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Sport: Die Spannung halten

Auf dem Weg zum Flughafen Borispil fuhr die deutsche Fußball-Nationalmannschaft an den Resten der ukrainischen Euphorie vorbei. Auf den Straßen rund um das Olympiastadion lagen die Plastikcapes in den Nationalfarben Gelb und Blau, die die Zuschauer vor dem Spiel über ihre Mäntel und Anoraks gezogen hatten.

Auf dem Weg zum Flughafen Borispil fuhr die deutsche Fußball-Nationalmannschaft an den Resten der ukrainischen Euphorie vorbei. Auf den Straßen rund um das Olympiastadion lagen die Plastikcapes in den Nationalfarben Gelb und Blau, die die Zuschauer vor dem Spiel über ihre Mäntel und Anoraks gezogen hatten. Hätte man vom Himmel aus ins Stadion geguckt, dann hätte die Arena wohl wie eine riesige ukrainische Nationalfahne ausgesehen. Offenbar hatten die Leute keinerlei modische Bedenken gehabt, anderthalb Stunden lang eine Art Mülltüten-Schick zu tragen. Es war das wichtigste Spiel für ihr Land, und natürlich hätten die Leute alles getan für einen Sieg. An den Ständen in der Innenstadt hatten sie Fahnen und Stirnbänder gekauft, sie lärmten und brüllten, fluchten und hofften. "Einen absoluten Hexenkessel" hatte Rudi Völler, der Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, erlebt, Reiner Calmund, der Manager von Bayer Leverkusen, eine Atmosphäre, "die schon fast südamerikanisch war".

Dass die deutsche Elf sich von der Kulisse nicht irritieren ließ, werteten die Beteiligten hinterher als erfreuliches Ergebnis. Ebenso das 1:1 im ersten der beiden Ausscheidungsspiele. Nach den letzten beiden Auftritten der deutschen Nationalmannschaft, dem desaströsen 1:5 gegen England und dem peinlichen 0:0 gegen die Finnen, hätte man dem Team so viel Kaltschnäuzigkeit gar nicht mehr zugetraut. Vielleicht wurde das Unentschieden deshalb so freudig aufgenommen. "Das Ergebnis stellt sich im Moment recht positiv dar", sagte Völler.

Zumindest hat die Nationalmannschaft den schlimmsten aller Fälle verhindert: mit einer Niederlage aus dem Hinspiel am Mittwoch in Dortmund antreten zu müssen und den Ukrainern dadurch viel Raum für ihr gefürchtetes Konterspiel zu bieten. Vielleicht hatte die Erleichterung darüber ein wenig den Blick für die wahre Stärke des Gegners getrübt. Nach dem Abpfiff verfielen die Nationalspieler wieder in die gleiche Abwehrhaltung, die sie auch in den Tagen vor dem Spiel gezeigt hatten und die auch bis Mittwoch sämtliche Aussagen prägen wird. "Man muss auf der Hut sein", sagte Marko Rehmer, der in der Nationalelf gewohnt gut gespielt hatte. Die Verzagtheit setzt sich fort. Eine Verzagtheit, die Völlers Mannschaft schon in Kiew um einen möglichen Sieg gebracht hat.

In den entscheidenden Momenten eines solchen Spiels reduziert sich der Wettkampf zweier Mannschaften auf das Duell Mann gegen Mann. So wie in der 33. Minute, als Andrej Schewtschenko, der Träger der ukrainischen Hoffnung, allein auf das Tor von Oliver Kahn zustürmte. Es war genau jene Szene, vor der sich die Deutschen so sehr gefürchtet hatten: dass sich Schewtschenko auf die Spuren des Engländers Michael Owen begeben würde, der Anfang September aus solchen Situationen zwei seiner drei Tore gegen Kahn und die Deutschen erzielt hatte. Schewtschenko schoss, Kahn lenkte den Ball mit seinem rechten Fuß zur Ecke.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde war es bereits das dritte Mal in diesem Spiel gewesen, dass ein ukrainischer Stürmer allein vor Kahn auftauchte: Worobej hatte schon in der zweiten Minute den Pfosten getroffen und Subow eine Viertelstunde später die 1:0-Führung erzielt. In der Anfangsphase "konnte man es leicht mit der Angst zu tun bekommen", sagte Reiner Calmund. "Ein bisschen zu nervös" erlebte Völler in dieser Phase sein Team. Als dann aber Schewtschenko an Kahn scheiterte, war eigentlich klar, dass die Ukraine das Spiel nicht gewinnen würde. Zwei Minuten zuvor hatte Michael Ballack ausgeglichen, und es wäre eine interessante Frage gewesen, ob die zuletzt wankelmütige deutsche Elf auch einen zweiten Rückstand so gut verkraftet hätte wie das 0:1. Ballacks Tor war das Ergebnis einer kurzen Drangperiode der Deutschen. Zweimal war der Ball zuvor an der Latte gelandet, jeweils nach einer Ecke. Auch der Ausgleichstreffer resultierte nicht aus einem schönen Spielzug, sondern aus einem Freistoß, aber das ist uninteressant. Früher, in ihren erfolgreichen Zeiten, haben die Deutschen selbst ein WM-Finale notfalls durch einen unberechtigten Elfmeter gewonnen.

"Wir haben den Fußball gespielt, den die Deutschen zugelassen haben", sagte der ukrainische Assistenztrainer Leonid Burjak in Vertretung des pressescheuen Walerij Lobanowski. Doch die deutschen Spieler werteten die Zeichen des Spiels nur unzureichend. Rudi Völler wollte zwar gesehen haben, "dass wir nicht nur versucht haben, das Ergebnis zu halten, sondern auch noch vorne zu spielen", doch die letzte Entschlossenheit fehlte, mit der die Deutschen die Angelegenheit schon im Hinspiel hätten entscheiden können. "Ein Sieg wäre natürlich noch besser gewesen", sagte Bernd Schneider. Wohingegen Reiner Calmund behauptete: "Eine bessere Ausgangsposition kann man sich gar nicht wünschen."

Notfalls reicht den Deutschen in Dortmund ein 0:0. "Es gibt uns Sicherheit, dass die Ukraine ein Tor schießen muss", sagte Christian Ziege, allerdings warnte Michael Ballack davor, sich auf ein 0:0 zu verlassen: "Das geht in die Hose." Trotzdem werden die Deutschen das Rückspiel nicht mit unbändiger Offensivlust angehen, zumal Rudi Völler noch einmal daran erinnerte, dass die Ukraine "eine Super-Kontermannschaft" hat. "Wir haben zwar im Moment einen kleinen Vorteil", sagte Völler, "aber dieses Spiel ist nur die erste Halbzeit gewesen."

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