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Sport: Der Fall Timm: Öffentliche Verhandlung

Der Fußballtrainer Ewald Lienen galt einmal als Pazifist, weil er sich an der Aktion "Sportler für den Frieden" beteiligt hatte und 1985 in Nordrhein-Westfalen für die "Friedensliste" kandidierte. Aber in Zeiten, in denen ein ehemaliges Mitglied der Frankfurter 68er-Szene Außenminister Deutschlands werden kann, verwundert es nicht, dass der einst als linker Rebell abgestempelte Trainer an der Seitenlinie herumtobt wie ein hyperaktives Kind und "totale Aggressivität" fordert.

Der Fußballtrainer Ewald Lienen galt einmal als Pazifist, weil er sich an der Aktion "Sportler für den Frieden" beteiligt hatte und 1985 in Nordrhein-Westfalen für die "Friedensliste" kandidierte. Aber in Zeiten, in denen ein ehemaliges Mitglied der Frankfurter 68er-Szene Außenminister Deutschlands werden kann, verwundert es nicht, dass der einst als linker Rebell abgestempelte Trainer an der Seitenlinie herumtobt wie ein hyperaktives Kind und "totale Aggressivität" fordert.

Seit der 0:6-Niederlage in Wolfsburg hat sich in Köln nämlich ein Paradigmenwechsel vollzogen: Aggressivität löst Schönspielerei ab. "Die Grundlage unseres Erfolges war das konzentrierte, aggressive Abwehrverhalten", erklärte Lienen nach dem 2:0-Sieg des 1. FC Köln bei Energie Cottbus. "Die Kölner haben uns vorgeführt", ärgerte sich Energie-Manager Klaus Stabach. Seit sich der Aufsteiger vom Rhein auf das Kämpfen verlegt hat, holte er in fünf Spielen 13 Punkte und rückte in der Tabelle der Fußball-Bundesliga auf Rang sechs vor. Der Trainer empfiehlt jedoch die Rangliste möglichst schnell wegzuwerfen. "Wenn wir jetzt auf die Tabelle schauen, hören wir auf, leidenschaftlich zu kämpfen."

Mit dem Erfolg kommen nämlich auch die Probleme. Inzwischen interessiert sich die Konkurrenz, allen voran Hertha BSC, für den U21-Nationalspieler Christian Timm, der am Sonnabend sein sechstes Bundesligator schoss. "Das ist ja inzwischen eine öffentliche Vertragsverhandlung", staunt Trainer Ewald Lienen. Die Gepflogenheiten der Branche, Interesse sofort öffentlich zu bekunden, stößt beim Kölner Trainer auf Kritik. Lienen steht ohnehin vielen Aspekten des Profifußballs und der Öffentlichkeit skeptisch gegenüber. "Ich würde mir wünschen, dass die großen Vereine mit mehr Zurückhaltung an dieses Thema herangehen", sagte der Fußball-Lehrer, "aber so machen das die großen Klubs eben, die am längeren Hebel sitzen."

Schon bei Oliver Neuville erlebte der ehemalige Rostocker Trainer, wie ihn ein anderer Klub vor vollendete Tatsachen stellte. "Reiner Calmund hatte ein einziges Mal mit Oliver telefoniert und am nächsten Tag hieß es, er geht nach Leverkusen", erinnert sich Lienen, "dabei hatte der Spieler noch gar nicht zugesagt." Ebenso sei der Wechsel von Sergej Barbarez zu Borussia Dortmund verlaufen. "Das kann man hinter den Kulissen machen", kritisiert Lienen, "aber nicht in der Öffentlichkeit."

Inzwischen hat sich Herthas Trainer Jürgen Röber bei Ewald Lienen telefonisch gemeldet und sein Interesse auch offiziell bekundet. In Köln ist man nun alarmiert und verhandelt seinerseits mit dem jungen Stürmer, der eigentlich noch einen Vertrag bis Saisonende besitzt. Auch mit Mannschaftskapitän Dirk Lottner, der gegen Cottbus den zweiten Treffer schoss, möchten die Kölner verlängern. Lienen scherzte: "Hoffentlich dauern die Verhandlungen bis zur Winterpause, dann schießen die beiden wenigstens noch ein paar Tore."

Nachdem Lienen im Presseraum des Stadions der Freundschaft seinen Unmut über die Sitten der Bundesliga losgeworden war, fragte ihn ein Journalist nach den Unterschieden des Arbeitens in Deutschlands Osten und Westen. "Ich habe keine Lust, in solchen Kategorien zu denken", antwortete Lienen, "in Rostock war ich im Norden Deutschlands, in Köln bin ich im Westen und heute bin ich im Osten." Eigentlich musste man ihm für diese Antwort danken. Hat sich doch nicht alles geändert bei Ewald Lienen.

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