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Sport: Die Unselbstständigen

Hertha BSC fehlt eine Hierarchie – sie soll sich ab heute in der Bundesliga-Rückrunde entwickeln

Berlin - Hertha BSC ist eine Fußballmannschaft, die nur schwer aus einem Tief herauskommt. „Unser offensives Spiel funktioniert nur mit großem Aufwand. Wenn wir gewinnen, merkt man die Ermüdung nicht so“, sagt etwa Torwart Christian Fiedler. Wenn seine Mannschaft jedoch verliert, macht sich die Erschöpfung umso mehr bemerkbar. „Das ist die Charaktersituation der Mannschaft“, sagt er. Auch deshalb wäre ein Sieg im ersten Spiel der Rückrunde heute gegen Hannover 96 so wichtig.

Über den Charakter der Mannschaft ist in der Winterpause viel diskutiert worden. Im letzten Spiel vor Weihnachten verloren die Berliner im Pokal beim Regionalligisten St. Pauli. Die Niederlage hat Herthas Manager Dieter Hoeneß über alle Maßen erregt, vor allem, weil sie für ihn das „kleine negative Sahnehäubchen“ einer Entwicklung war. Von den letzten fünf Bundesligaspielen des Jahres 2005 gewann Hertha nur eines. „Wir mussten eingreifen“, sagt Hoeneß. Er trug den Spielern auf, sich im Weihnachtsurlaub schriftlich zu ihrer Arbeitsauffassung zu äußern, in der Vorbereitung auf die Rückrunde sollte dann der Teamgeist wieder gestärkt werden. Hoeneß und Trainer Falko Götz setzten dabei auf eine Strategie aus Strenge und Spaß. Dass solche Maßnahmen schnelle Erfolge bringen, ist jedoch eher unwahrscheinlich. Die 2:5-Niederlage gegen Nürnberg vor einer Woche hat gezeigt, dass die strukturellen Probleme des Kaders einfach zu groß sind.

Intern dürfte die schlechte Stimmung nach Misserfolgen sich weiter so ausbreiten wie zuvor. Das Team ist in verschiedene Lager gespalten: Jung, Alt und irgendwo dazwischen befinden sich die beiden Brasilianer Gilberto und Marcelinho. Eine vermittelnde Instanz zwischen den Gruppen existiert nicht. Die Spieler, die das richtige Alter dafür haben, füllen diese Lücke nicht, auch nicht Kapitän Arne Friedrich. Es ist bezeichnend, dass Friedrich nicht zu den elf Spielern gehörte, die sich der von Hoeneß verordneten Schreibübung verweigert hatten. Der Kapitän hat brav seinen Aufsatz verfasst.

Dank Marcelinho, Bastürk und Gilberto verfügt die Mannschaft ohne Zweifel über eine spielerische Qualität wie nur wenige Teams in der Bundesliga. Doch ihr fehlen die Selbstheilungskräfte, um auf schwierige Situationen zu reagieren. Vor ein paar Jahren hatten die Berliner noch eine Reihe unantastbarer Führungstypen: Kjetil Rekdal, Hendrik Herzog, Michael Preetz, Rene Tretschok oder Stefan Beinlich. Rekdal hat, wenn es ihm geboten schien, sogar die taktischen Vorgaben von Trainer Jürgen Röber umgeworfen. Derzeit gibt es bei Hertha niemanden, der sich so etwas trauen würde. Kapitän Friedrich scheiterte vor einem Jahr schon bei dem Versuch, Marcelinho im Spiel bei Borussia Dortmund zu mehr Einsatz zu bewegen. Als der Brasilianer in der Pause auf den Kapitän losging, ließ Friedrich diesen tätlichen Angriff klaglos über sich ergehen.

Die Strenge, mit der Hoeneß den Defiziten begegnet, sind Symptom und Ursache zugleich. Weil Hoeneß erkennt, dass die Mannschaft nicht selbstständig auf ihre Probleme reagieren kann, sieht er sich zu immer schärferen Maßnahmen gezwungen; das wiederum unterbindet jegliche Initiative der Mannschaft. Typen wie Dick van Burik, die von ihrem Charakter her dazu in der Lage wären, sind von Hoeneß immer wieder gedeckelt worden.

„Es ist wichtig, dass unsere Hierarchie wieder sauber entwickelt wird“, sagt Hoeneß. Doch das ist nicht so einfach. Zu einem großen Teil sind die Probleme mit der Altersstruktur des Kaders begründet. Elf Spieler sind 23 oder jünger. Einige von ihnen wie Malik Fathi, vor allem Kevin-Prince Boateng und Christian Müller besitzen auch überdurchschnittliche Qualitäten, doch sie brauchen noch Spieler, an deren Seite sie wachsen können. Solche Spieler aber hat Hertha nicht. Die Berliner werden sie sich erst leisten können, wenn sie wieder in der Champions League spielen. Das Problem ist: Ohne solche Spieler werden sie sich wohl gar nicht für die Champions League qualifizieren.

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