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Bewegender Abschied. Beim Hallen-Meeting in Chemnitz 2002 verabschiedete sich Diskuswerferin Ilke Wyludda endgültig von ihren Fans. Foto: ddp

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Diskus-Olympiasiegerin: Wyludda musste Bein amputiert werden

Ilke Wyludda hatte in ihrer Karriere immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen – jetzt wurde der Diskus-Olympiasiegerin von 1996 ein Teil des rechten Beins amputiert.

Ilke Wyludda hatte die linke Hüfte noch eine Spur weiter nach vorne gebracht, so, wie es ihr Trainer Gerhard Böttcher verlangt hatte. Dann schleuderte sie den Diskus. Die Scheibe flog und flog durchs Stadion von Atlanta, und sie landete erst nach 69,66 Metern. Und damit war Ilke Wyludda vom LAC Chemnitz Olympiasiegerin. Strahlend lief sie, 1,84 Meter groß und 95 Kilogramm schwer, an 83 000 applaudierenden Menschen vorbei eine Ehrenrunde. Und als sie wieder im Ziel war, sagte sie schnaufend: „Irgendwie ist das grausam, weil 400 Meter einfach zu lang sind.“ Das war an einem warmen Sommerabend 1996.

Am 9. Dezember 2010 erlebte Ilke Wyludda einen viel grausameren Tag. An diesem Tag wurden der Olympiasiegerin in Halle an der Saale am rechten Bein der Fuß, der Unterschenkel, das Knie und ein kleiner Teil des Oberschenkels abgenommen. Nach einem Routineeingriff hatte die 41-Jährige nach einer Infektion eine Blutvergiftung bekommen. Gestern wurde das alles der breiten Öffentlichkeit bekannt. Die „Bild“-Zeitung zeigte ein Foto, darauf ist eine Frau zu sehen, die sich auf einer Krücke abstützt, aber mit einem Anflug von Lächeln in die Kamera blickt. Eine Frau, soll dieses Foto symbolisieren, arrangiert sich mit ihrem Schicksal.

Das passt zum Bild der Ilke Wyludda. Sie steht nicht nur für einen Olympiasieg, zwei WM-Silbermedaillen, zwei Europameister-Titel und zwei Weltcup-Siege. Sie steht auch für fast grenzenloses Leid und Verletzungspech. Bevor sie 1998 Sechste der Europameisterschaft wurde, hatte sie elf Operationen an der zwei Mal abgerissenen Achillessehne hinter sich. Vier Monate saß sie im Rollstuhl. Es war nur der letzte Teil einer langen Serie. Im März 1993 war ihre Patellasehne gerissen. Im September 1993 dann ein Kreuzband. 1995 hatte sie Knochenhautprobleme. Im Januar 1997 riss ihr beim Schnellkrafttraining die Achillessehne, im April erneut. Erst nach acht Operationen schloss sich die Wunde. 2001 gab sie endgültig auf. Sie erklärte ihren Rücktritt.

Eines der erschütterndsten Bilder gab die Patientin Wyludda 1998 ab, unmittelbar nach ihrem EM-Sieg. Sie musste zur Dopingkontrolle und auf einem Formblatt alle Medikamente aufführen, die sie in letzter Zeit genommen hatte. Aber der vorgesehene Platz reichte nicht. Am Ende hatte Ilke Wyludda 63 Medikamente notiert. Die Mannschaftsärzte waren fassungslos.

Andere hätten schon da längst aufgegeben, Wyludda nicht. Kämpfen war ihr Naturell. Nie beklagte sie sich über ihre Situation. Stattdessen sagte sie nach ihren elf Operationen: „Es war keine schöne Zeit. Aber ich hatte täglich Besuch, viele Leute munterten mich auf.“ Oder die Studentin der Sportwissenschaft verkündete: „In der Pause habe ich meine Diplomarbeit vorangetrieben.“ Wyludda ließ sich selbst zur Therapeutin im Behindertensport ausbilden und sagte: „Ich erlebe jetzt meinen Beruf aus Patientensicht, eine wichtige Erfahrung.“ Es war die pragmatische Sicht einer Frau, für die Sport immer auch ein Kampf gegen eigene Schwächen war.

Härte gegen sich selbst hatte sie schon als Jugendliche in der DDR gelernt. Sie wurde mit Anabolika vollgestopft, sie wurde so gemästet, dass sie 1988 als Juniorin einen geradezu grotesken Junioren- Weltrekord von 74,56 Metern aufstellte.

Und jetzt die Amputation. Ilke Wyludda wird auch diesen Schicksalsschlag bewältigen. „Bild“ zitiert sie mit dem Satz: „Das Wichtigste ist doch, dass ich lebe.“ Wieder so ein Satz, der ins Bild passt.

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