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Sport: Der letzte Rausch ist blasse Erinnerung

BERLIN . Die 750er Suzuki von Ralf Braun hat einen Sportauspuff und 138 PS.

BERLIN . Die 750er Suzuki von Ralf Braun hat einen Sportauspuff und 138 PS. 138 PS? Wie schnell läuft denn das Geschoß? "280", sagt Braun und grinst. Mit 265 ist er schon über die Autobahn gejagt. Für ihn ist das Spaß. Ralf Braun hüpfte bei den Good-will-Games in New York auch dreimal hintereinander vom Sprungturm. Obwohl er wußte, daß er, der Rückenschwimmer, Ärger mit dem Bundestrainer bekommen würde. Es war ihm egal. "Ich wollte meinen Spaß." Spaß ist ein ziemlich wichtiges Wort für Ralf Braun. Früher was es sogar mal das wichtigste. "Früher war jedes Wochenende Party", sagt Braun und grinst wieder. Früher gab er sich die Kante und wäre mal bei einem Trainingslager fast rausgeflogen, weil er frühmorgens auf dem Flur des Mannschaftshotels auch noch Spaß wollte. Früher "schaute ich auch mal, wie es ist, wenn man drei Tage besoffen ist und dann trainiert". Da kam zum Spaß die Selbsterfahrung. Die fand er nicht schlecht. Der Berliner wurde Fünfter bei der WM 1994 über 200 m Rücken, Siebter bei den Olympischen Spielen 1996 über 100 m Rücken und EM-Dritter 1997 über 200 m Rücken. "Ich glaube", sagt Braun mit großem Ernst, "daß ich auch deshalb recht gut war, weil ich Spaß hatte." Und weil er so elegant wie kaum ein anderer in der Welt auf dem Rücken durchs Wasser pflügt.Es waren die wilden Jahre des Ralf Braun. Er war Sportsoldat und konnte "2000 Mark im Monat auf den Kopf hauen". Sein Talent sicherte ihm ein stetes Niveau, und deshalb war Sport vor allem viel Spaß und wenig Leistungsstreß. 1997 verließ er die Bundeswehr, wurde ein Jahr lang von den Eltern unterstützt und war nur deshalb nicht mehr ganz so wild, weil er weniger Geld hatte. Schon diese Zurückhaltung zahlte sich aus. Braun, der Stilist, wurde im Januar 1998 Vize-Weltmeister über 200 m Rücken.Aber jetzt sitzt er am Beckenrand im Sportforum Hohenschönhausen und redet von "Leistung" wie ein Pfarrer von Jesus Christus. Ehrfurchtsvoll. Dann wieder fast andächtig. Und dann wieder fast begeistert. In Ralf Braun ist etwas passiert. Er ist kein neuer Mensch, das nicht, aber er muß überlegen, wann er zum letzten Mal hinüber war. "Richtig besoffen", sagt der 25jährige von den Wasserfreunden Spandau und legt die Hand auf die eintätowierten olympischen Ringe auf seiner breiten Brust, "war ich zuletzt vor eineinhalb Jahren."Ralf Braun studiert, seit 1998. Das ist jetzt neu. Wirtschaftskommunikation, Marketing, zweites Semester. Er hatte zwei Jahre auf den Platz an der Fachhochschule warten müssen. Und als "ich ihn bekam, habe ich mich gefreut wie kein anderer". Das war jetzt kein Spaß mehr, sondern rauher Alltag. Aber er wollte es so. Er dachte an später, an eine sichere Existenz und daß er nur mit guten Noten "mal Entscheidungsträger" wird, und deshalb kniet er sich jetzt rein. Er kann an der FH nicht einfach Kurse verlegen wie die Uni-Studenten, er möchte es auch nicht. Also macht er im Training weniger Kilometer und streicht zur Not eine Einheit. Aber über 200 m Rücken ist er trotzdem einer der drei Europäer, die derzeit unter zwei Minuten schwimmen können. Die gegenwärtige europäischen Rangliste führt er immer noch mit 1:59,23 Minuten an. Seine WM-Zeit. Und bei der Europameisterschaft in Istanbul will er über 200 m Rücken "unbedingt" eine Medaille. "Sonst bin ich superenttäuscht."Studierende Medaillenkandidaten sind ja letztlich Alltag. Mark Warnecke, der Brust-Weltrekordler, und Chris-Carol Bremer, das Schmetterling-As, studieren Medizin. Mit Urlaubssemestern, sicher, aber sie haben trotzdem Streß. Aber sie sagen nichts. Braun jammert auch nicht. Doch für ihn ist das Studium mehr als Ausbildung. Es veränderte den Menschen Braun. "Ich bin extrem ruhig geworden. Die Wochenenden fallen flach, da muß ich Stoff nachholen." Er büffelt bis Mitternacht und steht um sieben wieder am Beckenrand. "Ich verstehe jetzt sehr gut", sagt er, "daß Arbeiter nach zwölf Stunden Job bloß noch vor dem Fernseher hocken." Für Braun ist so ein Verständnis neu. Für ihn war bisher Party-time.Aber er sucht die richtige Mischung. Büffelei und Spaß, beides muß gehen. Die Mannschaft fliegt am Montag nach Istanbul, Braun fünf Tage später. Am Mittwoch schreibt er noch eine Klausur. Der Bundestrainer war dagegen, aber Braun blieb hart. Doch weil er auch noch Spaß haben will, schwingt er sich dazwischen auf sein 138-PS-Motorrad. 265 km/h? Na und? "Ob ich bei 120 absteige oder bei 265 ist doch egal. Fliege ich halt statt 20 Metern 130 Meter weit." Doch spätestens da dürfte der Spaß endgültig aufhören. Auch für Ralf Braun.

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