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Sport: Ehrenwertes und nobles Auftreten

Erst mal einen Cognac. Der Szenerie am Bahnhof Friedrichstraße war schließlich laut und aufregend gewesen.

Erst mal einen Cognac. Der Szenerie am Bahnhof Friedrichstraße war schließlich laut und aufregend gewesen. Rund 300 Leute hatten der ersten Mannschaft Tennis Borussia Berlins und den mitreisenden zwanzig Schlachtenbummlern alles Gute gewünscht für den heiklen Auftritt in Paris. Zwei Tage später, am 19. Oktober 1924, würden die Lila-Weißen der erste Verein sein, der nach dem "Großen Krieg" und der "Schmach von Versailles" ein Fußballspiel in Frankreich austragen würde. In dem Land also, das die Mehrheit der Deutschen nach wie vor als Erzfeind betrachtete. Schon der Abschied war für Spieler und Funktionäre ein Erlebnis.

Also erst mal einen Cognac. Und bei einer Zigarre darüber nachdenken, welche Wellen dieses Spiel schon geschlagen hatte, bevor es angepfiffen wurde. Jeder im Zug wusste: Obwohl der liberale Außenminister Gustav Stresemann seit über einem Jahr die Verständigungspolitik mit Frankreich eingeläutet hatte, blockierten weite Kreise des Sports immer noch den Wettkampfverkehr. "Welcher Deutsche würde zu einem weltoffenen Feste nach Paris wollen, solange Neger in französischen Uniformen am deutschen Rhein stehen", hatte Funktionär Carl Diem noch 1923 gebellt, als feststand, dass keine deutschen Athleten zu den Olympischen Spielen 1924 eingeladen würden. Vor der Partie mit dem Club Francais hagelte es nun Kritik und Vorwürfe aus ganz Fußball-Deutschland. Nicht nur, dass der Kontakt mit den verhassten Franzosen wiederhergestellt werden sollte - TeBe, so der Kernvorwurf, sei nur zweitklassig, könne so den deutschen Fußball und die "deutsche Art" nicht würdig vertreten.

Warum also wurden gerade die "Veilchen" mit dieser Mission betraut? Die Zeitschrift "Fußball-Woche" klärte nach der Mission darüber auf: "Der Berliner Verband hat in wohlweiser Überlegung seine Zustimmung zu dem Kampfe erst gegeben, als er sich bewusst war, dass das Verlangen, neben einer spielstarken Mannschaft auch eine solche mit Takt und verständnisvollem Auftreten in die Metropole Frankreichs zu entsenden, für ihn sichergestellt war." Einige TeBe-Mitglieder pflegten geschäftliche Beziehungen nach Paris, ein ehrenwertes und nobles Auftreten schien also gewährleistet. Auch das eingeschaltete Auswärtige Amt, dessen diplomatisches Korps laut Vereinsnachrichten alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, wird sich dessen versichert haben. Stolz stellte der Kurier aus Paris fest, die dortige deutsche Botschaft habe "alles getan, um die letzten Hemmnisse für das Spiel aus dem Wege zu räumen".

In der Metropole angekommen, wurde selbstverständlich nicht trainiert. Bis der neue Coach Otto Nerz aus London eintraf, erkundete die Mannschaft touristische Attraktionen wie den Eiffelturm oder bewunderte die Modernität des Pariser Straßenverkehrs. Nachmittags schließlich "trafen sich Deutsche und Franzosen wieder auf dem Kampffelde, aber um zu spielen", wie die Tageszeitung "Matin" ironisch kommentierte.

Das außergewöhnlich fair geführte Match in der Buffalo-Bahn, der ersten überdachten Zement-Radrennbahn der Welt, gewannen die Berliner sicher mit 3:1 Toren. Wichtiger als der sportliche Erfolg aber schien die Reaktion der 15 000 Zuschauer zu sein: Sie feierten gerade so, als hätte ihr eigenes Team gesiegt. Operation gelungen.

Wie erleichtert die Politik die Premiere registrierte, zeigte sich beim abendlichen Bankett. Vertreter der Vereine, des DFB, Botschaftsangehörige, Presse und Spieler - sie alle lauschten der enthusiastischen Rede des Mitgliedes des französischen Ministeriums für Volkswohlfahrt, Delarbre, der sich gar zu dem Versprechen in einer sportpolitisch sensiblen Frage hinreißen ließ: sich für die Freigabe der Sportplätze im besetzten Ruhrgebiet einzusetzen. Laut TeBe-Vereinsorgan der klare Beweis, "Berlin und das Deutschtum würdig vertreten" zu haben.

Auch das flugs vereinbarte Rückspiel im Moabiter Poststadion einen Monat später gewannen die Berliner, diesmal mit 5:1 Toren. "Groß und gefährlich war das Unternehmen", trug DFB-Spitzenfunktionär Felix Linnemann danach noch einmal vor, "und, meine Herren, seien Sie überzeugt, so groß die allgemeine Sympathie nach dem Gelingen heute ist, gesteinigt hätte man Sie, wäre der Verlauf ein anderer geworden." Tennis Borussia Berlin aber hatte die heikle Mission in seiner nun 100-jährigen Geschichte souverän gemeistert. Dass vor dem Rückspiel Schnee fiel, beschrieb wahrlich nicht die Situation der deutsch-französischen Sportbeziehungen. Das sportpolitische Eis zwischen Frankreich und Deutschland begann ja bereits in Paris zu schmelzen. Die geeignete Metapher wäre daher Tauwetter gewesen.

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