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Claudia Pechstein im Interview: „Es muss an etwas anderem liegen“

Claudia Pechstein erklärt, warum sie gegen ihre Dopingsperre kämpft und eine Notlüge gebraucht hat. Die Berlinerin war am Freitag wegen unregelmäßiger Blutwerte für zwei Jahre gesperrt worden.

Was würden Sie normalerweise an so einem schönen sonnigen Tag machen?

Ich würde auf dem Fahrrad sitzen und trainieren, aber das mache ich im Moment trotzdem. Es ist natürlich nicht einfach, mit solchen Vorwürfen zu trainieren. Aber da muss ich jetzt durch.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Ich persönlich weiß, dass ich nichts Verbotenes getan habe, deshalb kann ich eigentlich ganz relaxed sein. Aber die Vorwürfe, die jetzt von allen Seiten kommen, sind hart.

Seit wann wissen Sie von den Vorwürfen?

Seit der Weltmeisterschaft in Hamar Anfang Februar. Ich hatte dort eine Blutkontrolle am Freitag, am Samstag wurde ich mehr oder weniger zufällig zur Dopingkontrolle gelost. Im Nachhinein wurde mir gesagt, dass die Werte am Freitag auffällig waren und dass bei mir deshalb am Samstag kontrolliert werden sollte.

Eine Zielkontrolle.

Mit Kontrollen muss ich jederzeit rechnen, dafür bin ich immer gewappnet. Am Samstagabend habe ich aber dann erfahren, dass ich nicht mehr starten darf.

Weil hohe Retikulozyten-Werte in Ihrem Blut festgestellt worden sind. Sie reisten dann mit einer vorgeschobenen Entschuldigung von der Weltmeisterschaft ab. Was hat Sie dazu veranlasst?

Das war der Vorschlag der Internationalen Eisschnelllauf-Union ISU. Die ISU hat erklärt, wenn wir dem nicht nachkämen, verhänge sie eine Schutzsperre. Und informiere automatisch die Öffentlichkeit. Nach langer Beratung mitten in der Nacht haben wir dann entschieden, dass es der bessere Weg sei, erst mal nicht an die Öffentlichkeit zu gehen.

Also haben Sie der Öffentlichkeit eine Notlüge aufgetischt?

Weil das die ISU so vorgeschlagen hat. Ich sollte wegen Krankheit absagen, das sei mehr oder weniger plausibel. Daraufhin haben wir entschieden, dass ich einen Infekt habe, was bei mir ja sehr oft der Fall ist. Heute weiß ich, dass dies ein Fehler war. Dafür möchte ich mich entschuldigen.

Hatten Sie vorher schon auffällige Blutwerte?

Nein. Dass ich kontrolliert werde, ist ja gang und gäbe. Aber auffällige Werte sind mir zuvor nie mitgeteilt worden. Ich hatte auch nie etwas von Retikulozyten gehört, geschweige denn das Wort aussprechen können. Mittlerweile kann ich es.

Ahnten Sie, dass dieser hohe Wert eine zweijährige Dopingsperre nach sich ziehen würde?

In Hamar dachten wir, ich muss noch mal zur Nachkontrolle gehen, und wenn sich der Wert normalisiert, ist das Thema erledigt. Es ging damals immer um eine eventuelle Schutzsperre und nie darum, dass es einen positiven Dopingfall geben könnte. Wir haben nachgesehen, wie lange eine Schutzsperre maximal gilt: 18 Tage. Also genau bis zur Abreise zum Weltcupfinale in Salt Lake City und zur Einzelstrecken-WM. Daher habe ich mir keine Sorgen gemacht.

Was passierte dann?

Der Fall hat immer größere Kreise gezogen. Irgendwann wollte keiner von der Isu mehr etwas von einer Schutzsperre wissen. Plötzlich war es ein möglicher positiver Dopingfall.

Warum haben Sie nicht schon im Februar in Hamar die von der ISU angedrohte Schutzsperre akzeptiert?

