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Ein Stürmer, der keine Tore schießen kann: Mittelstürmer Salomon Kalou schaufelt dem Eintracht-Keeper Trapp den Ball allein vor dem Tor in die Arme.

© imago

Auslaufen mit Lüdecke: Hertha BSC: Wie Schauspieler, die den Text nicht können

Frank Lüdecke schaut wirklich gern Fußball, doch Hertha BSC hat unseren Kolumnisten in dieser Saison nicht besonders verwöhnt - weil die Stürmer blind sind und der Torwart blöd.

Tätäääää! Hertha BSC kann nicht mehr direkt absteigen. Man hat bereits zwei Mannschaften hinter sich gelassen, von denen eine den besseren Fußball spielt und die Ortsbezeichnung „Hamburg“ nicht im Vereinsnamen vorkommt. Diese fantastische Nachricht wurde durch ein beherztes 0:0 erreicht. In einem Spiel, in dem die Zukunft des Vereins auf der Kippe stand und in dem man gegen einen völlig indisponierten Gegner sagenhafte 37 Prozent Ballbesitz hatte. Zu Hause.

Eine erneute „sportliche Delle“ (Präsident Gegenbauer) ist aber immer noch in Reichweite. Chapeau! Muss man auch erst mal hinkriegen. Unter bestimmten Ergebniskonstellationen am letzten Spieltag ist ein Abstieg über die Relegation tatsächlich noch zu schaffen. Die Fahrstuhltüren stehen quasi noch offen. Es muss nur einer die richtigen Knöpfe drücken. Also die falschen.

Wissen Sie, eine Teilaufgabe dieser Glosse habe ich immer dahingehend verstanden, den leidgeplagten Anhängern eines Berliner Fußball-Bundesligisten durch die eine oder andere humorige Bemerkung etwas rhetorische Linderung zu verschaffen. Und ein bisschen Selbsttherapie war sicher auch immer dabei. Nun ist es so: Ich gucke wirklich gerne Fußball. Wenn ich diese Saison Spiele von Hertha BSC gesehen habe, dann als Anhänger des Vereins. Als Anhänger des Fußballs war das nicht möglich. Leider.

Verbale Reaktionen, die meiner Vorbildfunktion nicht dienlich sind

Man muss fußballerisch schon sehr auf Diät gesetzt sein, um sich in 90 Minuten an drei Torschüssen zu erfreuen. Ich bin so ein Typ, ich komme da nicht so richtig aus mir raus, wenn ich das komplette Spiel auf einen gelungenen Doppelpass warte. Das löst bei mir so ’ne leichte Ekstasehemmung aus. Wenn sich der eigene Torwart nach dem Schlusspfiff hinstellt und sagt: „Fragt unsere blinden Stürmer“, er selbst aber alle 90 Sekunden den Ball hoch und weit in die gegnerische Hälfte knüppelt. Weil er selbst nach 33 Spieltagen noch nicht begriffen hat, dass diese Versuche regelmäßig den Adressaten verfehlen. Ich habe auch Kinder, wissen Sie. Wenn ich eine Stunde lang diese Abschläge sehe, dann fördert das bei mir verbale Reaktionen zutage, die meiner Vorbildfunktion als Erziehungsberechtigter nicht dienlich sind. Ich bitte um Verständnis, wenn ich hier etwas im Ungefähren bleibe.

Ich spreche niemandem den Willen ab. Wirklich nicht. Sie haben sich alle Mühe gegeben, keine Frage. Vielleicht liegt es ja auch ein bisschen an uns. Vielleicht waren unsere Erwartungen einfach zu hoch. An ein Team, in dem die Stürmer blind sind und der Torwart blöd. Sorry, aber der musste sein. Ich glaube, es war Ende der 70er Jahre, als die Parole geprägt wurde, Theater müsse wie Fußball sein. Also für Berlin gilt das schon lange nicht mehr. Wer sollte sich so ein Theaterstück ansehen wollen? Wo die Schauspieler den Text nicht können und die Scheinwerfer reihenweise von der Decke fallen.

Der Berliner Kabarettist Frank Lüdecke schreibt hier jeden Montag über die Fußball-Bundesliga.

Frank Lüdecke

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