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Gott sei Dank. Beinahe hätte Messi seine Karriere in der Nationalelf schon beendet. Dann schoss er Argentinien mit zehn Toren zur WM.

© AFP

Argentinien startet in die WM 2014: Wird Lionel Messi der fünfte König?

Lionel Messi soll Argentinien zum WM-Titel in Brasilien führen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Der Superstar fühlt sich endlich wohl im Trikot der Nationalmannschaft. Das war nicht immer so.

In Recoleta, einem noblen Stadtteil im Norden von Buenos Aires, lud der Künstler Fernando Pugliense vor wenigen Tagen zu einer Vernissage. Keine Vernissage im eigentlichen Sinne, es handelte sich eher um die Besichtigung von drei Statuen, die er in einem Park aufgestellt hatte. Rentner saßen auf Bänken und verfolgten amüsiert das Treiben. Pugliense erläuterte seine Figuren. Dabei hätte es kaum einer Erklärung bedurft, die drei dargestellten Männer kennt in Argentinien jedes Kind: Diego Armando Maradona, der Argentinien 1986 quasi im Alleingang zum Weltmeister machte, Gabriel Batistuta, der Rekordtorschütze der Nationalmannschaft, und Lionel Messi. Letzterer ist in typischer Geste dargestellt: mit den Zeigefingern gen Himmel deutend. So jubelt Messi, wenn er ein Tor geschossen hat.

Pugliense mag seine Statue von Messi nicht, er würde sie gern austauschen. „Wir hoffen natürlich alle, dass sie bald verschwindet und eine andere an ihre Stelle tritt“, sagt er. Pugliense hat dafür auch schon eine Idee. Er würde Messi mit dem Weltmeisterpokal zeigen. Vorausgesetzt, Argentinien holt bei der WM in Brasilien den Titel.

Nicht weniger erhoffen sich das die rund 41 Millionen Argentinier von ihrer Mannschaft. Von ihrer Mannschaft?

Von Messi! Er soll das Land zum dritten WM-Gewinn nach 1978 und 1986 führen und endlich auch für Argentinien so wichtig werden, wie er es seit Jahren für den FC Barcelona ist. Die Chancen stehen dafür nicht schlecht.

Seit Alejandro Sabella 2011 das Amt des Nationaltrainers übernahm, spielt Messi in der Nationalmannschaft genau so erfolgreich wie für seinen Klub. Sabella hat erkannt, was seine Vorgänger nicht akzeptieren wollten. Dass der FC Barcelona nicht zu klonen ist. Dass Argentinien trotz aller Weltklassespieler über niemanden mit den Fähigkeiten von Barças Sergio Busquets, Xavi oder Iniesta verfügt. Dass Argentiniens Spieler eben einfach andere Stärken haben, die es gilt, mit Messis Spiel kompatibel zu machen.

Sabellas Vorgänger Sergio Batista reiste einmal nach Barcelona, um dort über mehrere Tage zu beobachten, wie die Mitspieler Messi in Szene setzen, und versuchte, alles eins zu eins zu kopieren. Bewegungsabläufe, die Barcelonas Spieler seit Kindertagen antrainiert bekamen, wollte Batista seinem Team mit ein paar Trainingseinheiten überstülpen. Er scheiterte, genau wie Diego Maradona und Coco Basile vor ihm.

Messi wollte schon aus der Nationalmannschaft zurücktreten

Sabella reiste nach seinem Amtsantritt ebenfalls nach Barcelona, allerdings nur, um mit Messi zu reden. Gemeinsam arbeiteten sie ein System aus, das auf Messi zugeschnitten ist, ohne dass die anderen Spieler Schaden nehmen. Trotz der gewaltigen Offensivkraft setzt Sabella nur zwei Stürmer ein, meist sind das Sergio Aguero und Gonzalo Higuain. Carlos Tevez von Juventus Turin wurde nicht einmal für den Kader nominiert. Messi spielt als klassische Nummer 10 mit allen Freiheiten hinter den Stürmern, eine Position, die es im Fußball dieser Tage eigentlich nicht mehr gibt. Dafür bietet Sabella im Zentrum drei defensiv orientierte Mittelfeldspieler auf, die hauptsächlich dazu da sind, Messi abzusichern. Auch Real Madrids Angel di Maria muss viel nach hinten arbeiten. Mit dieser Spielweise qualifizierte sich Argentinien als Gewinner der Südamerika-Ausscheidung problemlos für die WM. Messi erzielte zehn Tore, nur Uruguays Luis Suarez traf elf Mal.

