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Tragik des Titan: Der brasilianische Stürmer Ronaldo (l) hilft Torhüter Oliver Kahn auf die Beine in Yokohama.

© Oliver Berg/dpa

Deutschland gegen Brasilien in Berlin: Tore, Triumphe und Tragödien

Das 1:7 von Belo Horizonte ging in die Geschichte ein. Doch schon davor lieferten sich Deutschland und Brasilien einige packende Duelle. Sieben Erinnerungen.

Am späten Dienstagabend werden Deutschland und Brasilien im Berliner Olympiastadion ihrer gemeinsamen Fußballgeschichte ein neues Kapitel hinzugefügt haben. Aus deutscher Sicht fand diese Geschichte ihren Höhepunkt beim 7:1-Sieg vor vier Jahren, ausgerechnet im Halbfinale der Weltmeisterschaft in Brasilien. Doch schon zuvor gab es allerlei Kurioses zu bestaunen, wenn diese beiden Länder sich auf dem Rasen duellierten. Ein Rückblick auf sieben ausgewählte Spiele vor den sieben deutschen Toren von Belo Horizonte.

Das erste Mal

24.7.1952, Olympia Viertelfinale in Helsinki:

Deutschland – Brasilien 4:2

Die Olympischen Spiele von Helsinki sehen erstmals eine brasilianische Mannschaft in der heute als klassisch empfunden gelb-blau-grünen Aufmachung. Diese geht zurück auf das größte anzunehmende nationale Unglück, die 1:2-Niederlage im finalen Spiel der Weltmeisterschaft 1950 daheim in Rio de Janeiro gegen Uruguay. Die dabei getragene weiße Tracht wurde aussortiert und ein nationaler Wettbewerb ausgeschrieben. Der 18-jährige Aldyr Garcia Schlee wirft schnell eine Zeichnung mit gelbem Hemd, grünem Kragen, blauer Hose und weißen Strümpfen auf Papier und wundert sich selbst am meisten darüber, dass er damit gewinnt. Das sportliche Glück lässt bei der Premiere in Helsinki noch auf sich warten.

Zwar gehen die Brasilianer durch Larry und Zozimo in Führung. Das 2:0 hält bis eine Viertelstunde vor Schluss, aber Willi Schröder und Karl Klug erzwingen mit zwei späten Toren noch eine Verlängerung, in der abermals Schröder und Hans Zeitler das Spiel entscheiden. Weil beide Mannschaften ausschließlich Amateure aufbieten, geht das olympische Viertelfinale nicht als offizielles A-Länderspiel in die Geschichte ein. Die Brasilianer haben immerhin einen dabei, der einmal zu den ganz Großen gehören wird: Edvaldo Izidio Neto, genannt Vava, prägendes Mitglied der Weltmeistermannschaften von 1958 und 1962.

Zigaretten in der Kabine

16.6.1968, Testspiel in Stuttgart:

Deutschland – Brasilien 2:1

Es ist ein kriselndes Brasilien, das sich in Stuttgart vorstellt. Zwei Jahre zuvor ist der zweimalige Weltmeister bei der WM in England glanzlos untergegangen, aus dem Turnier getreten von überharten Portugiesen und Bulgaren. Der Dribbelkönig Garrincha trat danach aus der Nationalmannschaft zurück und der große Pelé schwor, nie wieder in Gelb-Blau-Grün aufzulaufen. Das lässt er sich schnell ausreden und das Spiel gegen die Deutschen doch sausen, weil zur selben Zeit eine Europatournee seines FC Santos ansteht.

Im Fernsehen verfolgt ein schlecht gelaunter Pelé, wie seine lustlosen Landsleute den Deutschen deutlich unterlegen sind. Siegfried Held und Bernd Dörfel schießen eine 2:0-Führug heraus, Tostao gelingt er Anschluss, aber mehr ist nicht drin. Zu größerer Form drehen die Brasilianer erst nach dem Schlusspfiff auf. Die deutschen Spieler staunen nicht schlecht über die improvisierte Party in der Kabine des Gastes. Betreuer reichen Erfrischungsgetränke und der Verbandspräsident persönlich verteilt Zigaretten. Die mitgereisten Korrespondenten finden das gar nicht lustig. „Brasilien entging nur knapp einem Gemetzel“, heißt es im „Journal do Esporte“, und: „Das Ergebnis zeigt nicht die technische und taktische Überlegenheit der Deutschen auf.“

Ex-Trainer unter sich: Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann wird von Ex-Nationaltrainer Carlos Dunga verfolgt. 1993 gewinnt Deutschland mit 2:1.
Ex-Trainer unter sich: Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann wird von Ex-Nationaltrainer Carlos Dunga verfolgt. 1993 gewinnt Deutschland mit 2:1.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Sommer im Winter

