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Sport: Austrias Alptraum

Der beste Skifahrer stammt nicht aus dem Land der Berge, sondern aus New Hampshires Wäldern: Bode Miller

Berlin - Man sollte es vielleicht erwähnen: Bode Miller ist gestern einmal nicht ins Ziel gekommen. Er hat beim ersten Abfahrtstraining in Gröden einen Ski verloren und konnte nur mühsam einen Sturz vermeiden. Das wirkt irgendwie beruhigend, denn nach dem bisherigen Verlauf der alpinen Skisaison hätte man ihm zugetraut, dass er die Trainingsstrecke auf einem Ski herunterfährt und mit Bestzeit die Ziellinie überquert.

Bode Miller stellt zurzeit eine verblüffende Bestmarke nach der anderen auf. Vor zweieinhalb Wochen hatte sich der 27-Jährige mit seinen Erfolgen in Lake Louise zu jenen vier Skifahrern gesellt, die in ihrer Karriere in allen vier Disziplinen Weltcuprennen gewonnen haben. Nach seinem Sieg am Montag im Nachtslalom in Sestriere hält der US-Amerikaner einen noch spektakuläreren Rekord: Nun hat er innerhalb von lediglich 16 Tagen Abfahrt, Super-Riesenslalom, Riesenslalom und Slalom gewonnen. Innerhalb einer Saison ist das bisher nur Marc Giradelli gelungen, der jedoch 72 Tage dafür benötigt hat. Der großartige Hermann Maier hat noch nie im Slalom gewonnen, der nicht minder großartige Stephan Eberharter tat sich in dieser Disziplin genauso schwer, und der einst so großartige Alberto Tomba fuhr keine Abfahrten. Seine Mutter hatte ihm abgeraten, sie hielt die Hochgeschwindigkeitsstrecken für zu gefährlich. Miller aber kann alles fahren. Und seine Mutter hat auch nichts dagegen.

„Er ist ein wahrer Champion“, sagt Hermann Maier, „das kann jetzt niemand mehr in Frage stellen.“ Von zehn Rennen dieser Saison gewann der Mann aus New Hampshire sechs. Im Gesamtweltcup liegt Miller mit 730 Punkten bereits deutlich vor Hermann Maier (339 Punkte). In Abfahrt, Super-Riesenslalom, Riesenslalom führt er die Weltcupwertung ebenfalls an, nur im Slalom belegt er Platz drei. Sogar Hermann Maiers Rekord von 2000 Punkten im Gesamtweltcup liegt in Reichweite. „Das wäre schon ein Ziel“, sagt Miller. „Aber bis dahin kann noch viel passieren.“

Die Skiszene hat wieder einen überragenden Alleskönner. Dieser stammt erstmals seit sechs Jahren nicht aus Österreich, was im Land der Berge Depressionen verursacht. Miller wechselte im Sommer zur österreichischen Skifirma Atomic, seitdem keimt in Österreich der Verdacht, dass er die schnelleren Ski bekommt, da er die High-Tech-Bretter des zurückgetretenen Stephan Eberharter übernommen haben soll. Dafür verzichtete Miller sogar auf einen besser dotierten Vertrag mit seinem alten Ausrüster. Erst nach dem Materialwechsel dominiert der Weltcupzweite der vergangenen Saison die Rennen. Doch Österreichs Cheftrainer Toni Giger fand in der „Süddeutschen Zeitung“ eine andere Erklärung: „Nicht wir sind im Rückstand, Miller ist einfach schon weiter.“

Eigentlich würde der coole Miller besser in die alternative Snowboardszene passen als zur konservativen Skigemeinschaft. Stets läuft er unrasiert herum und vergräbt die Hände tief in ebenso tief sitzenden Hosen. Er gilt als Hippiekind, weil er auf einem Öko-Bauernhof aufgewachsen ist, in dem es keinen Strom und kein fließendes Wasser gab. In den ersten drei Schuljahren unterrichteten ihn die Eltern zu Hause, als Jugendlicher fuhr er mit dem Schneemobil zum Unterricht. Doch das Hippie-Etikett passt ihm nicht. „Wenn ich die Storys über mich höre, klingt es immer so, als wäre ich bei Höhlenmenschen groß geworden“, sagte er einst dem „Stern“.

Andererseits pflegt er sein Image als eigenwilliger Einzelgänger aus New Hampshires Wäldern. Seit einem Jahr folgt Miller im Wohnmobil dem Weltcuptross durch die Alpen. Er wollte nicht mehr ständig die Hotelzimmer wechseln. Ein Koch aus dem Tenniscamp seiner Eltern kümmert sich um die Verpflegung. So unorthodox wie sein Leben ist auch sein Fahrstil: Er geht auf der Piste stets an die Grenze. No risk, no fun, lautet sein Motto, ohne Risiko kein Spaß. „Rekorde sind mir nicht so wichtig, ich will einfach nur gut Ski fahren“, sagt Miller, „wenn mir etwas keinen Spaß mehr macht, höre ich sofort auf.“

Nach seinem Missgeschick im ersten Durchgang fuhr er in Gröden im zweiten Trainingslauf bis kurz vor dem Ziel Bestzeit. Dann schwang er auf der Piste lässig ab und landete absichtlich nur auf Platz 13. Es dürfte ihm Spaß gemacht haben.

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