Lionel Messi fühlt sich wohl im himmelblau-weiß gestreiften Trikot der Nationalmannschaft. Vielleicht zum ersten Mal überhaupt. Lange war die Beziehung der Argentinier zu Lionel Messi keine einfache. In ihren Augen war er ein Opportunist, der als Kind seine von Wirtschaftskrisen geplagte Heimat verlassen hatte, um in Europa zu triumphieren. Alle drei Tage schwappten wahre Wundertaten via Satellit aus Barcelona in die argentinischen Wohnzimmer. Nur: Wenn der viermalige Weltfußballer (2009–2012) dann zu Hause war, wenn er das Trikot der „Albiceleste“ überstreifte, verlor er prompt seine Magie. Dann wirkte er nur noch wie ein Doppelgänger des Mannes aus Barcelona. Mutlos, kraftlos und oft verzweifelt. Einfach nicht wie jemand, der mit den Spaniern alle möglichen Titel im Vereinsfußball errungen hat und damit schon heute als einer der besten Spieler aller Zeiten gilt. Die Kritik kulminierte bei der Copa America 2011. Argentinien schied als Gastgeber im Viertelfinale gegen Uruguay aus. Für die Fans in Santa Fe Anlass genug, Messi nach Leibeskräften auszupfeifen.

Das System bei Argentinien ist ganz auf Messi zugeschnitten

Er sei inzwischen mehr Katalane als Argentinier, hieß es, Barcelona sei ihm wichtiger als die Nationalmannschaft. Im Fernsehen erklärten Psychologen, dass Messi sich nicht genügend mit Argentinien identifiziere, weil er im Alter von 13 Jahren nach Spanien gegangen war und nun die Wut über den Verlust der Heimat eben an dieser auslasse. Der viel gelesene Schriftsteller Hugo Asch veröffentlichte einen Text mit dem Titel „Messi, der Fremde“. Messi stand kurz davor, aus der Nationalmannschaft zurückzutreten.

Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt. Hinter Messi liegt eine höchst durchschnittliche, von Verletzungen gezeichnete Saison. Fans und Fachleute unterstellten ihm, er würde sich für die WM mit Argentinien schonen. Weil er von der Vorstellung besessen sei, ausgerechnet im Land des größten Rivalen die WM zu gewinnen und es dem Nationalheiligtum gleichzutun: Diego Armando Maradona.

Im kollektiven Gedächtnis der Argentinier führte Maradona 1986 in Mexiko das Land allein, umgeben von willigen Statisten, zum Pokal. Er war 25, seine Mitspieler hießen Pedro Pasculli, Nestor Clausen oder Nery Pompido. Kaum jemand kann sich noch an sie erinnern.

Messi ist nun 26 Jahre alt und seine Mitspieler heißen Sergio Aguero, Angel di Maria oder Gonzalo Higuain. Allesamt Weltklassespieler. Besser, so die Meinung in Argentinien, könnten die Voraussetzungen nicht sein. Cesar Luis Menotti, Argentiniens Weltmeistertrainer von 1978, erhöhte vor wenigen Tagen also noch einmal den Druck: „Messi kann bei dieser Weltmeisterschaft der fünfte König des Fußballs werden“, sagte er. Nach Alfredo di Stefano, Pelé, Johan Cruyff und eben Maradona. Jene sind für Menotti die Bezugsgrößen. Wo sich Messi in dieser Liste einmal einordnen wird, hängt auch von der WM in Brasilien ab.

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