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Jahrhundertpferd. Totilas, hier mit seinem niederländischen Reiter Edward Gal, ist die große Attraktion beim CHIO-Turnier in Aachen.

© dpa

Dressurreiten: Popstars und Politiker

Mit teils umstrittenen Methoden und Taktiken haben die niederländischen Dressurreiter die Dominanz der Deutschen beendet. Hinter den Kulissen gibt es Kritik am zu großen Einfluss der Niederländer.

Wenn er trabt, scheinen seine Vorderbeine wie von einem Marionettenspieler gehoben zu werden: Der Hengst Totilas wird als Jahrhundertpferd gefeiert. Am Samstag verhalf er seiner niederländischen Mannschaft zum Gewinn des Nationenpreises in der Dressur, vor den Deutschen und den Briten. Totilas ist der Star beim CHIO in Aachen: Kaum ist er in der Bahn, strömen die Menschen herbei, um ihn zu bewundern. Vielseitigkeits-Bundestrainer Hans Melzer schwärmt: „Einfach fantastisch, solch ein Potenzial!“ Zum ersten Mal erlebe er ihn live, „ich musste doch mal sehen, wie der ist, nachdem so viel über ihn gesprochen wurde“.

Totilas steht auch für den Machtwechsel im Dressursport: Die Niederlande haben die zuvor jahrzehntelang dominanten Deutschen überholt. Sie sind auch für den Großen Dressurpreis am heutigen Sonntag die haushohen Favoriten. Edward Gal, der Reiter von Totilas, hat noch starke Mannschaftskollegen namens Adeline Cornelissen und Imke Schellekens-Bartels, alle ausgerüstet mit starken Pferden.

Das Geheimnis ihrer Dominanz ist, dass die Niederländer vieles anders machen. Es ist eine Mischung aus professioneller Betreuung der Reiter, was körperliche Fitness, aber auch Organisation und Management angeht, und einer offenen, mutigen Zucht, die enger mit Sport und Wissenschaft vernetzt ist als in Deutschland. Dazu kommt noch das äußerst umstrittene neue Pferde-Ausbildungssystem „Long Deep Round“, das jedoch die zur Zeit gewünschten Effekte – Reaktionsschnelligkeit und spektakuläre Bewegungen – eher bringen kann als die klassische Ausbildung.

Nebenbei haben die Niederlande der Dressurszene einen gewissen Pop gebracht. Nationaltrainer Sjef Janssen, Erfinder von „Long Deep Round“, sieht aus wie ein Surfer, mit seinen hellblond-gesträhnten halblangen Haaren, dem gebräunten Teint und den verwaschenen Jeans. Seine Frau Anky van Grunsven, in Aachen nicht am Start, ist in den Niederlanden ein Star, der in TV-Kochshows auftritt. Und dem Paar ist es wohl auch zu verdanken, dass es vorbildliche Förderprogramme für junge Reiter in den Niederlanden gibt.

Doch das neue Konzept ist es nicht alleine. „Manchmal habe ich den Eindruck, er sitzt nachts noch am Rechner, um zu überlegen, was man im Reglement ändern könnte, um seine Reiter voranzubringen“, sagt eine über Sjef Janssen, die es wissen muss, da ihre Schützlinge seit Jahren ganz oben reiten. Weitere Kritiker sagen, er habe ein sehr gutes Verhältnis zu der Präsidentin des Weltreiterverbandes FEI, und so wären die einberufenen FEI-Konferenzen zum Thema „Rollkur“ auch stets mit mehr ihm wohl gesinnten als kritischen Wissenschaftlern besetzt. Er habe Stewards beschimpft oder aber galanter entsorgt, per FEI-Beschwerde, die dann auf Wohlwollen gestoßen sei. „Das ist nicht richtig“, sagt Sjef Janssen dazu. „Diese Behauptungen sind feige. Ich werde mich detaillierter äußern, wenn die Kritiker nicht weiter anonym bleiben und mit Beweisen kommen.“ Anonym bleiben aber wollen seine Kritiker. Alles Leute, die auf oberster Ebene aktiv sind und konkrete Situationen nennen, weil sie den Einfluss des Mannes fürchten.

Aktuelles Beispiel: Beim CHIO Aachen sind in der Dressur nicht wie sonst dieselben Richter benannt, die auch im Herbst bei den Weltreiterspielen in Kentucky dabei sein werden. Der Veranstalter lädt die Richter stets ein, es war also Aachens Entscheidung. „Wir wollten es einmal anders machen“, sagt Turnierleiter Frank Kempermann. Man wolle internationalen Reitern entgegenkommen, die sich von deutschen Richtern benachteiligt fühlten.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass es die Niederländer sind, die sich oft in Deutschland ungerecht behandelt fühlen. Dennoch ist es ein seltsames Argument, die Richtertruppe für Kentucky besteht schließlich nicht nur aus Deutschen. Der CHIO in Rotterdam, der vor Aachen stattfand, hatte in diesem Jahr plötzlich alle Richter der kommenden Weltreiterspiele. „Da war ich überrascht, das wusste ich gar nicht“, sagt Kempermann dazu. Er ist übrigens selbst Niederländer, erst seit kurzer Zeit Vorsitzender des Dressurkomitees des Weltreiterverbandes und kommt eigentlich nicht aus der Dressurszene. „Ich kann Ihnen sagen, meine Frau schimpft schon, dass ich diesen Posten angenommen habe!“, ruft er. „Im Springen fällt eine Stange und alle wissen: vier Fehlerpunkte. Aber in der Dressur, das ist viel zu viel Politik!“ Es gibt offenbar Trainer, die haben das Gewicht der Politik verstanden.

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