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Der sensible Kraftprotz. Robert Harting hat in dieser Saison schon 68,99 Meter erreicht, aber das genügt nicht, um ihm genug Selbstvertrauen zu geben. Der Wunsch, endlich einmal die 70-Meter-Marke zu knacken, setzt ihn unter Druck. Foto: dpa

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Sport: Die Zweifel eines starken Mannes

Diskus-Weltmeister Robert Harting hat bis jetzt glänzend geworfen – trotzdem fühlt er sich unsicher

Berlin - Der Wind wehte von rechts vorne, das spielte auch eine Rolle. Die Scheibe flog deshalb besonders gut. Sie flog mehr als 67 Meter weit, sechs Mal insgesamt. Einmal schleuderte Robert Harting den Diskus sogar auf 68,99 Meter, das war eine enorme Weite für diesen frühen Zeitpunkt der Saison. Als der Diskus-Weltmeister in Halle an der Saale gewann, da war es Ende Mai. „Ich wusste ganz genau, ich drehe mich, haue einfach rein, und der Diskus fliegt 67 Meter weit“, sagte er einem Reporter vor Ort.

Nach den 68,99 Metern kamen 68,23 Meter in Hengelo, dann 68,40 Meter in Eugene/USA, drei Siege in Folge. Harting hatte dabei seine Dauerrivalen Piotr Malachowski, den Europameister aus Polen, und Virgilijus Alekna aus Litauen besiegt. Robert Harting vom SCC Berlin ist zufrieden – sollte man jedenfalls denken.

Aber Harting sitzt bei einem Sponsorentermin in Berlin hinter einem Tisch, stützt sich auf seine Unterarme und sagt: „Ich fühle mich noch unsicher, ich spüre noch große Nervosität.“

Das ist ein überraschender Satz. Keiner hatte ihn erwartet, Harting, der Weltmeister von 2009, der Vize-Europameister von 2010, der Mann mit der Bestleistung von 69,69 Metern, hätte eigentlich sattes Selbstbewusstsein ausstrahlen müssen.

So wirkt er aber nicht, und eng betrachtet, hängen die Zweifel mit dem Training zusammen. „Ich übersteuere noch im Training“, sagt er. Diese Mängel kann er auch beim Wettkampf noch nicht ganz ausmerzen, trotz der großen Weiten. Er führt das auf ein anstrengendes Trainingslager zurück, die Belastungen wirkten noch nach. Im Trainingslager hatte er rund 500 Würfe gemacht, der Diskus wiegt beim Abwurf rund 50 Kilogramm. Harting hatte mal ausgerechnet, dass damit „ungefähr 25 000 Kilogramm über meinen Abwurffinger gerollt sind“. Aber das ist ja nichts Neues, das hat er jedes Jahr. Doch jetzt erzählt er zudem, dass er auch deshalb übersteuert, weil er sich nicht selbstsicher genug fühle.

Und da kommt eine neue Marke ins Spiel: 70 Meter. Die legendären 70 Meter. Harting peilt sie schon lange an, sie haben enorme symbolische Bedeutung für ihn. „Wenn ich 70 Meter schaffe, gebe ich 70 Stück Kuchen für die Zuschauer aus“, sagte er schon in Halle. Ein Späßchen in dieser Sekunde. Aber es steckt mehr dahinter. Die 70 Meter setzen ihn unter Druck. „Ich möchte unbedingt die 70 Meter“, sagt er. Eine „Schallmauer“ nennt er die Marke. „Ich weiß, dass ich etwas ändern muss, um auf die 70 Meter zu kommen“, das sagt er auch.

Aber die 70 Meter stehen auch für das Leistungsniveau, das in diesem Jahr für die Besten gilt. Jedenfalls nach Hartings Ansicht. Im August findet in Südkorea die WM statt, und Harting sagt: „Wir schaukeln uns gegenseitig hoch. Wer 68 Meter wirft, darf sich einer WM-Medaille nicht sicher sein.“ Das klingt erst mal etwas übertrieben. Bei der WM 2009 gewann Gerd Kanter (Estland) mit 66,88 Meter Bronze, bei der EM 2010 landete der Ungar Robert Fazekas mit 66,43 Metern auf Rang drei.

Aber hier geht’s nicht um nüchterne Statistik, hier geht’s um Gefühle, um Einschätzungen, um Erwartungen. Und natürlich orientiert sich Harting nicht an Bronze bei der WM. „Mein Ziel kann nur die Titelverteidigung sein“, sagt er. „Bei der WM wären die 70 Meter am wichtigsten.“ Außerdem sind da ja die Gegner, Malachowski, Alekna, Kanter, die Leute, die sich ständig um die vordersten Plätze streiten. „Die werden sich bei der WM ganz anders vorstellen als bis jetzt.“

Zur Saison gehört aber auch noch das Istaf, das größte deutsche Meeting in Berlin, eine Woche nach der WM. Der Meeting-Rekord von Lars Riedel liegt bei 70,60 Metern. 15 Jahre ist er inzwischen alt, der Rekord, Harting würde ihn gerne übertreffen. Spätestens dann hätte er seine Schallmauer durchbrochen. An der Unterstützung von Meeting-Direktor Gerhard Janetzky jedenfalls soll es nicht fehlen. „Der Lars hatte damals noch auf der anderen Seite des Stadions geworfen“, sagt Harting. Dort seien die Windverhältnisse besser, das habe Riedel geholfen. Aber jetzt stampfen die starken Männer in einen anderen Ring. „Och“, sagt Janetzky, der neben Harting sitzt, „da kann man helfen. Bei Bedarf kann man die Anlage in die Ostkurve verlegen.“ Doch eigentlich hofft Harting, dass dann kein Bedarf mehr besteht.

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