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Herthas Sorgenkind. Alex Alves spielte von 2000 bis 2003 in Berlin. Foto: dapd

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Sport: Der glücklose Gesegnete

Der ehemalige Hertha-Stürmer Alex Alves stirbt im Alter von 37 Jahren an Leukämie.

Seine Bestimmung war ihm immer klar. „Ich bin überzeugt davon, dass Gott wollte, dass ich als Fußballer auf die Welt komme“, sagte Alex Alves vor zwölf Jahren dem Tagesspiegel. Wer den Brasilianer auf dem Rasen gesehen hat, musste ihm zustimmen: Alex Alves war mit vielen Talenten gesegnet, antrittsschnell, trickreich, schussstark, ein kompletter Stürmer. Talent ist in der modernen Fußballwelt aber nicht alles. Man braucht auch Disziplin, man muss zur richtigen Zeit die richtigen Entscheidungen treffen. Und man braucht Glück. Vor allem Letzteres war Alex Alves nicht vergönnt.

Als der Mittelstürmer in der Winterpause der Saison 1999/2000 zu Hertha BSC wechselt, bringt er eine Verheißung mit sich. Alex Alves ist der erste Brasilianer, den sich die Berliner leisten, Hertha überweist sagenhafte 15,2 Millionen Mark an Cruzeiro Belo Horizonte. In Brasilien hat der damals 25-Jährige Tor um Tor geschossen, die Fans lieben ihn und seinen Capoeira-Torjubel: ein Kick mit links, eine schnelle Drehung, noch ein Kick. In Berlin zeigt Alex Alves sein Markenzeichen und sein strahlendes Lächeln nur selten. Häufiger macht er abseits des Feldes auf sich aufmerksam.

Mit welcher Anekdote soll man beginnen? Mit dem weißen Pelzmantel, in dem Alex Alves zur Weihnachtsfeier des Vereins erscheint? Mit der Untersuchung im Kernspintomografen, aus dem er herausklettert, weil er Hunger hat? Mit dem Fußpilz, der ihn wochenlang außer Gefecht setzt? Damit, dass ihm Hertha den Autoschlüssel wegnimmt, weil er ohne gültigen Führerschein durch Berlin braust? Oder mit dem TV-Interview, das er abbricht, weil ihm ein versprochenes Schnitzelbrötchen vorenthalten wird? Von seiner Frau Nadia trennt sich Alves während seiner Zeit in Berlin vier Mal und rauft sich vier Mal wieder mit ihr zusammen. Einsam wirkt er trotzdem. „Deutschland ist ein kaltes Land“, sagt er einmal, „und ich kenne doch so wenige Leute in der Stadt.“

Zwischen 2000 und 2003 läuft Alex Alves in der Bundesliga 81 Mal für Hertha auf und schießt dabei 25 Tore. Und er zahlt rund 130 000 Euro an Geldstrafen. Er meldet sich wegen einer Halsentzündung vom Training ab und geht auf dem Tauentzien shoppen, er verpasst eine Trainingseinheit und entschuldigt sich damit, eine Schranke im Parkhaus habe sich nicht geöffnet. Am 30. September 2000 drischt er den Ball in einer wie von einer unsichtbaren Hand gezeichneten Kurve gegen den 1. FC Köln vom Anstoßkreis ins Tor, der Fernsehreporter brüllt: „Das Tor geht in die Geschichte der Bundesliga ein.“ Der Treffer aus 52,10 Metern wird zum Tor des Jahres gewählt. „Ich freue mich, dass ich dieses Tor für Hertha geschossen habe“, wird Alex Alves Jahre später sagen. „Zumindest konnte ich so allen diesen glücklichen Augenblick hinterlassen.“

2003 hat Hertha genug von Alex Alves gesehen und ihm genug Gehalt überwiesen. Für 500 000 Euro schicken die Berliner den teuersten Spieler der Vereinsgeschichte zurück nach Brasilien. Auch dort wird Alves nicht glücklich. Er wird von Verein zu Verein gereicht, seine Ehe scheitert, einmal geht er noch nach Europa, in die zweite griechische Liga.

Im Oktober 2012 wird bekannt, dass Alves an Leukämie leidet. Das viele Geld ist verschwunden, die Therapie zu teuer, einer seiner Brüder spendet ihm schließlich Knochenmark. Um Alves zu helfen, will Hertha die Medaille für das Tor des Monats September 2000 versteigern, Fans bieten bis zu 1000 Euro. Das Geld wird Alex Alves nicht mehr erreichen. Am gestrigen Mittwoch erliegt der glücklose Gesegnete im Alter von 37 Jahren seinem Krebsleiden. Lars Spannagel

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