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Hertha Road. Jordan Torunarigha (links) und Dodi Lukebakio auf dem Weg zum Trainingsplatz.

© Andreas Gora/dpa

Bundesliga-Saisonvorschau (9): Hertha BSC und ein Sack voller Zweifel

Nach einer komplizierten Vorbereitung geht Hertha BSC mit eher bescheidenen Zielen in die neue Saison. Das will außerhalb Berlins nur niemand hören.

Am 18. September startet die Fußball-Bundesliga in die neue Saison. In unserer Serie testen wir die Vereine. Heute Teil neun: Hertha BSC.

Was hat sich verbessert?

Ähem. Tja. Also … Eigentlich verbietet sich diese Frage bei einer Mannschaft, die gerade beim HSV verloren hat. BEIM! HA! ES! VAU! Voller Vorfreude geht Hertha jedenfalls nicht in die neue Saison, eher mit einem Sack voller Zweifel auf dem Buckel. „Es ist nicht so, dass wir sagen: Alles ist geil“, sagt Sportdirektor Arne Friedrich. Die Mannschaft wirkt noch unfertig, der Kader ist recht dünn und längst nicht in allen Ressorts ausgewogen besetzt. Gerade die Offensive bereitet Trainer Bruno Labbadia nach drei torlosen Testspielen hintereinander Sorgen.

[Alle Entwicklungen rund um Hertha BSC finden Sie bei uns in einem eigenen Blog]

Erschwerend kommt hinzu, dass Herthas Selbstwahrnehmung in scharfem Kontrast steht zur Fremdwahrnehmung. Für die Außenwelt ist der Klub nämlich nicht mehr die unscheinbare graue Maus, sondern dank der vielen Millionen des Investors Lars Windhorst (bald 374) plötzlich ein Hochglanzprodukt aus der hippen Hauptstadt. Mit Labbadia hat der Klub immerhin einen Trainer, der fest auf dem Boden der Realität steht und keinen spinnerten Träumen hinterherjagt. Trotzdem könnte es recht interessant sein zu sehen, wie die Mannschaft sich in diesem Spannungsfeld zurechtfindet.

Wer sind die Neuen?

Gemessen an den großen Namen, die schon gehandelt worden sind, nehmen sich die realen Verpflichtungen eher unspektakulär heraus. Die drei Neuen – Torhüter Alexander Schwolow, Rechtsverteidiger Deyovaisio Zeefuik und Mittelfeldspieler Lucas Tousart – könnten alle in der Startelf stehen. Müssen sie aber nicht. Eigentlich galt Hertha dank der Windhorst-Millionen als sicherer Gewinner der Coronakrise. Denn während fast alle anderen sparen müssen, haben die Berliner, die sonst immer sparen mussten, ausnahmsweise viel Geld zur Verfügung.

So weit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus: Der Transfermarkt verharrt immer noch in einer Schockstarre. Nichts regt sich. Gerade weil die meisten Klubs nicht investieren können, versuchen sie, ihre Kader zusammenzuhalten. Oder warten noch auf das unmoralische Angebot aus England. Hertha hatte für die Personalplanung sehr konkrete Vorstellungen, doch die meisten davon haben sich nicht realisieren lassen. Und so sucht der Klub immer noch einen Stürmer, einen offensiven Außen und einen zentralen Mittelfeldspieler. Heißestes Gerücht ist derzeit Jeff Reine-Adelaide, der bei Olympique Lyon zusammen mit Tousart im Mittelfeld gespielt hat.

Wer hat das Sagen?

Das ist – zumindest in der Mannschaft – eines der vielen Probleme des Bruno Labbadia. Das Team hat keinen natürlichen Anführer, der vorgibt, wo es hingehen soll. Mit Fabian Lustenberger, Thomas Kraft, Per Skjelbred, Salomon Kalou und dem bisherigen Kapitän Vedad Ibisevic hat die Mannschaft innerhalb eines Jahres ihre komplette Achse verloren. Auf dem Trainingsplatz, aber auch in den Testspielen, geht es oft nur unwesentlich lauter zu als am Ende einer sechsstündigen Abiturklausur.

„Wir müssen das erst lernen“, sagt Dodi Lukebakio. „Kommunikation ist alles.“ Wer Ibisevic als Kapitän folgt, ist immer noch unklar, und wird womöglich erst nach Saisonbeginn entschieden. Die Spieler, die qua Position und Standing innerhalb des Teams, dafür in Frage kämen, haben entweder ihren Stammplatz nicht hundertprozentig sicher wie Niklas Stark oder sind wie der Belgier Dedryck Boyata des Deutschen noch nicht mächtig.

Was erwarten die Fans?

Den Anhängern von Hertha BSC ist der berlintypische Größenwahn in den vergangenen Jahren schleichend abgewöhnt worden. Als Hertha-Fan wird man quasi zur Demut gezwungen. Nach den Turbulenzen der Vorsaison mit drei Trainern und Jürgen Klinsmann wären die meisten daher schon froh, wenn Hertha mal nicht den Part des Klassenclowns spielen würde, über den sich alle lustig machen. Die Aussicht, dank des Investors per Kickstart in die nationale Spitze vorzustoßen, ist durch die holprige Vorbereitung deutlich relativiert worden. Von Europa, im Frühjahr eine nicht unrealistische Option, ist jedenfalls aktuell keine Rede mehr. Aber egal, wie kompliziert es auch werden wird: Die Stadtmeisterschaft sollte schon drin sein.

Was ist in dieser Saison möglich?

Seriös lässt sich das wohl erst am 5. Oktober beantworten, wenn nach der Transferperiode feststeht, ob Manager Michael Preetz die Lücken im Kader mit hochwertigem Personal hat schließen können. Auch quantitativ ist das Angebot für Trainer Labbadia bisher nicht gerade üppig – vor allem mit Blick auf die hohe Intensität der neuen Saison mit vielen Spielen in kurzer Zeit.

Statt weiterer Zugänge hat Hertha am Dienstag erst noch einen Abgang verkündet. Lazar Samardzic hat in Leipzig einen Fünfjahresvertrag unterschrieben. Der 18-Jährige gilt als riesiges Talent, war in der vergangenen Saison aber mit drei Kurzeinsätzen noch eine ziemlich kleine Nummer. Trotzdem ist in ihm über den Sommer die Erkenntnis gereift, dass er schon jetzt zu groß geworden ist für Hertha BSC.

Und sonst?

Sieht Dodi Lukebakio alles ganz anders. „Wieso sollte das zu früh sein?“, entgegnet der belgische Stürmer auf die Frage, ob das Ziel Europa für Hertha noch zu früh komme. „Wir können es schaffen. Ich glaube nicht, dass wir nur darum spielen, nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben.“

Bisher erschienen:

Teil 1: VfB Stuttgart – sympathisch und unerfahren wie nie
Teil 2: Arminia Bielefeld ist immer für eine Überraschung gut
Teil 3: Werder Bremen will endlich wieder Spaß
Teil 4: Der FC Augsburg sucht eine neue Hierarchie
Teil 5: Glück allein wird dem 1. FC Köln nicht reichen
Teil 6: Mainz 05 will aus der Jugend eine Tugend machen
Teil 7: Auf Schalke glänzt nur noch die Knappenschmiede
Teil 8: Der 1. FC Union ist auf allen Ebenen aktiv

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