheerender aber noch ist die Tatsache, dass es bundesweit neben der Oberstaatsanwaltschaft Doping in Freiburg nur noch ein Pendant dazu in München gibt. „Die von der Politik geweckten hohen Erwartungen können nur erfüllt werden, wenn die Ermittlungsbehörden mit Spezialisten in ausreichender Zahl ausgestattet werden“, sagt er.

Der Sport will weiter in seiner Sportwelt bleiben

Das wiederum dürfte nur dann eintreten, wenn Frank und seine Kollegen Erfolge vorweisen können. Dass dies bisher nicht der Fall ist, hat viel damit zu tun, dass Verbände wie Sportler den Staatsanwaltschaften bislang keine Hinweise auf mögliche Dopingsünder geben. Das ist ein großes Problem, weil Frank und seine Kollegen ohne Anfangsverdacht keine Ermittlungen aufnehmen können.

Viele Athleten fühlten sich vor allem im Vorfeld der Diskussionen um ein Anti-Doping-Gesetz kriminalisiert. Von einer Dunkelziffer von 40 Prozent dopender Spitzensportler in Deutschland war damals die Rede. Zudem fürchten sie, dass sie durch die Kontamination von Speisen oder Getränken durch Dritte straffällig werden könnten. Unter diesen Umständen sind sie offenbar nicht bereit, mitzuhelfen. Ein Whistleblower ist in den Augen deutscher Spitzensportler noch in erster Linie ein Verräter und kein Enthüller. „Es gibt, das haben unsere früheren Ermittlungen im Radsport gezeigt, ein Kartell des Schweigens in besonders dopingbelasteten Sportarten“, sagt Frank.

Die übergeordneten Sportverbände können damit gut leben, weil sie selbst dem Gesetz höchst kritisch gegenüberstehen. DOSB-Justiziar Niese weist in Berlin auf mögliche Schadenersatzansprüche hin, die durch das Gesetz auf den Sport zukommen könnten. Denn sollte ein Athlet von einem Sportgericht verurteilt, von einem Zivilgericht aber freigesprochen werden, wäre ein solcher Vorgang denkbar. Allerdings nur dann, wenn der jeweilige Sportverband die Umsetzung des Anti-Doping-Regelwerks in Eigenregie durchführt und sie nicht der dafür spezialisierten Nationalen Anti-Doping Agentur (Nada) überlässt. Insofern werten Beobachter die Angst des Sports vor Schadenersatzforderungen als Scheinargument. Geht es also mal wieder nur darum, dass der Sport weiter in seiner kleinen Sportwelt leben will?

Es scheint fast so. Dabei haben die vergangenen Monate und Jahre überdeutlich gezeigt, dass der Sport mehr denn je Hilfe benötigt.

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