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Mit Hertha im Bett: Dem Maskottchen gefällt's wohl. Frau und Freundin meistens aber nicht.

© IMAGO

Fanartikel: Die Schlacht um die Kissen

Vereinsbettwäsche ist ein Phänomen, ein fortdauerndes. Nicht an Mode gebunden, nicht an Generationen oder Regionen – sondern einzig an das Geschlecht.

Von Maris Hubschmid

Monika Fischer ist nicht Meat Loaf. Als ihr Freund sein vielleicht süßestes Lächeln lächelt, ihr das grün-weiße Paket hinhält und sie fragend von der Seite ansieht, schüttelt die 30-Jährige energisch den Kopf. Aus den unsichtbaren Lautsprechern im Erdgeschoss des Kaufhauses tönt „I’d do anything for love“. Aber Monika Fischer will nicht mit Bremen ins Bett gehen.

Drei Regalreihen weiter steht der Mann, der sie versteht: „Keine Frau legt sich gerne in Vereinsbettwäsche“, sagt Christian Lawrenz, während er ein heruntergefallenes Bayern-München-Kissen zurück auf den Warentisch legt. Lawrenz muss es wissen, seit zehn Jahren betreut der Mann mit dem roten Poloshirt und der dunkelblonden Igelfrisur die Bundesliga-Abteilung eines Sport-Kaufhauses an der Joachimsthaler Straße in Berlin. Die einzigen Kundinnen, die er hat, sind „Großmütter, die ihre Enkel beschenken“. Mütter hingegen treffe man hier selten, sagt Lawrenz, die müssten die Kissen ja dann jeden Tag sehen. Über schlechte Umsätze kann der Fachmann sich trotzdem nicht beklagen. „Die Männer machen da einiges wett.“

Schlafen müssen Menschen immer. Aber müssen sie deshalb 50 Euro ausgeben für eine Decke mit Logo statt 25 für eine ohne? Ein kleiner Internethändler, der auf keinen Fall genannt werden will, verrät, dass er das gleiche unifarbene Bettlaken unter dem Namen „Schalke-Blau“ für fast doppelt so viel Geld verkauft wie unter der Standardbezeichnung. „Die Industrie macht sich da ein menschliches Grundbedürfnis zunutze“, sagt Stefan Laube, Kulturwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin. Früher oder später brauche jeder einmal neues Bettzeug. Und sich dann beim Einkauf gegen den eigenen Verein zu entscheiden, falle manchem Fan wirklich schwer.

Der HSV ist billiger als Stadtrivale St. Pauli

Vereinsbettwäsche ist ein Phänomen, ein fortdauerndes, nicht an Moden gebunden, nicht an Generationen oder Regionen. Inzwischen sind allein vom ewigen Bestseller Bayern München mindestens 20 verschiedene Optiken im Umlauf. Varianten mit und ohne Spieler, mit und ohne Pokal, mit und ohne Baumwollanteil – aber alle mit Logo. Das Geschäft ist seit Jahrzehnten krisensicher: Aachens Trainer Peter Hyballa träumte als Kind in Bayern München, Michael Ballack in Werder Bremen und Rudi Assauer schläft eigenen Angaben zufolge noch heute in Schalke 04. Der größte Marktplatz für Fantextilien ist längst das Internet. Dort belegt in den Verkaufscharts der Vereinsbettwäsche Bayern München regelmäßig die Plätze eins und zwei. Derzeit vor Hannover 96, das sich mit dem neuen Branchenhit, einer Fleecedecke für besonders kalte Nächte, nach vorne gekämpft hat. Der HSV ist billiger als Stadtrivale St. Pauli – reiner Zufall oder Philosophie?

