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Heute ein König. Vor 16 Jahren, bei der EM in England, hat Jürgen Klinsmann zum bisher letzten Mal für die Nationalmannschaft einen Pokal in die Höhe stemmen dürfen. Dem aktuellen Team des DFB wird zugetraut, dass es den Erfolg im Sommer wiederholt. Foto: p-a/Sven Simon

© picture-alliance / Sven Simon

Sport: Besser als die Besten

Seit 16 Jahren hat die Nationalmannschaft keinen Titel mehr geholt, in diesem Sommer könnte sich das ändern.

Für Perfektion ist es nie zu spät. Im letzten Spiel des Jahres lief die drittletzte Minute, als Joachim Löw sich offensichtlich persönlich beleidigt fühlte. Mats Hummels, der Innenverteidiger der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, spielte einen jener Pässe, für die er in seinem Verein Borussia Dortmund besonders geschätzt wird: aus der eigenen Abwehr hoch übers Mittelfeld hinter die Viererkette des Gegners. Abgesehen davon, dass der Ball direkt in die Arme des holländischen Torwarts flog – Löw verabscheut diese Art der Spieleröffnung: Er will, dass die Bälle flach und scharf gepasst werden. Der Bundestrainer sprang von seinem Platz auf wie ein Halbstarker, dessen Freundin gerade von einem Fremden angebaggert wird. Er stürzte an die Seitenlinie, breitete die Arme aus und brüllte über den Platz.

Deutschland führte zu diesem Zeitpunkt nach einem berauschenden Auftritt 3:0 gegen Holland. Aber Perfektion ist für Löw keine Frage des Spielstands.

Die Szene aus dem Stadion in Hamburg erzählt einiges über den Bundestrainer. „Ich bin ein Trainer, der nie so ganz zufrieden ist“, sagt Löw über sich selbst. „Meine Aufgabe ist es zu gucken: Was kann man noch besser machen. Die Entwicklung ist nie zu Ende.“ Diese Haltung hat die Nationalmannschaft weit gebracht. So weit, dass ihr der Titel bei der Europameisterschaft im kommenden Sommer nicht nur zugetraut wird. Er wird von ihr geradezu erwartet. Wer war noch einmal Spanien?

Warum werden die Deutschen Europameister, Holger Badstuber? „Weil wir sehr hungrig sind, weil wir sehr nah dran sind an einem hohen Niveau, weil wir uns immer weiterentwickeln wollen“, sagt der Innenverteidiger des FC Bayern.

Seit etwas mehr als fünf Jahren ist Joachim Löw jetzt Bundestrainer, 75 Spiele hat die Nationalmannschaft in dieser Zeit bestritten, 52 gewonnen, unter anderem alle zehn in der Qualifikation für die EM 2012. Keiner der bisherigen Bundestrainer kann einen besseren Punkteschnitt vorweisen, und doch weiß Löw, dass ihm etwas Entscheidendes fehlt, um in die Ruhmeshalle des deutschen Fußballs aufgenommen zu werden. Ein Pokal. „Ich weiß, dass die Sehnsucht nach einem Titel groß ist“, sagt er. „Aber wir stehen mit der Mannschaft erst am Anfang einer Entwicklung. Die Europameisterschaft ist noch nicht das Ende. Diese Mannschaft hat noch viel mehr Möglichkeiten.“ Selbst wenn Löws Perspektive weit übers kommende Turnier hinausreicht: Seine Mannschaft hat schon jetzt ein Niveau erreicht, das sie für höchste Ziele prädestiniert. „Das ist die beste Mannschaft, mit der ich bis jetzt zusammengespielt habe“, sagt Miroslav Klose, der immerhin seit fast elf Jahren dem Nationalteam angehört.