Natürlich haben wir am Abend darüber nachgedacht, die Öffentlichkeit zu informieren, zumal ich mir nichts vorzuwerfen habe. Andererseits bleibt beim Thema Doping immer ein bitterer Beigeschmack, das sieht man ja jetzt auch. Die ganzen Schlagzeilen wären auch damals nicht zu vermeiden gewesen. Inzwischen haben wir verstanden, worum es geht. Das wussten wir damals in Hamar nicht, wir wussten auch nicht, worauf es hinausläuft. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Hätte ich damals die Öffentlichkeit informiert, wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen.

Was ist die Grundlage des Verfahrens gegen Sie?

Es gibt seit neun Jahren mein Blutprofil. Meine Hämoglobin- und Hämatokritwerte sind alle in Ordnung. Aber es gibt Retikulozyten-Werte, die nicht im Normbereich sind. Wie zuletzt in Hamar.

Warum sind die Werte so hoch?

Wir sind dabei, das herauszufinden.

Sie vermuten, dass eine Blutkrankheit dahintersteckt?

Wir wollen das jetzt untersuchen lassen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, aber wir wissen nicht, welche es bei mir ist. Die Untersuchungen können sich über Jahre hinziehen. Ich hoffe, dass man etwas herausfindet, weil es nur diesen Grund geben kann.

Oder Doping.

Ich kann nur betonen, dass ich nie gedopt habe und nie dopen werde. Bei mir hängt viel zu viel dran, auch in meinem Berufsleben. Ich bin Beamtin bei der Bundespolizei, da gelten auch die Dopingvorschriften, das habe ich unterschrieben. Da wäre ich schön blöd, wenn ich dopen würde.

Haben Sie an Rücktritt gedacht, als die Vorwürfe bekannt wurden?

Auf keinen Fall. Es ist nach wie vor mein Traum, bei Olympia noch eine Medaille zu gewinnen. Um die zehn olympischen Medaillen voll zu bekommen. Und der Traum steht, da wird mir die ISU keinen Strich durch die Rechnung machen.

Was halten Sie vom Blutpass und der indirekten Nachweisbarkeit von Doping?

Grundsätzlich finde ich es gut, dass man Doping- und Blutkontrollen durchführt. Ich bin nach wie vor offen für Kontrollen. Aber man sollte sich nicht auf nur einen Wert verlassen. Und mich gleich so verurteilen. Weil es bei mir an etwas anderem liegen muss, ich weiß, dass ich nicht gedopt habe. In anderen Sportarten hat man viel mehr Indizien, zum Beispiel Blutbeutel, die gefunden werden. Das alles ist ja bei mir nicht der Fall. Da kann jeder gerne nachforschen.

Aber seit diesem Jahr ist der indirekte Nachweis über das Blutprofil zulässig. Fühlen Sie sich als Präzedenzfall?

Ja. Ich bin eine Sportlerin und möchte dort meine Leistung bringen und nicht am grünen Tisch oder vor Gericht. Aber leider bin ich jetzt drin in dem Fall.

Sie wollen jetzt vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas die Sperre aufheben lassen. Das Verfahren wird wohl erst November oder später entscheiden, wie gehen Sie damit um?

Es ist nicht einfach. Ich habe ja auch im Sommer Wettkämpfe im Juli und August, da überlegen wir, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Und dann hoffe ich, dass das Verfahren vor dem Cas einfach schneller vorangeht.

Seit wann weiß ihr alter Trainer Achim Franke von den Vorwürfen?

Nicht sofort nach Hamar, aber seit März …

Im April hatte er einen Herzinfarkt …

… ich denke, dass das Ergebnis von dieser Sache ist. Ich habe ihm jetzt gesagt, er soll sich nicht so einen Kopf drüber machen, damit ihm das nicht wieder passiert. Er hat am meisten daran zu knabbern, er hat meine sportliche Karriere zum größten Teil mitbetreut.

Franke soll in der DDR leistungssteigernde Maßnahmen untersucht haben …

… ich habe in der DDR nicht unter Trainer Franke trainiert. Und später habe ich bei ihm ich nicht gedopt, oder ein Angebot bekommen. Das kann ich ausschließen.

Glauben Sie, dass Sie aus dieser Sache noch einmal herauskommen?

Ich denke schon. Ich habe nichts zu verbergen. Ich glaube fest daran, dass wir vor dem Cas gewinnen und dass ich in Vancouver 2010 am Start stehen werde.

Das Gespräch führten Robert Ide und Benedikt Voigt.

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