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Sport: Die schwarze Null

Hertha BSC tut sich schwer mit der Offensive – das liegt vor allem an der Formschwäche von Marcelinho

Niko Kovac ist ein Fußballer, der stets das Wohl seiner Mannschaft im Sinn hat. So war es auch in Herthas Uefa-Cup-Spiel bei Sampdoria Genua. Sein Kollege Nando Rafael lag verletzt auf dem Boden, Kovac spielte den Ball Richtung Seitenaus, damit das Spiel unterbrochen werden konnte, doch bevor der Ball die Linie passierte, hielt Marcelinho seinen Fuß in die Bahn und spielte einfach weiter. Der Brasilianer hatte geistesgegenwärtig die günstige Gelegenheit erkannt, auch ein wenig teilzuhaben an Herthas Spiel. Seit mehr als vier Jahren steht Marcelinho in Berlin unter Vertrag, doch nie hatte er so wenige Ballkontakte wie am Mittwoch in der zweiten Hälfte bei Herthas 0:0 in Genua.

Dass ihn die Kollegen nach der Pause weitgehend ignorierten, war im Sinne des mannschaftlichen Erfolges die einzig richtige Entscheidung. Vor der Pause hatte Marcelinho so gut wie jeden Ball widerstandslos den Italienern überlassen. Auch die Mitspieler haben inzwischen erkannt, dass es sich bei Marcelinhos Formschwäche keineswegs um temporäre Ausfallerscheinungen handelt, sondern sich immer mehr ein negativer Trend verfestigt. Schon in der vergangenen Woche gegen Lens und Mönchengladbach war der Brasilianer erschreckend blass geblieben.

„Wir wissen alle, dass das nicht der wahre Marcelinho ist“, sagte Herthas Trainer Falko Götz. „Das macht uns schon etwas Sorgen.“ Diese Sorgen sind berechtigt. Noch immer ist Marcelinho einer der Garanten für Herthas Erfolg. In der vergangenen Saison erzielte er 18 Tore, bereitete weitere 13 vor und hatte dadurch erheblichen Anteil an der Qualifikation für den Uefa-Pokal. Noch deutlicher aber erweist sich Marcelinhos Wert für die Mannschaft in der jetzigen Situation, in der er vergeblich nach seiner Form fahndet. Parallel zu Marcelinhos Krise ist der Berliner Bundesligist in den letzten vier Spielen dreimal ohne Tor geblieben.

„In jedem Spiel gab es andere Voraussetzungen“, sagte Götz. Das stimmt. In Dortmund und gegen Mönchengladbach vergab Marko Pantelic die Chancen, die er sich selbst erarbeitet hatte; in den beiden Uefa-Cup-Spielen gegen Lens und Genua konnte Pantelic keine Chancen vergeben, weil er gar nicht mitspielen durfte – und Nando Rafael keine vergeben, weil er sich keine erarbeitete. Durch Pantelic’ Sperre ist Götz im Uefa-Cup per se gezwungen, seine Mannschaft defensiver aufzustellen, hinzu kommt, dass Herthas Trainer gegen die internationalen Gegner eine eher defensive Herangehensweise wählt: „In manchen Spielen muss man auch mal ergebnisorientiert denken.“ In den drei Begegnungen hat Hertha noch kein einziges Gegentor kassiert, weshalb Hertha im vierten und letzten Gruppenspiel ein drittes 0:0 reichen würde, um in die Zwischenrunde einzuziehen (siehe Kasten).

Das Design des Berliner Spiels ist allerdings weniger eine Frage des Systems als dessen Auslegung. Die Tannenbaumtaktik (4-3-2-1), mit der Götz den Mangel an Stürmern zu kompensieren versucht, kann auch offensiver interpretiert werden, als die Mannschaft es in Genua tat. „Wir haben es nicht konsequent genug gespielt“, sagte Manager Dieter Hoeneß. „Es geht weniger um die Stürmer. Wenn Nando Rafael sich ins Mittelfeld zurückfallen lässt, müssen die Mittelfeldspieler im Vollspurt in die Tiefe sprinten.“

Gerade Marcelinho muss bei dieser Taktik zwischen Mittelfeld und Angriff pendeln, doch bei Sampdoria versteckte er sich irgendwo im Niemandsland. Er wirkte so abwesend, dass er selbst seine Auswechslung beinahe verpasst hätte. Erst als der Schiedsrichter Marcelinho darauf ansprach, dass seine Rückennummer auf der Tafel des vierten Offiziellen angezeigt worden war, trottete er vom Feld. Weil sich die Kabinen im Stadion Luigi Ferraris auf der anderen Seite befinden als die Trainer- und Ersatzbank, flüchtete der Brasilianer gleich vom Platz. Später, auf dem Flughafen, saß er für sich alleine in der Wartehalle und beschäftigte sich mit seinem Mobiltelefon.

So wie Hertha abhängig ist von der Form Marcelinhos, so ist Marcelinhos Form abhängig von seinem persönlichen Wohlbefinden. Das Besorgniserregende ist, dass es für die aktuelle Schwäche laut Manager Hoeneß „keinen Anlass“ gibt, keine persönlichen Probleme oder sonstigen Irritationen. Und anders als viele seiner Landsleute zu Beginn des Winters ist Marcelinho bisher auch nicht als besonders wetterfühlig bekannt. „Mit dem Wetter hat es wenig zu tun“, sagt Hoeneß. Herthas Manager kündigte an, Marcelinho helfen zu wollen, wobei es schwierig ist, konkrete Maßnahmen zu treffen. Hoeneß sagt: „Wir haben im Moment kaum Zeit, lange Gespräche zu führen.“

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