7.1.1981, Mini-WM in Montevideo:

Brasilien – Deutschland 4:1

Die Deutschen reisen kurz vor dem Jahresende aus dem europäischen Winter in den südamerikanischen Sommer nach Montevideo und fühlen sich so stark wie lange nicht mehr. Ein halbes Jahr zuvor haben sie in Rom die Europameisterschaft gewonnen und sind jetzt schon seit 23 Spielen unbesiegt. Bei der Mini-WM, einem Turnier zum 50. Jubiläum der ersten Weltmeisterschaft 1930 in Uruguay, soll dieser Höhenflug eine Fortsetzung finden. Doch schon im ersten Vorrundenspiel gegen Argentinien kann der Europameister eine 1:0-Führung nicht über die Zeit bringen und verliert in den Schlussminuten noch 1:2.

Gegen die Brasilianer wird es noch schlimmer. Zwar gelingt Klaus Allofs nach torloser erster Halbzeit schnell das 1:0, aber danach brechen die Deutschen ein. Es spielen nur noch die Brasilianer, deren Überlegenheit durch die Tore von Junior, Cerezo und zweimal Sergio kaum angemessen wiedergegeben wird. Es ist die höchste deutsche Länderspiel-Niederlage seit dem 3:6 1958 gegen Frankreich. Bundestrainer Jupp Derwall muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen: „Wie fest sitzen Sie noch im Sattel?“ Oder: „Sind Sie hergekommen um teilzunehmen, oder um spazieren zu gehen?“

Späte Turbulenzen

10.6.1993, Testspiel in Washington:

Brasilien – Deutschland 3:3

Zwei Weltmeister absolvieren eine Promo-Tour für die Weltmeisterschaft 1994 in den USA. Eine einseitige Halbzeit lang liegt das Vergnügen im RF Kennedy Stadium von Washington ausschließlich auf brasilianischer Seite. Thomas Helmers Eigentor bringt die Deutschen schnell in Rückstand, danach treffen noch Careca und Luizinho. Einmal jongliert Careca den Ball wie zur Verhöhnung des Gegners auf dem Oberschenkel, bevor er ihn mit der Ferse auf einen Mitspieler weiterleitet. Es sieht nach einem Debakel aus, aber in der Kabine schwört Jürgen Klinsmann seine Kollegen darauf en, „dass wir den Hokuspokus hier nicht länger mitmachen“. Bei 33 Grad im Schatten drehen die Deutschen in der zweiten Hälfte groß auf. Klinsmann und Andreas Möller stellen den Anschluss her, und als abermals Klinsmann in der Schlussminute den Ausgleich schafft, jubelt der sonst so zurückhaltende Bundestrainer Berti Vogts an der Seitenlinie ungestümer als seine entkräfteten Spieler. „Dieses Deutschen haben ein großes Herz und geben niemals auf“, sagt sein Brasilianischer Kollege Carlos Alberto Parreira und diagnostiziert: „Meine Mannschaft hat in der zweiten Halbzeit einen Hitzekollaps erlitten.“

Als Brasilien fast an der Mauer der DDR verzweifelte

Tiefpunkt: Ronaldinho erzielt beim Confed-Cup 1999 das 2:0 gegen Jens Lehmann. Das Spiel endet 0:4.
Tiefpunkt: Ronaldinho erzielt beim Confed-Cup 1999 das 2:0 gegen Jens Lehmann. Das Spiel endet 0:4.

© picture alliance / dpa

Der Tiefpunkt

24.7.1999, Confed-Cup in Guadalajara:

Brasilien – Deutschland 4:0

Noch eine Goodwill-Tour, diesmal nach Mexiko. Erich Ribbeck bekommt als Nachfolger des zurückgetretenen Berti Vogts zwar nicht den Titel eines Bundestrainers, aber den Auftrag, beim Confed-Cup gutes Wetter zu machen für die bevorstehende Abstimmung über die Vergabe der WM 2006. Die Bundesliga mag sich an dieser Mission nur bedingt beteiligen. Zwei Spieler pro Klub werden abgestellt – auf diese Weise wurden Nationalmannshaften zuletzt zu kaiserlichen Zeiten aufgestellt. Herthas Stürmer Michael Preetz zählt neben Mehmet Scholl und Lothar Matthäus noch zu den prominentesten Teilnehmern der Reisegruppe Mexiko. Torhüter Jens Lehmann sagt: „Entweder wir holen uns Lorbeeren, oder wir blamieren uns.“ Fall eins tritt nicht ein, Fall zwei dafür in voller Härte.

