zum Hauptinhalt

Sport: Der schöne Absprung

Heike Drechsler wird bei ihrem Abschied vom Leistungssport bejubelt

Berlin - Heike Drechsler wischte sich eine Träne aus den Augen. Sie weinte nicht wirklich, sie hatte nur für einen Moment feuchte Augen. „Mir ist zum Heulen“, sagte sie ins Mikrofon, und über die riesigen Boxen wurde der Satz ins ganze Olympiastadion übertragen. Dann sagte Heike Drechsler noch, „dass mir jetzt die Worte fehlen“. Aber das machte nichts. Die vielen tausend Zuschauer im Stadion übernahmen ihren Part. Sie jubelten, sie klatschten, sie brachten der Weitspringerin Standing Ovations. Es war der Abschluss des Istaf, es waren bewegende Szenen, und es war in diesem Moment völlig egal, das Heike Drechsler nur 5,92 m gesprungen war. Weiter kam sie nicht nach drei Versuchen, dann gab sie auf. Die Folgen ihres Muskelfaserrisses im linken Oberschenkel waren zu stark. Die 39-Jährige wollte sich hier, bei ihrem letzten großen Wettkampf, mit einer beachtlichen Weite verabschieden. Es klappte nicht. Dem Publikum war das an diesem Tag herzlich egal.

Dieses Publikum bereitete Heike Drechsler einen würdigen Abschied. Ein Abschied, wie ihn Heike Drechsler verdient hat, jedenfalls wenn man sie als sportliches Gesamtwerk betrachtet. Heike Drechsler in Zahlen gefasst: zweimal Olympiasiegerin, viermal Weltmeisterin, zehnmal Europameisterin, 13 Weltrekorde, 409 Sprünge über die magische Sieben-Meter-Marke, Bestleistung 7,48 m. Ihre Karriere begann im dopingbelasteten DDR-Sportsystem, doch auch nach der Wende setzte Heike Drechsler sich durch ihr unglaubliches Talent und extremen Ehrgeiz durch. 1992 wurde sie Olympiasiegerin, und 2000, als 35-Jährige, wiederholte sie sensationell diesen Erfolg. Fachleute zeichneten sie aus als „Leichtathletin des Jahrhunderts“.

Aber hinter diesen Zahlen und Titeln steckt eine sensible, manchmal verbissen wirkende Frau, die irgendwann Gefahr lief, ihr eigenes Denkmal zu zerstören. Sie hörte nicht auf, als sie noch eine Legende war. Stattdessen sprang sie unter den Augen von zunehmend kritischer kommentierenden Fachleuten und im Fokus von Sponsoren und Meeting-Direktoren, die sich irgendwann fragten, ob sie vor allem den Mythos Drechsler finanzierten. Die Sportlerin Drechsler hatte zunehmend Mühe, entsprechende Gegenleistungen zu liefern. 2003 dann sagte Rüdiger Nickel, der Leistungssportverantwortliche im Deutschen Leichtathletik-Verband, einen vernichtenden Satz: „Vielleicht wäre es vernünftiger für sie, jetzt etwas Sinnvolles zu machen. Es ist ja nicht auszuschließen, dass sie es nächstes Jahr noch mal probiert.“

Heike Drechsler probierte es noch mal. Aber ihre Auftritte waren erbärmlich. Sie waren deshalb traurig, weil Heike Drechsler unverändert verkündete: „Ich schaffe die Qualifikation für Athen.“ Die Norm lag bei 6,70 m. Bei der Deutschen Meisterschaft sprang sie 6,21 m. Danach gab sie verletzt auf. Als sie aus dem Stadion schlich, wehte ein kühler Wind, der Himmel war wolkenverhangen, es gab kaum Applaus, weil nur wenige ihr Verschwinden bemerkte. Es war die traurige Kulisse für diesen Abgang.

Gestern schien die Sonne, die Zuschauer brachten Standing Ovations, jeder Sieger des Istaf überreichte Heike Drechsler eine Rose, bis sie mit bewegtem Gesicht einen ganzen Strauß in den Händen hielt. Es war die passende Kulisse für den Abschied einer Größe.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false