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Sport: Der Mob gegen den Kapitän

Ein Jahr vor der EM lösen Österreichs Fans einen Skandal aus

Der Wiener Mob stand bereits auf dem Zaun. Nur wenige Meter vom Erzfeind entfernt, der gerade zur Ausführung einer Ecke angetreten war. Junge Menschen mit verzerrten Gesichtern schrien und zeterten, reckten Zeigefinger in die Höhe, warfen Becher und Feuerzeuge, schimpften und spuckten. Und wäre nicht das dichtmaschige Fangnetz gewesen, Handgreiflichkeiten wären im Gerhard-Hanappi-Stadion in Wien-Hütteldorf wegen des überforderten Ordnungsdienstes unausweichlich gewesen. Andreas Ivanschitz, Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft, trat zwar wacker weiter jeden Eckball, doch auch an ihm gingen die grotesken Szenen eines Länderspiels nicht vorüber, das eigentlich zur Einstimmung auf die in fast genau einem Jahr beginnende Europameisterschaft gedacht war.

Weniger das 0:1 gegen Schottland als das skandalöse Verhalten der Fans ernüchtert Österreich. Während aus der Westkurve Stimmung gegen den eigenen Mann gemacht wurde und beleidigende Plakate aufgehängt waren („Judasschitz: raus aus Hütteldorf“), versuchte es das Gros mit aufmunterndem Beifall. Allein: Gegen die stimmgewaltige wie dummköpfige Gefolgschaft von Rapid, dem Verein mit dem größten Fan- und Gewaltpotenzial im Land, kam der gemeine Wiener unter nur 13 200 Zuschauern kaum zu Wort. Dazu muss man wissen: Bis zum Winter 2005/2006 war Ivanschitz im Hanappi-Stadion, der Heimat von Rapid Wien, das Idol, ehe er dem finanziellen Lockruf von Red Bull Salzburg erlag. Dort setzte sich der Spielmacher nicht durch, spielt seitdem bei Panathinaikos Athen. Das Länderspiel war sein erster Auftritt in der alten Heimat und eine Blamage für die ganze Nation.

„Manchmal geniere ich mich, ein Österreicher zu sein. So etwas gibt es in keinem anderen Land der Welt. Das war Terror!“, sagte Verbandschef Friedrich Stickler mit stockender Stimme, während Bundespräsident Heinz Fischer geschockt auf der Vip-Tribüne hockte. „Ich hatte das leider erwartet, sagte Teamchef Josef Hickersberger, „ich schäme mich, Rapid-Trainer gewesen zu sein.“ Zumal Ivanschitz nicht nur einer der wenigen Profis ist, die noch im Ausland gefragt sind, sondern auch Kapitän und Taktgeber einer weitgehend gesichtslosen Nationalelf. Nur gut, dass der bei einigen so verhasste Hoffnungsträger äußerlich die Fassung bewahrte. Keine abfällige Geste, keine aggressive Tonart. „Es ist wohl noch nicht genug Gras über die Sache gewachsen“, sagte Ivanschitz, wichtig sei ihm, „dass 95 Prozent der Leute hinter mir gestanden haben“.

Und doch findet die Minderheit einen Widerhall, der einem mittelschweren Skandal gleichkommt. Der wiederum steht symbolhaft für die vielen Scharmützel, die den österreichischen Fußball immer noch lähmen. Finanzpleiten, Bestechung, Offenbarungseide: Die Liga steht sich selbst im Wege, und auch die Nationalelf kommt kaum voran – 2007 ist sie noch sieglos, 2006 hat sie gegen Ungarn, Kanada und Venezuela verloren.

Nicht wenige werten den Imageschaden als ähnlich verheerend wie die legendäre 0:1-Niederlage gegen die Färöer von 1990. Morgen testet die Nationalmannschaft erneut im Hanappi-Stadion (gegen Paraguay), und vieles deutet darauf hin, dass sich das unwürdige Schauspiel wiederholt. Nur gut, dass die Österreicher zu ihrem EM-Auftakt am 8. Juni 2008 im derzeit wegen Renovierung geschlossenen Ernst-Happel-Stadion in Wien antreten. Es gilt als neutraler Ort.

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