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Sport: Choreographie des Aufstiegs

Stefan Lindemann galt als nicht konstant genug, bei der Eiskunstlauf-WM könnte der Durchbruch zur Weltspitze gelingen

Dortmund. Stefan Lindemann sah diese kurzen, eleganten Schritte, er sah, wie Jewgeni Pluschenko zur Flamenco-Musik übers Eis tanzte und hörte, wie das Publikum begeistert klatschte. Das gab ihm den letzten Schub. „Mich hat diese Schrittfolge und die Reaktion des Publikums hoch motiviert. Da dachte ich, jetzt gebe ich alles.“

Dann tanzte und sprang der Mann aus Erfurt übers Eis, nicht ganz so elegant wie Pluschenko, der Doppelweltmeister aus Russland, aber so gut, dass seine Trainerin Ilona Schindler später nur „Wahnsinn, einfach Wahnsinn“ haspelte und der ARD-Reporter Daniel Weiss, ein früherer Eiskunstläufer, ins Mikrofon schrie: „Das war das beste Kurzprogramm, das je einer deutscher Läufer gezeigt hat.“ Es war auf jeden Fall der beste Auftritt des Stefan Lindemann: Vierfach-, Dreifach-Toeloop-Kombination gestanden, Platz drei nach dem Kurzprogramm der Eiskunstlauf-WM, Start bei der Kür in der besten Gruppe, „das ist eine Sensation“, jubelte Schindler.

Diese zweieinhalb Minuten auf dem Eis der Dortmunder Westfalen-Halle war die Choreographie des Aufstiegs des Stefan Lindemann. Eine Choreographie mit einigen Risiken. Es hätte ja spektakulär schief gehen können. Denn hier, vor eigenem Publikum, hätte der 23-Jährige auch die alte Rolle des großen Problemfalls geben können. Ein Problemfall, das war er bis zur WM, weil er nicht konstant genug Leistung brachte.

„Ich habe ihm bei der Europameisterschaft in Budapest gesagt, dass ich sehr streng mit ihm war und dass ich auch weiterhin, auch nach Erfolgen, sehr streng mit ihm sein werde“, sagt Reinhard Mirmseker, der Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU). Dabei war Lindemann bei der EM ausgezeichneter Fünfter geworden. Es war schon nach Mitternacht, als der DEU-Chef demonstrierte, wie er einen wie Lindemann weiter nach oben bringen möchte. Mit der Politik von enormer Provokation und dosiertem Lob. „Denn Stefan hat das Zeug zu einem Weltklasse-Läufer, deshalb bin ich so streng mit ihm.“ Er nahm Lindemann nicht mit zur WM 2003 in Washington, „weil er nur wenig Ausstrahlung hatte und weil ihm das auch nichts gebracht hätte“. Mirmseker verlangt weiter noch mehr Arbeit, aber er sagte ihm nach dem Kurzprogramm auch: „Bleib cool, Junge. Du musst hier nicht um eine Medaille laufen.“

Er ging ein hohes Risiko ein mit Lindemann. „Wir wussten natürlich, dass er sich überlegt hatte, 2003 aufzuhören. Aber wir haben das in Kauf genommen und gehofft, dass er weitermacht und besser wird.“ Lindemann nahm die Herausforderung an. Er ist das Kämpfen gewohnt. Er kämpft seit Jahren gegen das Image des sprungstarken Biedermanns. Im vergangenen Jahr stieß ein Ballettmeister vom Opernhaus Erfurt zur Trainingsgruppe Schindler, eine Idee unter anderem von Mirmseker. Der Neue schulte Mimik und Ausdruck des Sportsoldaten, bei Startrainer Alexej Mischin in St. Petersburg lernte er, Sprünge zu perfektionieren, und ein Sportpsychologe brachte ihm bei, wie man im Wettkampf die Verkrampfung löst.

„Heute habe ich mein Potenzial abrufen können. Schon beim Einstechen ins Eis zur Kombination habe ich gewusst, dass das klappen wird. Und dann hat mich das tolle Publikum so motiviert“, sagte Lindemann nach der Kurzkür. Am Ende reckte er dreimal die Fäuste in die Luft. Gesten der Befreiung. „Natürlich war es für uns auch ein Vorteil, dass Stefan direkt hinter Pluschenko gelaufen ist“, sagt Ilona Schindler. „Da haben sich die Preisrichter erst mal leichter getan, höhere Noten zu vergeben. Aber wenn Stefan gefallen wäre, dann hätte das auch enorm schief gehen können.“

Heute Abend, wenn es um Medaillen geht, fällt dieser Vorteil weg. Nach dem Kurzprogramm wurde die Startreihenfolge für die Kür ausgelost. Lindemann startet als Vorletzter. Letzter ist Pluschenko.

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