Das vergangene Jahr war in der Tat das beeindruckendste, seitdem Löw in der Verantwortung steht. „Die Mannschaft ist viel stilsicherer geworden“, sagt der Bundestrainer. „ Sie hat noch mal einen Schritt nach vorn gemacht.“ Richtig angefangen hat diese Entwicklung bei der EM 2008. Das Turnier war für Löw so etwas wie ein Erweckungserlebnis. Der Bundestrainer, ein kompromissloser Verfechter des schönen Spiels, hat den Auftritt seiner Mannschaft als große Enttäuschung empfunden. Die Deutschen schafften es zwar bis ins Finale, quälten sich aber regelrecht durch die Europameisterschaft und fanden nie die Leichtigkeit, die Löw vorschwebte. „Es war nicht genügend, was wir fußballerisch gezeigt haben“, sagt der Bundestrainer im Rückblick. Entscheidend war, dass er aus dieser Erfahrung die richtigen Schlüsse gezogen hat: Löw erhöhte den Konkurrenzkampf, indem er junge und hungrige Spieler in die Mannschaft einbaute, und auch der Anspruch an die fußballerische Qualität wurde noch einmal deutlich erhöht.

Sowohl 2008 als auch bei der WM 2010 sind die Deutschen an den Spaniern gescheitert, der überragenden Mannschaft der Jetztzeit. Löws Team war in beiden Begegnungen hoffnungslos unterlegen. Auch deshalb sind die Spanier zu einer Art Obsession für die Nationalmannschaft geworden. Bastian Schweinsteiger hat einmal gesagt: „Wenn die Spanier nicht wären, hätten wir längst einen Titel geholt.“ Joachim Löw denkt nicht so. Er denkt: Wenn die Spanier die Besten sind, dann müssen wir eben noch besser werden.

Im Grunde arbeitet der Bundestrainer seit dem verlorenen EM-Finale 2008 daran. Und er scheint jetzt den passenden Weg gefunden zu haben. Einen Weg, der vor allem die Traditionalisten in Deutschland irritiert. „Man kann gute Mannschaften nur schlagen, wenn man fußballerisch besser ist, und nicht, wenn man aggressiver ist“, sagt Löw. Früher haben die Deutschen der Kunst ihrer Gegner vor allem Wucht und Willen entgegengesetzt; jetzt wollen sie ihnen spielerisch beikommen. Und gegen Brasilien (3:2) und Holland (3:0) haben sie im vergangenen Jahr gezeigt, dass dieser Weg gangbar ist.

„Wir haben es geschafft, spielerisch konstant zu sein. Das waren wir vor zwei Jahren noch nicht“, sagt Löw. „Wir haben unsere spielerische Linie durchgesetzt, wir sind selbstbewusst geworden.“ Das zeigt sich auch an der systematischen Ausrichtung der Mannschaft. Gegen Brasilien verzichtete der Bundestrainer auf einen zweiten Mann im defensiven Mittelfeld. Gerade in dieser sensiblen Zone des modernen Fußballs will Löw das spielerische Element stärken. „Wichtig ist, das Zentrum fußballerisch zu beherrschen“, sagt er. „Ich will nicht immer zwei Sechser haben, vor allem nicht bei Ballbesitz.“ Die drei zentralen Mittelfeldspieler sind nicht an feste Positionen gebunden, sie sollen sich in der Mitte völlig frei zwischen Offensive und Defensive bewegen dürfen.

Bei den jüngsten beiden Spielen gegen Spanien war den Deutschen die Furcht vor dem vermeintlich unschlagbaren Gegner regelrecht anzumerken. Doch diese Scheu hat Löw seinen Spielern nach und nach ausgetrieben. Er verlangt von ihnen, dass sie auch im Detail mutig sind, bei Ballverlust zum Beispiel. „Nicht zurückgehen, nach vorne gehen, da den Gegner festnageln“, fordert der Bundestrainer. Seine Spieler wissen, dass sie gut sind, sie wissen, dass sie ihr Spiel auch gegen starke Gegner durchziehen können und dass sie nicht mehr instinktiv eine Verteidigungshaltung einnehmen müssen, wie sie es gegen die Spanier bisher getan haben. Thomas Müller sagt: „Wir sind nicht mehr in der Situation, dass wir Angst haben müssen.“

Lesen Sie morgen den Ausblick auf das zweite Großereignis 2012, die Olympischen Sommerspiele in London.

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