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Sport: Der Deutsche Fußball-Bund ist ein Tanker, der auch den Turbokapitalismus überstehen wird (Kommentar)

Sprechen sollte er. Zwar kein Ehrenwort, aber das Schlusswort.

Sprechen sollte er. Zwar kein Ehrenwort, aber das Schlusswort. Doch Mitglieder des Sportausschusses im Deutschen Bundestag warnten vor seiner Teilnahme. In Bedrängnis geraten, schlug der Ehrengast die Einladung ins Seitenaus. Kein Zweifel: Auch die bewährte Trutzburg des deutschen Fußballs kann dem zusammenbrechenden Kohlschen System den nötigen Halt nicht mehr gewähren. Was in Bremen jüngst noch möglich war, wird in Leipzig zur Feierstunde des hundertjährigen DFB nicht mehr über die Bühne gehen. Das Bedauern des Präsidenten Egidius Braun klingt eher nach Kabarett als nach Kondolenz: "Der DFB vergisst Menschen nicht, die Taten für ihn vollbracht haben." Von Turnier zu Turnier war Kohl während seiner Rekordkanzlerschaft durch Stadien und Kabinen marschiert, um auch den deutschen Fußball zu seiner Chefsache zu machen. Zudem brachte er die deutsche Fußballkunst 1996 bei der EM auf den Punkt: "Es geht um keinen Schönheitspreis. Man muss nur weiterkommen."

Immerhin hätte Kohl von Braun eines lernen können: wie man selbst in harten turbokapitalistischen Zeiten sein hohes Amt noch als 75-jähriger behauptet. Grund dafür ist freilich das Spezifikum des offiziellen deutschen Fußballs namens DFB, nämlich geübt zu sein in allen anachronistischen Spielarten eines deutschen Sonderweges. Erinnern wir uns: Als Herbergers Elf 1954 Weltmeister wurde, hielt DFB-Präsident Bauwens seine berühmt-berüchtigte Kampfrede im Münchener Löwenbräukeller, woraufhin der Bayerische Rundfunk die Übertragung abbrach - Begründung: der jubilierende DFB-Obere verbreite "sprichwörtlichen deutschen Ungeist".

Während die Politik der Adenauerzeit sich um eine feste Westintegration bemühte, gerierte man sich in den Reihen des DFB als letzte Bastion eines aus der Mode gekommenen deutschen Heroismus gegen verderblichen Krämergeist, welsche Raffinesse und betrügerische Schiedsrichter.

Doch die Bunkermentalität gegen eine notwendige Professionalisierung des bundesdeutschen Fußballs zerrann, je mehr Spitzenstars nach Italien durchbrannten. Mit Einführung der Bundesliga 1963 wurde endlich die Legende von den einzig "sauberen Amateuren" überwunden. Auch wenn beim Bundesligaskandal 1971 für manche Verantwortlichen eine Welt zusammenbrach, wuchs mit der neudeutschen Fußballherrlichkeit der 70er Jahre die Selbstgewissheit ins Unermessliche. Der DFB entwickelte sich zum größten Sportverband der Welt. Dennoch pflegte er mit seinen Rückständigkeiten weiterhin ein "Bild von gestern" und lieferte pro WM-Turnier wenigstens Fauxpas. So wurde sein langjähriger Präsident Neuberger während der WM 1978 in Argentinien von Joachim Fest in der FAZ als "Provinzkönig" attackiert, "dessen Gängelungsgelüste den Spielern noch vorschreibt, welche Socken sie außerhalb des Spielfelds zu tragen haben."

Doch Hermann Neuberger ging eigenwillig seinen Weg weiter und leistete sich noch im November 1990 das Kuriosum, wegen bestehender Bandenwerbungsverträge die Bundesrepublik gegen die bereits aufgelöste DDR in der EM-Qualifikation nochmals gegeneinander antreten lassen zu wollen. Das Geistermatch kam freilich nicht mehr zustande, auch der DFB konnte den Vereinigungszug nicht mehr anhalten.

Inzwischen hat sich der DFB mit seinen sechseinhalb Millionen Mitgliedern längst zum tönernen Koloss entwickelt. Im gnadenlosen Fußballgeschäft mit feilschenden Großvereinen, privaten TV-Mogulen und Rechtehändlern wird der Verband nur noch als ein strukturkonservatives Hemmnis wahrgenommen. Nach dem Willen von Vermarktungsstrategen soll der DFB allenfalls die Interessen der kleinen Vereine vertreten, sich aber aus den Deals der Großvereine heraushalten. Der allgegenwärtige Systemüberwinder Beckenbauer ließ sich sogar zum Vizepräsidenten wählen. Um eines nahen Tages dort die Lichter auszumachen, höhnen seine Freunde. Doch der Tanker DFB dürfte wohl auch die windigen Goldgräbereuphorien dieser Tage überstehen.

Der Autor leitet die Redaktion der "Frankfurter Hefte" in Berlin.

Norbert Seitz

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