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Kevin-Prince Boateng: Des Prinzen neue Heimat

Tottenham erinnert ein bisschen an Berlin-Wedding, aber die Spurs sind Hertha BSC einen Schritt voraus. Kevin-Prince Boateng an seiner neuen Wirkungsstätte.

Von Markus Hesselmann

Tottenham ist ein bisschen wie Wedding. Das Stadion des Hotspur FC liegt in einem leicht heruntergekommenen Wohn- und Geschäftsviertel im Norden Londons mit den üblichen Imbissbuden, Gemüsehändlern und Internetcafés. Die kleinen Läden werden größtenteils von Einwanderern aus Afrika, der Karibik und der Türkei betrieben. Auch die Eckkneipe gegenüber dem Stadion erinnert an Berliner Verhältnisse. Im „Corner Pin“ versammeln sich schon tagsüber die Rentner beim Bier. Bob Marley liefert den Soundtrack zum kleinen Nachmittagsrausch: No Woman No Cry. „Stimmt nicht. Ich hätte gern eine gute Frau“, sagt einer der grauhaarigen Trinker. An den Wänden hängen Dokumente aus großen Zeiten der Spurs. Das größte Bild gebührt Jürgen Klinsmann, der in den Neunzigerjahren für Tottenham stürmte. „Our Man“, steht in fetter Filzstiftschrift unter dem Porträt, kein Foto, eher ein realistisch gemaltes Heiligenbild. An der Ecke Tottenham High Road und Park Lane, wo der „Corner Pin“-Pub ab mittags zum Alkohol ruft, gründeten elf Schüler einst den Fußballklub Tottenham Hotspur. Das war vor 125 Jahren, am 5. September 1882, und für englische Verhältnisse spät. Auf der Insel wurde da schon seit 25 Jahren in Vereinen gekickt. Aber die Spurs sind damit immer noch zehn Jahre älter als Hertha BSC.

Ein junger Mann aus Berlin schafft nun eine aktuelle Verbindung zwischen beiden Traditionsklubs. Kevin-Prince Boateng, Sohn eines Afrikaners, aufgewachsen im Wedding, ausgebildet bei Hertha, deutscher Juniorennationalspieler, ist zu Tottenham Hotspur gewechselt. Als „The Ghetto Kid“ kündigen die Londoner Zeitungen den 20-Jährigen an. „Er sieht aus wie ein gemeiner Rapper“, sagt Jim Duggan. „Das ist gut für uns. Wir brauchen etwas mehr Härte im Mittelfeld.“ Duggan ist seit 33 Jahren Tottenham-Fan und betreut die Internet-Seite topspurs.com. Inoffiziell, unabhängig und kritisch – darauf legt Duggan Wert. Tottenham holte zwar achtmal den FA-Cup, zweimal den Uefa- Cup und einmal den Europapokal der Pokalsieger, doch in der englischen Liga hat der Klub mit nur zwei Meistertiteln (1951 und 1961) eine bescheidene Bilanz. Den Spurs haftet der Ruf an, meist schön, aber selten erfolgreich zu spielen. „Uns fehlt der Killerinstinkt, den Arsenal hat“, sagt Duggan. Der letzte Sieg gegen die Nord- Londoner Konkurrenz vom FC Arsenal datiert aus dem vorigen Jahrhundert, von 1999 genauer gesagt. Eine Schmach für alt gediente Tottenham-Fans, von denen manche den Verein seit Generationen unterstützen. „Für Tottenham zu sein liegt bei mir in der Familie“, sagt Jim Duggan. Seine Eltern benannten ihn nach Stürmerstar Jimmy Greaves, der in den Sechzigern 266 Tore für Tottenham erzielte.

Doch Duggan und die anderen Tottenham-Fans können hoffen. Die Spurs sind zumindest wieder dran an Arsenal. Zweimal wurde Tottenham zuletzt Fünfter, einen Platz hinter der Qualifikationsplatz für die Champions League, den Arsenal beide Male belegte. In diesem Jahr soll der entscheidende Schritt gelingen, und zwar am besten auf Kosten des Nord-Londoner Rivalen. Die Experten des Fußball-Magazins „Four Four Two“ trauen es Tottenham zu, in die Gruppe der großen Vier einzubrechen. Hinter Chelsea, Manchester United und Liverpool setzen sie Tottenham auf Platz vier – vor Arsenal.

Der Konkurrent hat Superstar Thierry Henry an den FC Barcelona verloren. Tottenham hielt sein Team zusammen. Vor allem der Verbleib des früheren Leverkuseners Dimitar Berbatow, mit insgesamt 23 Toren bester Schütze der Vorsaison, war für Trainer Martin Jol wichtig. Hinzu kommt Darren Bent als prominentester Neuer. Der 23-Jährige stieg zwar in der vergangenen Saison mit Charlton Athletic ab, gilt aber als einer der besten englischen Stürmer zurzeit. 24 Millionen Euro soll Tottenham für Bents Transfer bezahlt haben. Boateng ist also mit seinen angeblichen 7,5 Millionen längst nicht der teuerste oder wichtigste Einkauf der Spurs. Der selbstbewusste junge Berliner, der nicht gerade als einfach gilt, wird sich wohl erst einmal mit der Rolle des Ergänzungsspielers zufrieden geben müssen. Zumal er wegen der langwierigen Vertragsverhandlungen und fast die gesamte Vorbereitung verpasste. Gestern stellte er sich (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) in einem Freundschaftsspiel gegen den FC Turin in Tottenham vor. In den Fan-Foren und den Internetausgaben der Zeitungen läuft die Diskussion über den neuen Mann aus Berlin längst. Viele Einträge sind erwartungsfroh. Doch es gibt auch skeptische Stimmen. „Ich bin mir nicht sicher mit dem ,Prinzen’“, schreibt ein Ben K. auf der Homepage des Massenblatts „Daily Mail“. „Er scheint doch eine ziemliche Primadonna zu sein.“

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