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Sport: Die zweite Weltmeisterschaft

Nach der Fußball-WM steht in Deutschland das nächste Großereignis an: Die Weltreiterspiele in Aachen

Das Furcht einflößende Ding ist schulterhoch, knapp anderthalb Meter breit und sieht aus wie eine Bildhauerskulptur: Eine Hand aus Holz, zur Faust geballt, nur der kleine Finger und der Daumen sind abgespreizt. Das Ding ist ein Hindernis auf der Vielseitigkeitsstrecke der Weltreiterspiele. Es ist ein wolkiger Tag im August, die Wiese ist sattgrün und noch vollgesogen von den Regenfällen der vergangenen Tage. In einer Woche beginnt die WM in Aachen. Und der „Klenkes“, so heißt die Hand, ist ein Symbol für die Stadt. Denn mit dem abgespreizten Finger wurden früher, als die Stadt noch für Stoffe und Eisenwaren bekannt war, Nadeln in den Fabriken sortiert. Unter den 41 Sprüngen der Geländestrecke gibt es höhere und breitere als die Holzhand. Aber Reiter wissen: Schmale Hindernisse sind schwierig anzureiten. Und so einen Klotz wird kaum ein Pferd zuvor gesehen haben. Da werden sich viele fürchten.

„Viel monströser finde ich dieses buschige Hindernis dort drüben“, sagt Niels Knippertz, Sprecher des Veranstalters Aachen-Laurensberger Rennverein, und zeigt auf eine lang gezogene, mannshohe Reisigwand. „Aber wir wollen hier ja auch aussortieren, es wäre langweilig, wenn alle Starter durchkommen und nur nach Zeit gewertet wird.“ In der Ferne sieht man an einer Seite Wald, an der anderen Landstraße, und dahinter kann man die drei Stadien und die weiße Zeltstadt des Wettbewerbsgeländes erahnen.

40 000 meist blaue Plastiksitzschalen rundherum um den kurz geschorenen Rasen, vier hohe Masten mit je 230 Birnen auf ihren Köpfen: Das Herz des Turniergeländes ist zwei Wochen lang das „Stadion 1“. Heute steht inmitten des Rasens, wo das Dressurviereck noch einen Platz gefunden hat, und bis vor zehn Minuten noch drei Männer gebückt im Sand saßen und Unkraut aus den Ecken zupften, ein braunes Pferd namens Caprino und ein Kamerateam. Eine junge Frau, Moderatorin eines Privatsenders, müht sich, in den Sattel zu steigen. Thomas Weinberg, 19 Jahre alt und deutsche Nachwuchshoffnung, erklärt ihr, wie sie das anstellen soll: „Rücken zum Pferdekopf, Fuß in den Bügel.“ Sie müht sich, das Bein hoch bis zum Pferdebauch zu heben, „Nein, den anderen Fuß.“ Die junge Frau lacht, quietscht, sie versucht es mehrmals, dann sitzt sie endlich oben. Niels Knippertz sagt: „Prima, da sehen die Zuschauer mal, wie schwierig das eigentlich ist, Reitsport.“

Am Rand des Stadions, an einem der Flutlichtmasten, steht ein Grüppchen Männer, einer trägt einen Helm und Sicherheitsgurte. Die Kameramänner vom WDR werden eingewiesen, wie sie in 39 Meter Höhe oben an einem der Flutlichtmasten arbeiten müssen. „Wenn es brennen sollte, seilen sie sich von oben ab“, erklärt der Mann im Gurtzeug. Den Kameramännern ist mulmig zumute. Drei sollen sich mit dem Filmen abwechseln. „Aber den Begriff Springer haben wir erst mal gestrichen“, sagt einer.

Im Stadion drei zieht ein Traktor den ockergelben Sand glatt. Die ungewöhnliche Farbe hat er, weil es ein Spezialboden für die Voltigierer ist. Wenn die Westernreiter übernehmen, wird innerhalb von einem Tag der ganze Sand aus dem Stadion gekarrt und neuer hineingegeben. Die Westernreiter brauchen Sand, der ihre schnellen Stopps begünstigt. Stadion zwei, das provisorisch aus Stahlgerüsten gebaut wurde, ist für die Sportarten mit geringeren Bodenansprüchen gedacht: Buschreiter und Fahrer sind anderes gewohnt, da genügt auch Rasenbelag für ihren Dressurpart. Hinter dem Stadion drei beginnen die Stallgassen, 400 feste Boxen, der Eintritt ist während der WM strengstens verboten. So soll verhindert werden, dass jemand den Pferden heimlich etwas ins Futter mischt, was bei der Dopingkontrolle zu einem positiven Test führen würde.

Mini-Traktoren surren und Paletten liegen gestapelt auf den Wegen neben unzähligen weißen Zelten mit Spitzdächern, aus denen es während der Weltreiterspiele nach Bratwurst, neuen Sattelwaren oder Kaffee riechen wird. Im VIP-Zelt werden die Wände noch lila angestrichen, auf dem Holzfußboden knistert schützende Plastikfolie. Man kann es schon erahnen, wegen der niedrigen Möbel, der Raumtrenner: Das wird ein Zelt mit Lounge-Charakter. Die Weltreiterspiele sind in diesem Jahr das zweitgrößte Sportereignis in Deutschland.

Von ihrem großen Bruder, der Fußball-WM, haben die Reiter ein paar Geschenke bekommen: Tresen etwa, hinter denen die Hostessen die Karten und Akkreditierungen entgegennehmen. Auf einer klebt noch ein Zettel: „Abbau Fifa WM 2006 – Köln. Inhalt: Greeters Box, Verladung durch Schenker“. Na, so hervorragend, wie die Fußball-WM gelaufen ist, wird das ein gutes Omen sein.

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