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© dpa

Becker und Graf in Wimbledon: "Diesen Boom wird es nie mehr geben"

Vor 20 Jahren siegten Boris Becker und Steffi Graf in Wimbledon. Kommentator Gerd Szepanski erinnert sich.

Herr Szepanski, heute jährt sich der deutsche Doppelsieg von Steffi Graf und Boris Becker in Wimbledon zum 20. Mal. Sie haben damals die Live-Übertragung als Kommentator begleitet. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?

Die Finals wurden beide am selben Tag ausgetragen, weil es an den Tagen zuvor geregnet hatte – wie so oft in Wimbledon. Normalerweise war das Frauenfinale damals schon am Samstag. Deswegen habe ich an diesem Tag nur das Spiel von Becker kommentiert, das von Graf hat ein Kollege übernommen.

Und sportlich?

Ehrlich gesagt erinnere ich mich daran kaum. Boris Becker spielte gegen Stefan Edberg; Steffi Graf gegen Martina Navratilova, oder? Ich glaube, beide Spiele gingen ziemlich eindeutig aus.

Graf gewann 6:2, 6:7, 6:1 und Becker noch deutlicher 6:0, 7:6 und 6:4.

Genau, aber die Einzelheiten, nun ja – ich habe so viele Matches gesehen über die Jahre. Da müsste ich erst auf meinen Pappdeckel schauen.

Pappdeckel?

Ich habe für jedes Match, das ich kommentiere, so eine Pappmappe. Drinnen lege ich mir Informationen hinein und außen schreibe ich alles auf, was ich wichtig finde. Am Ende des Spiels ist die Pappe voll.

Es war also ein Spiel wie viele andere, ein Tag wie jeder andere?

Selbstverständlich nicht! Es war einer der wichtigsten Tage in der Geschichte des deutschen Tennis. Er steht in einer Reihe mit dem ersten Sieg von Becker 1985, dem ersten Sieg eines Deutschen in Wimbledon, und dem ersten Erfolg der deutschen Daviscup-Mannschaft 1988 gegen Schweden. Das war eine Entwicklung, die man über mehrere Jahre verfolgen konnte. Aber an diesem 9. Juli 1989, da hat sie ihren Höhepunkt erreicht. Ich bin aus der Kabine gekommen und habe zum damaligen Programmverantwortlichen Dieter Lesche gesagt: „Streichen Sie sich diesen Tag im Kalender an. Dass zwei Deutsche an einem Tag Wimbledon gewinnen, das wird nicht wieder kommen.“

Zwei Jahre später war es wieder so weit.

Natürlich, mit Michael Stich und Steffi Graf. Aber das war nicht dasselbe, durch das deutsch-deutsche Finale mit Becker und Stich. Außerdem war das nicht am selben Tag, die Frauen haben wieder am Samstag gespielt. Aber 1989 stand für etwas anderes. Es war der Durchbruch des deutschen Tennis – und ich werde damit auch immer den Durchbruch des Privatfernsehens in Deutschland verbinden.

Sie haben damals für RTL kommentiert.

„RTL Plus“, um genau zu sein. Das war neu: Davor war Tennis Sache der Öffentlich-Rechtlichen. Aber 1989 hat erstmals der Vermarkter Ufa die Rechte gehabt und Wimbledon auf RTL übertragen. Das war eine Sensation, denn Sie müssen sich vorstellen, dass nur knapp 50 Prozent der Haushalte RTL damals überhaupt empfangen konnten. Da wurde vielen Menschen erst richtig bewusst, dass sich das Privatfernsehen durchsetzen würde.

Hat sich ihre Arbeit als Kommentator über die Jahre verändert?

Die Arbeit an sich ist immer noch die gleiche. Aber nun sitze ich in München-Ismaning in einer Sprecherkabine. Seit 2002 bin ich nicht mehr vor Ort. So ist das heute. Wenn Sie mich also fragen, wie die Erdbeeren in Wimbledon in diesem Jahr waren, muss ich sagen: Ich weiß es nicht. Seit 2001 habe ich keine mehr gegessen.

Trauern Sie der Zeit von damals nach, als Tennis in Deutschland Straßenfeger war?

Eins ist sicher: So wie damals wird es nie wieder sein. Das Interesse an Tennis ist nicht mehr dasselbe. Das Finale von Becker haben 10 Millionen Menschen verfolgt. Und noch einmal: Nur 50 Prozent der Haushalte konnten es überhaupt empfangen, es könnten doppelt so viele sein.

Das Finale in diesem Jahr haben 900 000 Menschen in Deutschland verfolgt.

Jetzt ist Tennis nur interessant, wenn Jahrestage anstehen. Das Publikum war verwöhnt nach Becker und Graf. Dass Thomas Haas es 2002 auf Platz zwei der Weltrangliste gebracht hat, hat kaum jemand zur Kenntnis genommen. Aber wenn ich junge Spieler wie Andreas Beck oder Sabine Lisicki sehe, ist mir nicht so bange um das deutsche Tennis. Einen Boom wie damals wird es aber nicht mehr geben.

Warum nicht?

Die Deutschen haben damals ja auch nicht Tennis gefeiert. Sie haben Boris Becker gefeiert. Becker war doch beinahe eine eigene Sportart. Als er 1985 zum ersten Mal Wimbledon gewonnen hat, da wussten die Leute: Da mischt einer ganz oben mit.

Kann man die Erfolge von Graf und Becker noch mit denen von heute vergleichen?

Nein. Das Spiel ist viel schneller und härter geworden, das liegt am Material. Man versucht das zu bremsen, indem man den Filz der Bälle verändert und den Rasen nicht so tief sät. Aber die Entwicklung kann man nicht bremsen.

Und die Spieler selbst?

Klar, die Fitness ist eine ganz andere. Schauen Sie sich doch Spieler wie John McEnroe oder Björn Borg an, die waren doch Hemden. Und Ilie Nastase bestand eigentlich nur aus Haaren. Die Leistungsdichte ist auch viel höher. Damals gab es nur 20 gute Spieler, davon fünf sehr gute, die restlichen waren reine Auffüller, damit die großen in den ersten Runden etwas zu tun hatten.

Roger Federer hat für seinen Sieg 850 000 Pfund erhalten, finden Sie das gerechtfertigt?

Auch das ist die Entwicklung des Sports. Das ist doch irre: Björn Borg hat für seinen ersten Sieg in Wimbledon 1976 12 500 Pfund bekommen, das wären heute rund 20 000 Euro. Klar hat sich da viel verändert, aber wie gesagt: Das ist der Lauf der Zeit.

Würden Sie den Pappdeckel des Matches von 1989 für uns suchen?

Nein, das geht nicht. Das würde Wochen dauern, es sind ja über 2000 Stück. Die habe ich alle in Kisten in meiner Garage.

Das Gespräch führte Anke Myrrhe.

Gerd Szepanski, 61, kommentierte das Wimbledonfinale am 9. Juli 1989 für RTL Plus. Heute arbeitet er als Freier Journalist unter anderem als Tennisspezialist für den Sender Sky.

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