In dem Berliner Sport-Kaufhaus werden momentan acht Vereine geführt, „die, von denen wir annehmen, dass sie am besten gehen“, sagt Christian Lawrenz. Das ist aber nicht die Erklärung dafür, weshalb der 1. FC Union, anders als Hertha BSC, nicht vertreten ist. „Die werden bisher nur von einem anderen Lizenznehmer vertrieben“, sagt Lawrenz, die Garnituren in seiner Obhut seien alle vom gleichen Hersteller. Deshalb kosten sie auch alle gleich viel, einzig Mönchengladbach bekommt man zum halben Preis, denn „die geht gar nicht, darum geht sie aus dem Sortiment“. Liegt’s an der schlechten Saison der Gladbacher? „Wir merken schon, dass der Erfolg Auswirkungen auf den Absatz hat“, sagt Lawrenz. Exemplarisch nennt er den euphorisierten Stadiongänger, der nach einem Sieg in voller Fanmontur und mit deutlicher Bierfahne ins Sportgeschäft einfällt. Und wie sieht dieser Durchschnitts-Bettwäsche-Fan aus? Grundsätzlich, sagt Lawrenz, komme jeder Mann infrage.

Hertha in Rosa? Das läuft nicht

Fanartikel ähneln Urlaubssouvenirs. Daheim erinnern sie an glückliche Momente, die anderswo verlebt wurden. Ihre besondere Stellung bekommt die Bettwäsche laut Kulturwissenschaftler Laube dadurch, dass sie Alltagsgegenstand ist, nicht in der Vitrine verstaubt, sondern allabendlich und -morgendlich präsent ist.

Im Fanshop an der Gedächtniskirche versucht Hertha BSC, Kundinnen mit pinkfarbener Vereinsbettwäsche zu ködern. Mit „eher mäßigem Erfolg“, wie die Angestellte sagt. „Kenne ich“, sagt Christian Lawrenz und winkt ab. Lawrenz glaubt nicht, dass sich Frauen alles andrehen lässt, wenn man es nur kräftig in Rosa taucht. Auf Nachfrage schüttelt Monika Fischer heftig den Kopf. „Um die Farbe geht es nicht.“

Worum geht es dann? „Im Unterschied zu Schals und Aufklebern ist mit der Vereinsbettwäsche kein Bekenntnis nach Außen verbunden“, sagt Kulturwissenschaftler Laube. Mit diesem Utensil suche der Fan die ultimative Nähe. „Die Vereinsbettwäsche ist ein schillernder Gegenstand zwischen Traum und Wirklichkeit.“ Eine Art „kleines Geheimnis“: Im privatesten aller Räume symbolisiert das Vereinslogo das denkbar innigste, intimste Verhältnis von Fan und Verein. Interessante Parallele: Auch streng Gläubige bewahren religiöse Devotionalien wie Heiligenbilder vorzugsweise im Schlafgemach auf. Dem frommen Fan dient die Fußballbettwäsche als Andachtsgegenstand; als Indikator dafür, dass Fußball das ganze Leben bestimmt. Dein letzter Gedanke heute Nacht – dein erster morgen früh.

Der Fußballverein – Konkurrent der Frau

Und das ist vermutlich der Grund, weshalb Freundinnen und Ehefrauen die bedruckten Textilien so wenig sympathisch sind: Da kommen sich zwei Geliebte ins Gehege. Frau und Fußballverein sind Konkurrenten im Kampf um die Aufmerksamkeit des Mannes. „Du hast doch den ganzen Tag schon nichts anderes im Kopf“, sagt Monika Fischer zu ihrem Bremen-begeisterten Begleiter. Der gibt die Bettwäsche nur sichtlich ungern aus der Hand.

Keine Frau legt sich gerne in Vereinsbettwäsche. Im nächsten Moment könnte das widerlegt werden: Eine Gruppe Studentinnen steuert zielsicher auf die Fußballbettwäsche zu. Dann aber greift eine von ihnen nach einer Tüte mit Schokoladenfußbällen in Hertha-Folie, die zwei Regalbretter höher stehen. „Für meinen kleinen Cousin“, erklärt sie. Käme Fußballbettwäsche für die jungen Frauen infrage? „Oje“, ruft eine und erinnert sich. Wie die Eltern ihres ersten Freundes über das Wochenende verreist waren, an Kerzenschein und Kuschelrock. „Und dann das: Sein Bett war bezogen mit Borussia Dortmund.“

Die Freundinnen lachen. Was sie dann gemacht habe, will eine wissen.

Keine Frau legt sich gerne in Vereinsbettwäsche. Manchmal lässt es sich aber nicht vermeiden.

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