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Sport: Duell mit Drill

In der Welt des Turnens messen sich zwei Mächte mit unterschiedlichen Mitteln: die USA und China

Shawn Johnson ist gerade mal einen Kopf größer als die großen Stoff-Teddybären, die man auf dem Jahrmarkt von Stuttgart als Hauptpreis gewinnen kann. Wenn sie lacht, blitzen weiße Zähne, wenn sie geht, wippt ihr Pferdeschwanz, wenn sie Fragen beantwortet, verschränkt sie artig die Hände vor ihrer Hüfte. Eine 15-Jährige mit Kind-Image. Für Steve Penny ist das schon mal gut, weil sich so jemand optisch gut verkaufen lässt. Noch besser allerdings ist ihre Goldmedaille im Einzel-Mehrkampf, die sie bei der Turn- WM in Stuttgart gewann. Und am allerbesten für Penny, den Präsidenten des Turnverbands der USA: Die beste Chinesin lag im Mehrkampf auf Platz sechs. Shawn Johnson aus West Des Moines in Iowa, USA, ist zweifellos ideal für den Kampf, in dem sie steckt. Den Kampf USA gegen China.

Es ist ein Wettlauf zweier Systeme, weit über das Sportliche hinaus. Freiheit gegen staatlichen Zwang. Die Guten gegen die Schlechten. So sieht das aus, jedenfalls für einen Ideologen wie Steve Penny. Der Verbandschef sagt langsam, ganz auf die Wirkung seiner Worte bedacht: „Das Frauenturnen bei den Olympischen Spielen in Peking, das Duell zwischen den USA und China, das wird eine riesengroße Schlacht.“ Pause. Dann: „Wenn ich daran denke, bekomme ich jetzt schon eine Gänsehaut.“

Im Frauenturnen mischen an der Weltspitze einige Nationen mit, aber kein Wettbewerb wird so überhöht wie der zwischen den USA und China, von Funktionären und Trainern vor allem. „Es ist ein Wettstreit um die Frage, wessen System das bessere ist“, sagt Penny.

Beide sind gleich, das ist die einfache Antwort. Beide sind gnadenlos in ihren Ansprüchen. Schmerzen, Tränen, Erschöpfung, Drill, das sind feste Bestandteile beider Systeme. Der Unterschied liegt nur in der Frage, wie die Schmerzen erzeugt werden.

In China läuft alles staatlich reglementiert. Die Stars und die besten Talente quälen sich zentral in Peking, in einem hochtechnologisierten Trainingszentrum. Hier müssen Talente zu viert auf Matratzen in einem unbeheizten Raum wohnen und chinesische Lieder singen, wenn ihnen eigentlich zum Heulen zumute ist. Die Stars, junge Mädchen, sind nicht viel besser dran. Das staatliche Plansoll sieht mehrere Medaillen im Frauenturnen vor. „Es geht schon ein enormer Druck von der Regierung aus“, sagt Nationaltrainer Huang Wen Bin. Denn wichtig ist die Vormachtstellung im Kampf gegen die USA. Den Druck geben die Trainer weiter. Das Üben ist oft genug eine Quälerei. Dafür sorgt der Staat aber für eine Rund-um-Betreuung.

In den USA zahlen vor allem die Eltern –30 bis 40 Dollar pro Monat, wenn eines der Kinder in die 4000 privat finanzierten Klubs geht. Wenn die Talente in besseren Klubs gefördert werden, kostet das schon 500 bis 1000 Dollar pro Monat. Die besten steigen auf in die Förderprogramme von USA-Gymnastics. Topstars trainieren entweder zu Hause oder sie treffen sich jeden Monat mit ihren Heimtrainern in New Waverly bei Houston, im Turnzentrum von Bela Karolyi, der 1976 die Rumänin Nadia Comaneci zur Olympiasiegerin gemacht hat. Und weil Turnen in den USA populär ist, statten Sponsoren den US-Verband mit einem Jahresetat mit 15 Millionen Dollar aus.

Für einen klaren Sieg im Kampf der Systeme reicht das allerdings nicht. Die USA gewannen zwar bei der WM in Stuttgart auch das Teamfinale vor den Chinesen, aber gestern sicherte sich Fei Cheng Gold beim Pferdsprung. Und die USA ist zwar die einzige Nation, die seit 2001 bei jeder WM eine Team-Medaille bei den Frauen gewonnen hat – aber Gold mit der Mannschaft holte bei der WM 2006 China.

Doch Penny weiß schon, warum er seine Schlacht auf die Frauen beschränkt. Bei den Männern wäre er hoffnungslos unterlegen. Die chinesischen Männer gewannen in Stuttgart bisher vier von fünf Goldmedaillen. Die besten US-Turner waren gestern Kai Wen Tan an den Ringen und Guillermo Alvarez am Boden. Mit überschaubaren Erfolgen: zweimal Platz vier.

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