Die Brasilianer mühen sich nicht sonderlich und dominieren dennoch nach Belieben. Mit Glück halten die Deutschen bis zur Pause ein 0:0, aber nach Zé Robertos Führungstor nimmt das Desaster seinen Lauf. Ronaldinho und zweimal Alex erzielen die weiteren Tore, und zwischendurch kommt es auch zum Länderspiel-Debüt der Zweitligaspieler Ronald Maul (Bielefeld) und Heike Gerber (Nürnberg), die Ribbeck beide zuvor öfter mal miteinander verwechselt hat. Am Ende bekommt Deutschland die WM und Ribbeck wandert nach Teneriffa aus.

Die Tragik des Titans

30.6. 2002, WM-Finale in Yokohama:

Deutschland – Brasilien 0:2

Wie es die Deutschen bei der WM in Fernost ins Finale schaffen, ist bis heute nicht ganz klar. Es ist auf jedenfalls reichlich Glück im Spiel, ein bisschen Michael Ballack und ganz viel Oliver Kahn. Der Torhüter bleibt in fünf von sechs Spielen vor dem Finale ohne Gegentor, er erwirbt sich dabei den Ehrennamen „Titan“ und wird zum besten Spieler des Turniers gewählt. Es ist – nach dem 0:1 der DDR 1974 – das erste WM-Spiel einer deutschen Nationalmannschaft gegen Brasilien und das beste überhaupt der Deutschen in den vier Wochen von Japan und Südkorea. Und das ohne Michael Ballack, den überragenden Antreiber, der nach seiner zweien Gelben Karte im Halbfinale gegen Südkorea gesperrt ist.

13:3 Ecken und 56:44 Prozent Ballbesitz weist die Statistik am Ende zugunsten der Deutschen aus. Oliver Neuville hat Pech, dass sein Schuss an den Pfosten prallt. Dann aber kommt die 67. Minute und mit ihr Rivaldos Schuss, weder besonders hart noch platziert. Kahn lässt ihn trotzdem abprallen, vor die Füße von Ronaldo, der zum vorentscheidenden 1:0 trifft und später auch das zweite Tor erzielt. Nach dem Spiel bleibt Kahn minutenlang auf dem Rasen sitzen, den Rücken an den Pfosten gelehnt. In Yokohama wird der Titan wieder zum Mensch.

Fast vergessen: Bei der WM 1974 unterliegt die DDR nur knapp gegen Brasilien. Hier der ballführende DDR-Linksaußen Martin Hoffmann (r) und Mittelfeldspieler Paulo Cesar.
Fast vergessen: Bei der WM 1974 unterliegt die DDR nur knapp gegen Brasilien. Hier der ballführende DDR-Linksaußen Martin Hoffmann (r) und Mittelfeldspieler Paulo Cesar.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Fehler beim Mauerbau

26.6.1974, WM-Zwischenrunde in Hannover:

Brasilien – DDR 1:0

Die Länderspiele der DDR-Nationalmannschaft fehlen in der Statistik des DFB. Sie sah sich selbst auch nicht als deutsche Nationalmannschaft, sondern als Auswahl des DFV der DDR. Aber dieses 0:1 bei der Weltmeisterschaft 1974 auf dem Rasen des Klassenfeindes darf schon mal wegen seiner kuriosen Entstehungsgeschichte nicht der Vergessenheit anheimfallen. Die DDR ist in Hannover keinesfalls die schlechtere Mannschaft. Den Brasilianern fällt nichts ein, bis sie dann nach einer Stunde einen Freistoß bekommen, exakt an der gekreideten Rundung vor dem Strafraum. Rivelino legt sich den Ball zurecht und sein Kollege Valdomiro gesellt sich zu den neun Meter entfernten Gegenspielern, sehr interessiert daran zu beobachten, was Ostdeutsche nun mal besonders können, nämlich eine Mauer bauen.

Wo er schon ist da war, bleibt er gleich stehen inmitten der neuen Freubde, geht aber in dem Moment zu Boden, als Rivelino gegen den Ball tritt. Durch die sich unversehens auftuende Lücke in der Mauer fliegt der Ball in die linke Ecke, unhaltbar für verblüfften DDR-Torhüter Jürgen Croy. Roberto Rivelino nimmt vorweg, was 15 Jahre später an der Bornholmer Brücke geschieht. Brasilien gewinnt 1:0 und die DDR muss sich vorhalten lassen, was ihr noch niemand vorgehalten hat: dass sie beim Mauerbau versagt hatte.

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