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Sport: Der Wacklige stützt die Säule

Per Mertesacker galt als verlässlich und konstant, Arne Friedrich als formschwach – nun haben sie die Rollen in der Abwehr getauscht

In dem Moment, als der Abpfiff ertönt war, sank der hünenhafte Per Mertesacker auf die Knie. Kein kurzer und schon gar kein einfacher Weg, den der Bremer da nahm bei einer Körperhöhe von knapp zwei Metern. Aber was war das schon im Vergleich zu dem, was hinter ihm lag. Mehrfach war der 25 Jahre alte Verteidiger von den flinken Ghanaern düpiert worden, stand falsch oder hatte einfach nicht die richtige Distanz zu ihnen gefunden. Dass Per Mertesacker dann – wie seinem Gesicht zu entnehmen war – dennoch erleichtert zu Boden ging, lag zuallererst an seinem Partner Arne Friedrich.

Der Berliner Innenverteidiger hatte sich zu ihm gekniet, beide umarmten sie sich für ein Weilchen. Ein sattsames Weilchen für Fußballplatzverhältnisse. Auch in der Schlussfigur bot Friedrich seinem dieses Mal bedrohlich wackeligen Kantonisten Halt. Man muss dazu wissen, dass dieses Paar alles andere als eingespielt, sondern eher aus Versehen entstanden ist. Im Grunde hat es sich erst während der vergangenen drei Wochen im Laufe der Vorbereitung auf das Turnier in Südafrika gefunden. Und nun ließ es im entscheidenden Spiel gegen Ghana kein Gegentor zu – obgleich Mertesacker dies durchaus provoziert hatte.

Der Bremer Profi gilt seit Jahren als die große Konstante, als das – im besten Wortsinne – Pfeilerhafte im Abwehrzentrum. Wenn vieles nicht klappte in den vergangenen Jahren: Mertesacker stand und stabilisierte. Seine bisherigen Partner in der Innenverteidigung sind ihm inzwischen wegen verlässlicher Formschwäche oder frischen Verletzungen abhanden gekommen, und so machte sich Arne Friedrich gleich mehrere Momente zunutze, denn der Berliner war nicht die logische Wahl des Bundestrainers. Doch da waren plötzlich die personelle Vakanz in der defensiven Zentrale sowie ein Defizit in Sachen Mannschaftsdemografie. Friedrich ist mit seinen 31 Jahren der zweitälteste Feldspieler in einem Kader, der überläuft vor jungen Spielern. Schließlich brachte der Wegfall von Kapitän Michael Ballack noch ein Vakuum in Sachen Teamführung mit sich. Eine Situation, wie gemacht für den langjährigen Kapitän von Hertha BSC.

„Arne hat mich in der Vorbereitung einfach enorm überzeugt“, hatte Joachim Löw vor ein paar Tagen erzählt. Nach dem Spiel gegen Ghana sagte der Bundestrainer: „Arne Friedrich hat eine hervorragende Leistung gebracht, Kompliment.“

Der Bundestrainer ist nicht der Einzige, der die späte Ausreifung des Berliners als ein Geschenk betrachtet. Überhaupt ist Arne Friedrich ein Rätsel. Der gebürtige Westfale ist aus deutscher Sicht schon jetzt die Entdeckung des Turniers. „Wir sind selbstkritisch genug, um zu wissen, dass diese Leistung im Achtelfinale gegen England nicht reichen wird – in allen Mannschaftsteilen“, sagte Friedrich. Mit seiner Einschätzung hob er sich wohltuend ab von der seiner Kollegen. Man habe sich gegen Ghana lange schwergetan, die junge Mannschaft hätte „ein bisschen Angst gehabt vor dem worst case“. Er, Friedrich, hoffe nun, dass sie rechtzeitig zu einer Leistungssteigerung finde.

Wenn man Friedrich gestern im Mannschaftsquartier reden hörte, war es fast so, als redete er über seinen Klub. Mit Hertha, wo er seit acht Jahren spielt, ist er abgeschlagen abgestiegen. Insbesondere er war hart kritisiert und mit bösen wie zum Teil unsachlichen Vorwürfen und Häme überzogen worden. „Ich beschwere mich darüber nicht, aber ich mache mir so meine Gedanken“, hatte Friedrich vor einigen Tagen hier in Südafrika erzählt. Nach acht Jahren hätte er sich etwas anderes gewünscht. Genauso lange spielt Friedrich nun schon für die Nationalelf. Das Spiel gegen Ghana war sein 75. Einsatz für Deutschland. Aber noch nie war er so wertvoll. Das sei „Balsam auf die Wunden“, die er aus der Saison mitgenommen habe. Die Kränkungen in Berlin sind beiseite geschoben, sagt er.

In der Nationalelf gehört Friedrich, neben Mertesacker, dem neu formierten Mannschaftsrat an und genießt höchste Wertschätzung bei seinen Mitspielern. Auch das war nicht immer so. Über Jahre hinweg hatte er auf der für ihn ungeliebten rechten Außenseite zu verteidigen, vor jedem Turnier galt er entweder als Wackelkandidat, der als Erster aus der Mannschaft kippt, oder als der, der sich erst im Verlaufe eines Turniers in die Mannschaft kämpfen musste. Er war ein Mitläufer mit 70 Länderspielen.

Und doch bot Arne Friedrich gerade in den wichtigen Spielen seine verlässlichsten Leistungen. Im WM-Viertelfinale 2006 gegen Argentinien deckte er Tevez zu, im EM-Viertelfinale 2008 gegen Portugal meldete er Cristiano Ronaldo ab. Joachim Löw hat das nicht vergessen, weshalb er trotz einer verkorksten Saison an Friedrich festhielt. Nun ist dieser es, der Mertesacker festhält. Der Bremer sei oft genug eine Stütze gewesen. Mertesacker habe noch nicht so ins Turnier gefunden, aber das sei ihm auch mal zugestanden, sagte Friedrich: „Ich weiß ja, wie es ist, wenn man kritisiert wird.“

Und wieder hörte es sich irgendwie nach Hertha, nach Friedrichs Tälern an. In Berlin mag man ihn nicht mehr haben, zu teuer sei er, zu alt, vielleicht auch verbrannt. So heißt es. Wie seine Zukunft aussieht, wisse er noch nicht. „Alles ist offen“, sagte Arne Friedrich: „Und ich bin es auch.“

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