zum Hauptinhalt
Klinsmann

© dpa

Bayern-Trainer Klinsmann: Schockiert, wütend, zweifelnd

Jürgen Klinsmanns Mannschaft hielt dem FC Barcelona so gut stand wie eine Sandburg in der Sturmflut. Doch der Bayern-Trainer will weitermachen.

"Ich muss ehrlich sagen: Ich weiß nicht, was ich mehr bin: schockiert, traurig oder wütend über das, was wir heute Abend hier gesehen haben", hatte Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern, in seiner Bankettrede nach dem 0:4 im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Barcelona, gesagt. Und: "Wir sind ein stolzer Klub. Dieser Stolz ist heute Abend zum Teil - speziell in der ersten Halbzeit - mit Füßen getreten worden."

Schneidend scharf klang seine Stimme. Als er gesagt hatte, was zu sagen war, nahm Karl-Heinz Rummenigge Platz und steckte sich seine Zigarre an. Schnell stiegen die Rauchschwaden in die Luft, und der Tabakgeruch breitete sich im Bankettsaal aus. Doch in der Luft hing noch etwas anderes. Man konnte es nicht riechen, nicht sehen, nicht hören, aber spüren: eine entflammbare Mischung von negativen Emotionen, gemischt mit der quälenden Ungewissheit, wie es weiter geht. Zwei Plätze rechts von Rummenigge saß der Cheftrainer Jürgen Klinsmann. Am vergangenen Samstag hatte der FC Bayern 1:5 in Wolfsburg verloren. Das war schon eine gewaltige Blamage. Dennoch erklärte Jürgen Klinsmann am Tag vor der Champions-League-Partie: "Ich bin zuversichtlich, dass wir morgen eine Truppe beieinander haben, die dem FC Barcelona standhält." Es sollte ein starker Satz sein, ein Satz, der Zuversicht demonstriert. Im Nachhinein ist daraus ein Satz geworden, der Klinsmann bloßstellt. Seine Mannschaft hielt dem FC Barcelona so gut stand wie eine Sandburg in der Sturmflut.

"Hast Du einen Zweikampf gesehen?"

Der Torwart Michael Rensing, dem Jürgen Klinsmann mittags vor dem Spiel auf dessen Zimmer mitgeteilt hatte, dass statt ihm diesmal Ersatztorwart Hans-Jörg Butt spielen würde, sagte: "Wir haben noch Glück gehabt, dass Barcelona in der zweiten Halbzeit nicht mehr wollte. Das hat uns vor einem zweistelligen Ergebnis bewahrt."

Fassungslos beschrieb Uli Hoeneß, wie er das Spiel erlebt hatte: "Ich habe gesehen, dass der Ball immer wieder zu Barcelona kam." Man dachte kurz, Hoeneß habe ein Erlebnis der dritten Art gehabt. Doch der Manager lieferte eine ganz bodenständige Erklärung nach: "Die waren zielstrebiger, wollten einfach den Ball haben und das Tor machen. Und wir haben wie das Kaninchen vor der Schlange dabei gestanden und zugeschaut." Mark van Bommel hatte ganz ähnliche Gedanken, als er auf dem Feld stand: "Die haben so schnell gespielt, wir sind gar nicht in die Zweikämpfe gekommen." Nun hob sich die Stimme des stinksauren Kapitäns: "Hast du einen Zweikampf gesehen? Keinen! Wir haben einfach nicht das Niveau!"

Die Personalsorgen, die den Trainer unter anderem zwangen, eine improvisierte Abwehrformation mit auf diesem Niveau völlig überforderten Kräften wie Breno und Christian Lell ins Rennen zu schicken, wollte Rummenigge nicht thematisieren: "Ich glaube nicht, dass es heute an der Besetzung unserer Ersatzbank gelegen hat."

Raum für Zweifel

Es ist wohl eher so, dass der Kader qualitativ nach wie vor weit entfernt vom Anspruch des FC Bayern ist. "Es ist deutlich geworden, dass noch viel Arbeit vor uns liegt, um in Europa unter die ersten Vier zu kommen", gestand Klinsmann kleinlaut ein. Die Bayern hatten sich davon blenden lassen, mit der besten Bilanz aller Teilnehmer in dieses Viertelfinale eingezogen zu sein. Was für ein wertloser Erfolg. Nun sind sie aus allen Wolken gefallen. "Mit dem Ergebnis, das ist klar, sind wir aus dem Wettbewerb ausgeschieden", sagte Rummenigge. So herrscht zumindest in einem Punkt Gewissheit.

Ansonsten aber breitet sich langsam Furcht aus. Furcht vor dem, was diese Saison noch an bösen Überraschungen bereithalten könnte. "Die Meisterschaft ist unsere wichtigste Zielsetzung", sagt Uli Hoeneß, "und jetzt müssen wir schauen, dass wir retten, was zu retten ist."

Klinsmann will weitermachen

An diesem Punkt richtet sich der Blick wieder auf Klinsmann. Gewinnen die Bayern nicht die Meisterschaft, wird er kaum zu halten sein. Die Frage ist vielmehr nun, ob es überhaupt so weit kommt. Was ist, wenn die Bayern am Samstag gegen Eintracht Frankfurt nicht gewinnen? Die Aussagen seiner Vorgesetzten ließen jedenfalls nach den mantrahaft wiederholten Treuebekenntnissen der vergangenen Wochen plötzlich Raum für Zweifel.

Klinsmann selbst sagte vor dem Heimflug nach München am Vormittag, er werde nicht zurücktreten. Die Lust und Freude an seiner Arbeit sei ihm "in keinster Weise" vergangen. Seine Zukunft beim FC Bayern machte er vom Gewinn der deutschen Meisterschaft abhängig. "Daran wird der Trainer und jeder einzelne Spieler gemessen." Die Mannschaft wisse jetzt, dass es "fünf vor Zwölf" sei. "Aber ich weiß, was in der Mannschaft steckt und habe keine Zweifel, dass sie eine Reaktion zeigt am Samstag", sagte Klinsmann weiter.

Auf die Frage, inwiefern jetzt wieder über den Trainer diskutiert werde, hatte Hoeneß geantwortet: "Unmittelbar nach dem Spiel, habe ich gelernt, hat es keinen Sinn, Grundsatzdiskussionen zu führen. Wir werden jetzt in Ruhe eine Nacht drüber schlafen und das Spiel analysieren." Das klang schon nicht mehr nach einem Treuebekenntnis. Und kurz darauf passierte auch Rummenigge in seiner Bankettrede ein Malheur, als er anhob: "Es gilt jetzt, in dieser Situation rational zu bleiben und die Dinge nicht zu überdrehen, vor allem keine spontanen -", an diesem Punkt stockte er plötzlich für zwei Sekunden, bevor er sich gesammelt hatte und fortfuhr: "unsinnigen Entscheidungen zu treffen." Doch was sinnig für die Zukunft des FC Bayern ist, steht nach diesem Abend mehr denn je in Frage.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false