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Ultra-Fans von Nizza beim Spiel gegen Marseille.

© Daniel Cole/AP/dpa

Diskriminierung im Fußball: Wo sich Homophobie und Rassismus unterscheiden

Der französische Verbandspräsident relativiert homophobe Vorfälle in der Ligue 1. In der Sache hat er sogar recht, nur stimmt der Ton nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von David Joram

Welche Form der Diskriminierung wiegt schwerer? Homophobie oder Rassismus? Diese Frage klingt zunächst absurd, aber seit Dienstag wird über sie tatsächlich diskutiert. Seit der Präsident des französischen Fußballs, Noël Le Graët, seine Meinung dazu kundtat.

Konkret ging es um homophobe Vorfälle während des Derbys zwischen OGC Nizza und Olympique Marseille. Ende August sangen Nizza-Anhänger über die Gäste aus Marseille, sie seien „le Pedale“, Schwuchteln also. Zusätzlich präsentierten sie homophobe Banner, etwa gegen die Gruppe Ineos, die den Fußballklub übernommen hatte. „Willkommen in der Gruppe Ineos. In Nizza lieben wir auch die Schwuchteln“, stand darauf.

Der Stadionsprecher forderte die Fans vergebens auf, ihre diskriminierenden Gesänge zu unterlassen. Schließlich unterbrach der Schiedsrichter das Derby nach knapp einer halben Stunde Spielzeit, was nach Auffassung von Le Graëts falsch war. Man werde dafür sorgen, dass es keine Banner mehr in den Stadien gebe, kündigte Noël Le Graët an. Auch er sei gegen Homophobie. „Aber Spiele unterbrechen – nein.“

Le Graët fügte noch an, dass er Spiele, in denen es rassistische Vorfälle gebe, durchaus unterbrechen lassen will. Fürs Protokoll heißt das: Homophobie findet der 77-Jährige weniger schlimm als Rassismus.

Nun ist der Aufschrei groß, weil der Fußball-Präsident offenkundig mit zweierlei Maß misst. Der Aufschrei ist sogar so groß, dass sich Staatspräsident Emmanuel Macron zur Causa äußern musste. „Hassreden, ob rassistisch oder homophob, müssen aufhören“, sagte Macron.

Präsidententreffen. Noël Le Graët (l.) ist für den französischen Fußball zuständig, Emmanuel Macron fürs ganze Land.
Präsidententreffen. Noël Le Graët (l.) ist für den französischen Fußball zuständig, Emmanuel Macron fürs ganze Land.

© Damien Meyer/AFP

Affenlaute gegen Romelu Lukaku

Eine solch simple Aussage hätten sich viele Menschen auch von Le Graët gewünscht. Aber sie hätte auch etwas zu kurz gegriffen. Denn natürlich muss zwischen Rassismus und Homophobie in Fußballstadien differenziert werden. Da hat Le Graët leider recht.

So niederträchtig beide Formen sind, so unterschiedlich treffen sie diejenigen, die diskriminiert werden. Homophobe Gesänge sind – zumindest in Fußballstadien – oftmals Allgemeinplätze. Sie richten sich in den seltensten Fällen gegen bestimmte Personen. Das ist bei rassistischen Parolen anders.

Rassistische Gesänge und Banner zielen in aller Regel direkt auf Individuen. Wer im Stadion so hetzt, sucht sein Opfer mit dem Fadenkreuz. Die Liste ist leider allzu lang, sie reicht von N-Wörtern über Affenlaute bis hin zu schlechten Nachbarschaftsvergleichen. Opfer, von der Kreisliga bis zur Champions League, finden sich in stattlicher Zahl – europaweit und wöchentlich. Der letzte (prominente) Fall betraf erst kürzlich Inter Mailands Stürmer Romelu Lukaku, den Fans von Cagliari Calcio mit Affenlauten bedachten. Der Schiedsrichter reagierte nicht, Lukaku stand schutzlos da.

Es macht im Stadion also schon einen Unterschied, ob Fans Hetzjagden auf einen Spieler veranstalten oder Kampagnen gegen gesellschaftliche Gruppen fahren. Verachtenswert und rückständig ist beides, nur stellen rassistische Taten auf brutale Weise Einzelne an den Pranger.

Noël Le Graët hat die Lage dennoch verkannt. Er liefert mit seinen Statements den homophoben Idioten in den Kurven einen Freifahrtschein für weitere Aktionen. Das ist eines Verbandspräsidenten mit entsprechender Reichweite und Wirkungsmacht unwürdig.

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