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Sport: Der Pferdepsychologe

Harro Remmert war ein erfolgreicher Jockey und nach seinem Unfall ein erfolgreicher Trainer – jetzt hört er auf

Köln. Manchmal verrät schon die Stimme alles. Ist einer laut und polternd, dann gilt er als Rohling, als unsensibel, als taub für Zwischentöne. Kurz gesagt: als grober Klotz. Harro Remmert hingegen – das wird schnell deutlich – gehört nicht zu dieser unsensiblen Spezies. Im Gegenteil: Er flüstert fast, und der weiche, warme Klang seiner Stimme signalisiert vornehme Zurückhaltung. Gleichzeitig, wenn Remmert erzählt über sein Leben im Galopprennsport, verraten seine wachen Augen immer noch eine riesige Begeisterung für seine Tätigkeit, auch nach mehr als vierzig Jahren Berufserfahrung. Er ist nie abgestumpft in diesem Metier, das, wie er selbst sagt, „ein hartes Geschäft ist“, ein gnadenloser und konkurrenzreicher Profisport. Jetzt braucht er sich keine Sorgen mehr zu machen, dass es ihn vielleicht doch noch erwischt. Dass er auf seine alten Tage hin doch noch abstumpfen könnte. Harro Remmert, diese Sportgröße, hat seine Karriere beendet.

Die außergewöhnliche Laufbahn des Harro Remmert, der seit 26 Jahren querschnittsgelähmt ist, sie ist oft mit den für den modernen Sport üblichen Zahlen und Fakten beschrieben worden. Exakt 552 Mal, so lautet die nüchterne Statistik, hat er als Jockey gewonnen, sein größter Triumph war der Derby-Sieg 1973 mit Athenagoras. Dann wurde er Trainer, und seit 1976 gewannen die von ihm betreuten Pferde 1021 Mal. Doch nun hat der 60-Jährige, den eine Jury des Informationsdienstes „Galopp Intern“ vor kurzem noch einmal zum „Trainer des Jahres“ gewählt hatte, den von ihm geführten Rennstall „Olymp“ an der Rennbahn in Köln-Weidenpesch aufgelöst. Sein letztes Rennen führte ihn Ende Dezember nach Florida. Seine Stute Uriah belegte dort den achten Platz.

Der unbedingte Wille

Stuten gelten im Galopprennsport als schwerer trainierbar. Sie reagieren sensibler auf äußere Einflüsse als Hengste, und ihre psychische Verfassung scheint für viele Beobachter hochkompliziert zu sein. Nicht so für Harro Remmert. Er hat gar einen Ruf als „Stutenprofessor“. Den hat er sich hart erarbeitet. Unter seiner Regie haben sich viele Stuten exzellent entwickelt und ihren Besitzern viel Geld eingebracht. Es gab sogar mal Zeiten, da waren drei Viertel seiner Pferde im Stall Stuten. „Es hat sich einfach so ergeben“, sagt Remmert. Die Gründe kann er sich wirklich nicht erklären. Zumindest sagt er das. Aber möglicherweise liegt das einfach an seiner Arbeitsweise, an seinem Zugang zu diesem Sport und daran, wie er hineinhorcht in seine Tiere.

Gerade in Florida hat er erst wieder kopfschüttelnd registriert, „dass die Amerikaner mit den Pferden nur mit der Stoppuhr arbeiten“, als hätten sie etwas rein Mechanisches vor sich, eine Galoppermaschine. Seine Philosophie hingegen hat nie auf nackten Zahlen und Zeiten beruht, er selbst hat diese Stoppuhr immer in sich getragen. „Ich habe immer meinem Gefühl vertraut“, sagt Remmert, darauf komme es im Wesentlichen an. „Das Wichtigste beim Pferd ist die Psyche – sie entscheidet dann im Rennen, ob der letzte Willen zum Sieg entwickelt wird.“

Diesen unbedingten Willen – auch Harro Remmert hat ihn demonstrieren müssen nach seinem tragischen Rennunfall am 25. April 1976 in Krefeld. Damals, beim Dr.- Busch-Memorial, dem ersten großen Rennen der Saison, kam der von ihm gerittene Hengst Arpad vom Geläuf ab und raste auf eine Baumgruppe zu. „Ich hätte abspringen können“, sagt Remmert, „aber auch dann hätte ich mir das Genick brechen können.“ Er blieb im Sattel sitzen, „weil ich dachte, ich schaffe das noch“, streifte einen Baum und wurde gegen einen zweiten geschleudert. Remmert brach sich dabei die Wirbelsäule, die Nervenstränge wurden durchtrennt. „Wie ein Kabel“, sagt er. Seitdem ist Remmert, der damals 33 Jahre alt war, querschnittsgelähmt. Wie tragisch das ist, als Athlet auf einmal im Rollstuhl zu sitzen, als jemand, der zuvor jeden Tag mit seinem Körper gearbeitet hatte – das lässt sich nur schwer erahnen.

Nicht wenige Menschen zerbrechen an einem Unfall wie diesem. „Ich hatte keine Zeit, mit meinem Schicksal zu hadern“, sagt Remmert, „das war mein Glück.“ Schon kurz nach dem Unfall kamen Freunde mit einer französischen Sportzeitung und zeigten ihm ein Foto: Einen im Rollstuhl sitzenden Galoppertrainer. „Ein Schlüsselmoment“, sagt Remmert.

Gleich darauf begann er einen Trainerlehrgang, und noch vor der Abschlussprüfung erhielt er aus Neuss das Angebot, einen Stall aufzubauen. Bereits im ersten Jahr als Trainer gewann sein Pferd den „Großen Preis von Baden-Baden“. Es war ein wichtiger Erfolg für Remmert. Vor allem, weil er bald die Erfahrung machte, „dass man als Behinderter immer ein bisschen besser sein muss als andere“. 1987 schließlich wechselte er zum „Olymp“-Rennstall nach Köln, und auch dort gewann das von ihm betreute Pferd „Kamiros“, als großer Außenseiter gestartet, mit dem „Großen Preis von Europa“ ein wichtiges Rennen.

Leiser Abschied

Nun, da er als Trainer den letzten Zieleinlauf passiert hat, genießt er die Ruhe. Nicht mehr um 4 Uhr 30 geweckt werden. Nicht mehr den ganzen Tag nur Gedanken an Pferde, Nennungslisten und Rennkalender haben. Er will nun reisen und lesen und dabei dennoch seiner geliebten Turf-Szene verbunden bleiben, ohne jedoch „den Leuten dabei auf den Wecker zu gehen“. Auch der Abschied Remmerts, einer der größten Persönlichkeiten des deutschen Galopprennsports, wird sich also leise vollziehen. Doch nicht wenige werden auf seine Stimme nur ungern verzichten.

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