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Sport: Die Sprache der Füße

Was als deutsch-kolumbianisches Projekt begann, wird 2006 zur WM des Straßenfußballs

Medellin, Kolumbien, liegt jetzt in Berlin-Charlottenburg. Genau genommen in der Sybelstraße 58, Parterre, große Altbauwohnung. Die Dielen quietschen, der Innenhof ist grün. Natürlich stimmt das mit Medellin so nicht ganz, nur ein bisschen. Medellin, Kolumbien, das ist in erster Linie Bürgerkrieg, Drogenkartell, Entführung, Mord. Allein seit Beginn dieses Jahres wurden in Kolumbien 62 000 Menschen durch die Kämpfe zwischen Armee, Rebellen und Paramilitärs vertrieben. So geht das seit vier Jahrzehnten, 200 000 Menschen wurden dabei getötet. Aber es hat auch ein winziges Stück Frieden, eine humane Erfolgsgeschichte in Kolumbien seinen Anfang genommen.

Es ist ein Straßenfußballprojekt, „futbol por la paz“ („Fußball für den Frieden“), und sein deutscher Erfinder hat es längst exportiert. Davon hat nicht nur Charlottenburg etwas, sondern die ganze Stadt. 2006 findet gleichzeitig zur Fußball-Weltmeisterschaft auch die WM im Straßenfußball statt.

In der Sybelstraße 58 sitzt Jürgen Griesbeck, 38, braune Cordhose, rotes Polohemd, schwarz-weiße Turnschuhe. Hier ist die Einsatzzentrale von „streetfootballworld“, einem Projekt, das seit 2002 unter dem Dach der Jürgen-Klinsmann-Stiftung für Jugendfußball zu Hause ist. Griesbeck ist der Geschäftsführer für „streetfootballworld“, aber der Anfang der Geschichte ist seine deutsch-kolumbianische Exportidee. Er hat zum Thema Jugend und Gewalt promoviert, weshalb er zur Recherche nach Kolumbien gegangen ist. Dort wird 1994 nach der Fußball-WM in den USA der kolumbianische Nationalspieler Andres Escobar in Medellin erschossen. Schnell verbreitet sich die Mär, Escobar sei getötet worden, weil er bei der WM ein Eigentor erzielt hatte und Kolumbien ausgeschieden war. Escobar war ein Held, und von der Mannschaft hatte man den Glauben, dass sie Weltmeister werden könnte. „Die Menschen hatten die Hoffnung, ihr Land einmal als Sieger zu sehen. Man wollte zeigen, dass Kolumbien nicht nur aus Drogenhändlern und Bandenkriegen besteht“, erinnert sich Griesbeck. Der Tod Escobars, ein Mord, wie er täglich bis zu 20-mal in der Stadt vorkommt, war ein Signal. „Man musste etwas tun, weil es alle aufwühlte, auch mich und meine Frau, die bei Atlético Nacional, dem Klub Escobars, fotografierte.“

Was Griesbeck tat, hieß „futbol por la paz“ und wurde seine Mission. Es gab zwei Grundregeln damals: Zwei Frauen pro Mannschaft waren Pflicht, außerdem musste eine Frau das erste Tor schießen. Einen Schiedsrichter gab es nicht. Was sich nach Folklore anhört, war die Basis für Kommunikation. Die Spieler mussten miteinander sprechen. Mit den Frauen, mit dem Team, mit dem Gegner. Das Projekt gibt es heute in ganz Kolumbien, und Griesbeck konnte es nach Deutschland bringen. Nach Brandenburg. Griesbeck sagt: „In Brandenburg war die Arbeit nicht leichter als in Kolumbien, weil viel Jugendliche zumachen, nichts an sich heranlassen.“ Anfangs.

Ähnliche Projekte gibt es in aller Welt. Jürgen Griesbeck schuf inzwischen eine Plattform für sie: streetfootballworld. Die Methoden sind unterschiedlich: In Kenia entstand vor 18 Jahren ein Projekt, weil der Müll in Mathare, dem größten Slum von Nairobi, ein Problem war. Die Idee: Wer den Müll aufräumte, bekam Punkte im Fußball hinzu. Mehr als 30 000 Schüler beteiligten sich, das Müllsammeln beeinflusste den Tabellenstand, und vor lauter Anstrengung stieg das Niveau des Fußballs. Ein Team von Mathare United spielt heute in der ersten kenianischen Liga.

Am Samstag ist ein Stück Medellin auch in Berlin-Kreuzberg. Zusammen mit Bundesinnenminister Otto Schily und der Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer wird Griesbeck das „Festival 06“ vorstellen, das Straßenfußball-Weltfestival. Jürgen Klinsmann schaut auch vorbei.

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