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Sport: Die letzte Bühne

5000-m-Olympiasieger Dieter Baumann beendet seine Karriere am nächsten Sonntag – beim Tübinger Stadtlauf

Von Frank Bachner

Berlin. Es war sein letzter großer Auftritt, und der hatte etwas Lächerliches. Dieter Baumann lief in Paris im WM-Finale über 10 000 Meter, und er lief zehn Meter vor den ganzen Stars, den Kenianern und den Äthiopiern. Die Führung machte keinen Sinn, es war klar, dass Baumann, der 38-Jährige, niemals dieses Tempo halten könnte. Nach 5600 m stieg er aus, entkräftet und entnervt. Beobachter hatten sich lustig gemacht über den Deutschen während des Rennens. Er wolle noch mal seinen Kopf bei einem WM-Finale im Fernsehen zeigen, sagten sie. Oder: Er wolle seinem Sponsor noch mal was Gutes tun. Baumann selber sagte, er habe sein optimales Tempo gesucht, deshalb sei er vorgeprescht. Es war eine erbärmliche Erklärung, und sie war unter seinem Niveau.

Einer von seiner Größe hat so etwas nicht nötig. Einer, der sich so lange in der europäischen und in der Weltspitze gehalten hatte wie der Schwabe, hätte souveräner auftreten müssen. Im vergangenen Jahr noch wurde er, im strömenden Regen und angefeuert von 50 000 Zuschauern im Münchner Olympiastadion, in einem packenden Rennen Vizeeuropameister über 10 000 m. Zehn Jahre, nachdem er Olympiasieger über 5000 m geworden war, 14 Jahre, nachdem er über diese Strecke Silber bei den Olympischen Spielen geholt hatte.

Aber jetzt tritt dieser Athlet ab. Dieter Baumann läuft sein letztes Rennen am nächsten Sonntag, in Tübingen, beim unspektakulären Stadtlauf. Es ist eine kleine, aber für ihn intime Bühne. In Tübingen lebt er, in Tübingen haben sie immer fast unbeirrt zu ihm gehalten.

Denn dieser Dieter Baumann war oft genug auch ein umstrittener Athlet. Ein Moralist in Turnschuhen, ein selbst ernannter Botschafter des dopingfreien Sports. Niemand kritisierte stärker und öffentlichkeitswirksamer, dass Trainer, die in die DDR-Dopingpraxis verwickelt waren, nach der Wende vom Deutschen Leichtathletik-Verband aufgenommen wurden. Er nutzte die Medien für seine Botschaften, und die Medien benutzten ihn, weil er diese hehren Ideale propagierte. Baumann bekam diese Bühne, weil ihn sein Olympiasieg zur nationalen Größe geadelt hatte. Und weil er danach auch immer wieder Leistung brachte. Europameister 1994, WM-Fünfter 1997, Vizeeuropameister über 10 000 m 1998, das Silber von 2002.

Aber die so genannte Lichtgestalt Baumann verlor erheblich an Glanz, als der Läufer im November 1999 selber Teil eines mysteriösen Dopingfalles wurde. Es gibt unverändert viel mehr Indizien dafür, dass Baumann wirklich Opfer eines Anschlages wurde, als dass er betrügen wollte. Doch viele nahmen ihm dann seine Reaktion zu seinem Fall übel. Plötzlich sollte nicht mehr gelten, was er immer propagiert hatte: dass jeder Athlet verantwortlich dafür war, was in seinem Körper steckt. Jetzt wollte er Freispruch wegen Fremdverschuldens. International wurde er zwei Jahre gesperrt. Aber er kam wieder. Eine enorme Leistung.

Doch Paris gab ihm den Rest. „Die WM war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, sagte Baumann. Aber vorher nutzte der Medienprofi Baumann noch mal die ganz große Bühne. Vermutlich hat er, ganz für sich, diese Minuten sogar genossen im Finale.

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