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Sport: Das Ende der Unfehlbarkeit

Lehmann, Metzelder, Odonkor: Durch seltsame Personalentscheidungen hat Bundestrainer Joachim Löw die Aura des souveränen Cheftaktikers verloren

Wer sagt denn, dass David Odonkor keinen Sinn für die Defensive besitzt? Mit großer Lust beteiligte er sich an der Abwehrarbeit, er setzte seinen Körper richtig ein, stellte die Wege entschlossen zu und brachte die gegnerischen Angreifer zur Verzweiflung. Beim Handballspielchen der deutschen Reservisten am Tag nach dem 1:2 gegen Kroatien kniete Odonkor auf der Torlinie, mit seinem Oberkörper füllte er fast die gesamte Fläche des Streetsoccer-Tores aus. Unorthodoxe Lösungen sind ihm nicht fremd, im Handball genauso wenig wie im Fußball.

Tags zuvor hatte Odonkor mit der ihm eigenen Fahrigkeit wieder einmal mehr Verwirrung in der eigenen Abwehr gestiftet als in der des Gegners. In jeder Balleroberung ist bei ihm der Ballverlust schon angelegt. So war es auch vor dem 2:0 der Kroaten. Dass Bundestrainer Joachim Löw den Sprinter aus Sevilla zur zweiten Halbzeit eingewechselt hatte, erwies sich als seltsame Entscheidung. Hinten machte Odonkor den vorentscheidenden Fehler, nach vorne gelang ihm nichts, kein Tempolauf, keine Flanke, kein Dribbling. „Ich weiß, dass Jogi jetzt schon denkt: Mein Gott, da habe ich etwas falsch gemacht“, sagte Berti Vogts im Schweizer Fernsehen. Wenn sich einer mit falschen Entscheidungen auskennt, dann Vogts.

Im Besetzungsplan des Bundestrainers ist David Odonkor so etwas wie das letzte Mittel, das immer dann zum Einsatz kommt, wenn gar nichts mehr geht. Schon nach 45 Minuten glaubte Löw, zu diesem letzten Mittel greifen zu müssen. An dem Tag, an dem seiner Mannschaft von Beginn an eine Idee fehlte, war Odonkor die einzige Idee, die ihm noch in den Sinn kam. So anfällig für Panikattacken hat man den vorgeblichen Jogi Cool noch nie erlebt. „Mit den Einwechslungen haben wir nicht die erhoffte Wende geschafft“, gab er am Tag danach zu. „Die eingewechselten Spieler haben sich dem Niveau der Mannschaft angepasst.“

Joachim Löw hat bisher den Eindruck vermittelt, dass die Europameisterschaft für die Nationalmannschaft nach einem perfekt ausgearbeiteten Plan verlaufen wird. Auf jede Eventualität schien das Trainerteam vorbereitet zu sein, sämtliche Maßnahmen wirkten durchdacht und in sich schlüssig. Vor allem Löw hat diese Gewissheit nach außen verkörpert. Die Niederlage gegen Kroatien aber ließ sie krachend in sich zusammenstürzen. An diesem Abend in Klagenfurt hat Joachim Löw nicht nur ein Spiel verloren. Er hat seine Unfehlbarkeit eingebüßt. Das machte die Niederlage so ernüchternd.

Es geht nicht um die mangelhafte praktische Umsetzung der – richtigen – theoretischen Vorgaben. Dafür ist letztlich die Mannschaft verantwortlich. Es waren die Spieler, die „unsere drei, vier Grundprinzipien vernachlässigt“ haben, die nie richtig in Fahrt kamen, zu wenig läuferischen Aufwand betrieben und es den Kroaten mit langen und hohen Bällen viel zu leicht machten. Es ist Löw auch nicht vorzuwerfen, dass viele Spieler unter ihrer normalen Form blieben, dass zum Beispiel der hoch veranlagte Mario Gomez an vielen Türen rüttelt, aber immer noch vergeblich den Eingang in dieses Turnier sucht. Das Problem liegt tiefer.

Joachim Löw hat zuletzt ein paar falsche Signale an die Mannschaft ausgesandt. Gestern wurde er gefragt, ob er es schon bedaure, Marko Marin nicht nominiert zu haben. Natürlich tut er das nicht, „diesen 23 Spielern vertrauen wir“, aber mit seinen Personalentscheidungen hat sich Löw angreifbar gemacht, vor allem mit der Aussetzung des Leistungsprinzips für Christoph Metzelder und Jens Lehmann. Das offensive Spiel der Deutschen basiert in hohem Maße auf dem Gefühl defensiver Sicherheit und Organisation. Dieses Gefühl aber kann die Abwehr der Mannschaft im Moment nicht vermitteln. Man merkt Metzelder und auch Lehmann an, wie viel Anstrengung es sie kostet, Fehler zu vermeiden, und man merkt auch, wie ihre Verkrampfung immer weiter um sich greift. Das Mittelfeld muss zu viel Energie aufwenden, um die defensive Stabilität einigermaßen wiederherzustellen.

Joachim Löw hat bereits angekündigt, dass gegen Österreich eine andere Mannschaft auf dem Feld stehen werde, und das betrifft nicht nur deren Ein-, sondern auch ihre Aufstellung. „Es gibt Überlegungen, auf der einen oder anderen Position Spieler zu bringen, die in der Lage sind, neue Akzente zu setzen“, sagte Löw. Tim Borowski bietet sich für einen Platz im Mittelfeld an, vor allem aber kommt der Bundestrainer eigentlich nicht umhin, Christoph Metzelder durch Arne Friedrich zu ersetzen – so schwer es ihm auch fallen mag, weil er damit einen Fehler eingestehen würde. Andererseits kann Löw den Erfolg bei seinem ersten Turnier als Bundestrainer nicht von der vagen Hoffnung abhängig machen, dass Metzelder seinen Rückstand noch rechtzeitig aufholt.

„Wir alle haben Fehler gemacht“, sagte der Bundestrainer, und auch er werde sich natürlich hinterfragen. Für Joachim Löw geht es jetzt darum, etwas zu ändern, ohne sich zu verändern. „Ich bin nicht der Trainer, der sagt: Wir müssen jetzt Gras fressen. Ich möchte spielerische Lösungen.“ David Odonkor darf das durchaus als Drohung verstehen.

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