zum Hauptinhalt

Sport: Ein guter Krimi

Blockierte Formel-1-Weltmeister Alonso seinen Teamkollegen Hamilton absichtlich in der Boxengasse?

Bei McLaren-Mercedes muss irgendjemand starken Gefallen an Kriminalgeschichten gefunden haben. Weil die Spionageaffäre um geheime Daten des Konkurrenten Ferrari in dieser Hinsicht offensichtlich nicht mehr genügend Stoff bietet, zimmerte sich das Formel-1-Team im Abschlusstraining zum Großen Preis von Ungarn (Sonntag 14 Uhr, live bei RTL und Premiere) selbst einen kleinen Krimi. Das zu lösende Rätsel: Warum blockierte Weltmeister Fernando Alonso den WM-Führenden Lewis Hamilton bei seinem letzten Boxenaufenthalt, so dass sein Teamkollege nicht mehr genug Zeit für eine schnelle Runde hatte und die Poleposition an den Spanier verlor? Vor dem offenen Ausbruch des seit Monaten schwelenden Streits der beiden WM-Anwärter verblassten selbst die guten Resultate der deutschen Fahrer Nick Heidfeld, der im BMW Dritter wurde, und Nico Rosberg (Williams/Fünfter). Sebastian Vettel startet in seinem ersten Grand Prix für Toro Rosso dagegen nur von Rang 20.

„Ich bin genauso ratlos wie alle“, sagte Hamilton, kündigte aber sofort an, auf eigene Faust Recherchen durchzuführen. „Ich denke, man muss das Team fragen, und das werde ich definitiv tun. Dafür muss es eine verdammt gute Erklärung geben.“

Als Geschädigter gab Hamilton auch gleich seine Aussage über den teaminternen Vorfall zu Protokoll. „Ich bin extra langsam in die Box gefahren, um frische Reifen aufzuziehen, weil mir das Team gesagt hat, dass Fernando noch dort steht“, sagte der 22-Jährige. „Als ich in die Box kam, stand er aus irgendeinem Grund aber immer noch da.“ Alonso räumte den Platz für Hamilton erst, als nicht mehr genug Zeit übrig war, um eine komplette Runde zu schaffen. „Am Ende hat mir genau die Zeit gefehlt, die ich in der Box warten musste“, sagte Hamilton und lächelte seinen Teamkollegen süffisant an. Wer genau hinschaute, konnte auch erkennen, dass sich sein Verdacht gegen den Spanier richtete: Ganz beiläufig kratzte sich Lewis Hamilton in Richtung Alonso am Kopf, als der sprach - mit dem Mittelfinger bei gleichzeitig geschlossener Faust.

Auch das Motiv für die Tat war sofort zur Hand: Eifersucht und Rache. Der Weltmeister litt in letzter Zeit verstärkt unter der Aufmerksamkeit, die dem Senkrechtstarter Hamilton sowohl im eigenen Haus als auch in der Öffentlichkeit zuteil wurde. Doch wie der betrogene Ehemann in Agatha-Christie-Krimis konnte er mit einem Alibi aufwarten. Das Team hätte ihm per Funk mitgeteilt, noch zu warten. „Das ist nichts Ungewöhnliches, das passiert in jedem Qualifying.“ Die Menschen am anderen Ende der Leitung würden für ihn den besten Zeitpunkt errechnen, wieder auf die Strecke hinauszufahren, um nicht hinter langsameren Autos festzustecken. „Sie berechnen, ich fahre nur.“ Demnach könnte ein Abstimmungsfehler zwischen Alonsos und Hamiltons Boxencrew zu dem Missgeschick geführt haben. Gegen diese Theorie sprach freilich, dass die Boxencrew Alonso mit dem Hochreißen des Stoppschilds bereits sekundenlang freie Fahrt signalisiert hatte.

Noch undurchdringlicher wurde der Fall, weil auch das vermeintliche Opfer Argwohn auf sich zog. Wie der Teamchef erklärte, hatte Hamilton die Teamstrategie für das Training durcheinander gebracht, weil er zuvor Alonso nicht wie abgesprochen vorbeigelassen hatte. „Lewis hätte Fernando überholen lassen sollen, was er nicht tat“, sagte Ron Dennis.

Hamilton gab an, er habe Alonso nicht vorbeigelassen, weil er befürchtete, dass ihn dann auch der Ferrari-Pilot Räikkönen überholt hätte. „Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht und bin einfach auf dem Gas geblieben.“

Mysteriös blieb freilich, wieso Alonsos Renningenieur ihn trotz der daraus resultierenden Zeitnot für beide McLarens seelenruhig in der Box stehen ließ. Das erstaunte auch Hamilton, der viel sagend verriet: „Das Team arbeitet perfekt, es macht keine Fehler. Es macht nur, was ihm gesagt wird.“ War es möglich, dass der Chef höchstpersönlich den jungen Aufsteiger aufgrund der Befehlsverweigerung sabotiert hatte? „Versuch nicht, mich so zu hintergehen!“, hatte Hamilton nach seiner Verspätung in sein Funkgerät Richtung Dennis gebrüllt, gefolgt von einem „Fuck you!“, woraufhin sich der McLaren-Boss wütend die Kopfhörer vom Schädel riss. Schon beim Rennen in Monaco hatte Hamilton öffentlich eine Benachteiligung moniert, weil er Alonso nicht überholen durfte. Doch nach einem ersten Einschreiten der Teamführung relativierte der Brite seine Beschuldigungen wieder: „Seit Monaco war das Team immer fair zu mir. Ich habe so viel Vertrauen, dass ich nicht glauben kann, dass sie so etwas tun würden.“

Nach dieser verwirrenden Analyse des Tathergangs verzogen sich alle Verdächtigen, um den Fall hinter verschlossenen Türen zu klären. Angesichts der Verworrenheit war die Hinzuziehung von professionellen Ermittlern aber unumgänglich.

Fahrerlagerkommissar Niki Lauda sprach von einer „Sauerei“ Alonsos. Nicht nur er fühlte sich an die Vorkommnisse von vor einem Jahr erinnert, als Alonso in Monaco von Michael Schumacher blockiert wurde. Die Rennkommissare des Automobil-Weltverbandes Fia ließen sich für ihr Urteil etwas mehr Zeit; bis zum späten Abend konnten auch sie kein Licht ins Dunkel der Affäre bringen.

Doch gleich, was der offizielle Ermittlungsbericht letztlich ergeben wird – Ron Dennis' Fazit dürfte wohl am nächsten an der Wahrheit liegen. „Wir haben eine dramatische Situation mit zwei Sieganwärtern im gleichen Team“, sagte der Brite, der eine erbitterte hausinterne Fehde bereits zu Zeiten von Alain Prost und Ayrton Senna aus nächster Näher erlebt hat. „Das baut auch intern einen unheimlichen Druck auf.“ In so einem Fall müsse das Team eine gesunde Balance wahren. Dass dies am Samstag nicht wirklich gelungen ist, musste auch Dennis zugeben: „Wenn jemand denkt, dass irgendwas heute Nachmittag mit Vorsatz geschehen ist, soll er das von mir aus tun.“

Christian Hönicke[Budapest]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false