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Sport: Die Last des Spielplans

Hertha spielt jetzt zweimal zu Hause – ein Vorteil ist das für die schlechteste Heimmannschaft der Liga nicht

Berlin. Christian Fiedler tobte. Er rannte aus seinem Strafraum, schrie seinen Kollegen hinterher. Vermutlich aber verhallten seine Rufe ungehört. Die Fußballer von Hertha BSC waren weit weg von ihrem Torhüter, am Mittelpunkt standen sie, um mal wieder einen Anstoß auszuführen. Für Fiedler war dies keine neue Erfahrung. Herthas Verteidiger standen an diesem Nachmittag meistens weit weg, vor allem von Bayer Leverkusens Stürmern Dimitar Berbatow und Franca, die beim 4:1 gegen den Abstiegskandidaten aus Berlin zweimal zwei Tore erzielten. „Unser Hauptproblem ist die Bereitschaft zu verteidigen“, sagte Fiedler und meinte damit vor allem ihr Fehlen.

Ach, wenn es nur das wäre. An diesem Problem könnte man zumindest arbeiten. Viel schlimmer ist die Unberechenbarkeit. Die beiden Protagonisten der Niederlage, Marko Rehmer und Josip Simunic, sind mehr oder weniger Nationalspieler, Simunic „war mein Bester in diesem Frühjahr“, sagt Trainer Hans Meyer. Rehmer ersetzte den jungen Alexander Madlung, der gegen Bayern eine Woche zuvor in der Abwehr gespielt hatte, als sei er freier Künstler. „Er hat nicht gedeckt“, sagte Meyer, also stellte er seine Verteidigung um, „weil ich dachte, Rehmer deckt besser“. Aber selbst nach mehr als 30 Jahren in diesem Job erlebt Meyer noch Überraschungen. „Es ist ein bisschen ein Würfelspiel“, sagte Meyer.

Immer deutlicher sind bei Hertha in diesen Wochen die Symptome eines Abstiegskandidaten zu beobachten: unerklärliche Fehler auf dem Platz, das Gefühl der Ohnmacht und eine gewisse Resignation. „Ich weiß nicht, ob das an der Konzentration liegt oder an der Angst, Fehler zu machen“, sagte Mittelfeldspieler Pal Dardai über den Auftritt in Leverkusen. Trainer Meyer fühlte sich nach dem Spiel „wie erschlagen. Das ist kompliziert, weil es für mich aus der Luft kommt“.

Knapp 30 Minuten lang spielte Hertha wie ein Anwärter auf den Europapokal und Leverkusen so, als ginge es gegen den Abstieg. „Wir haben schon wieder den Gegner aufgebaut“, sagte Dardai. Als die Berliner, wie ihr Manager Dieter Hoeneß sagte, „aus keiner Situation das 1:1“ kassierten, war alles vorbei. Die Mannschaft brach auseinander, ergab sich ihrer Bestimmung, schon wieder verlieren zu müssen, und glaubte fortan nicht mehr an die eigene Stärke. Fünf Minuten nach dem 1:1 fiel das 2:1 für Bayer.

Das Zustandekommen solcher Niederlagen wirft die Frage nach dem seelischen Zustand der Mannschaft auf. „Dadurch setzen wir uns in unseren Heimspielen noch mehr unter Druck“, sagte Andreas Neuendorf. Zweimal hintereinander spielen die Berliner jetzt in ihrem Olympiastadion. „Die Spiele solltest du erfolgreich gestalten“, sagte Stürmer Fredi Bobic. Anstatt aus dem Spielplan Zuversicht zu ziehen, steht Hertha, die schlechteste Heimmannschaft der Bundesliga, jetzt allerdings unter dem Druck, die Begegnungen mit Rostock und Wolfsburg auf jeden Fall gewinnen zu müssen. Mit Druck aber, das zeigt diese Saison, kann die Mannschaft nicht umgehen.

Die hoffnungsvolle Rechnung des Managers, dass fünf Siege zum Verbleib in der Liga reichen, könnte zu einer zusätzlichen Belastung werden. Als Meyer am Samstag gleich nach dem Schlusspfiff von einem Fernsehreporter auf den Fünf-Siege-Plan angesprochen wurde, reagierte Herthas Trainer ungehalten. Dabei war die Kalkulation nicht von Journalisten in die Welt gesetzt worden, sondern von Meyers Vorgesetztem höchstselbst. Hoeneß allerdings hatte zum ersten Mal davon gesprochen, als Hertha noch elf Spiele bis zum Saisonende blieben. Jetzt sind es nur noch acht, ein Sieg jedoch ist seitdem nicht dazugekommen. „Eine weitere Möglichkeit ist weg“, sagte Meyer, und in acht Spielen muss die Mannschaft jetzt das schaffen, wozu sie bisher 26 Spiele gebraucht hat – fünfmal gewinnen.

„Die Situation ist nicht besser geworden“, sagte Pal Dardai. Auch das ist nur eine höfliche Umschreibung dafür, dass die Lage eigentlich schlechter geworden ist. Man merkt das schon daran, dass Hertha verkrampft nach dem Positiven im Negativen sucht. Hans Meyer sagt, der Druck sei kein Stückchen größer geworden, „der Druck ist schon seit Monaten so groß“.

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