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Ex-Schalkemanager Rudi Assauer.

© dpa

Alzheimer-Erkrankung: Ein Mann wie Rudi

Seit einiger Zeit ist bekannt, das Rudi Assauer an Alzheimer erkrankt ist. Diese Schwäche zeigt er jetzt so hemmungslos, wie er früher nur seine Stärke zeigte. Eine Hommage an eine echte Sportgröße.

Vor ein paar Jahren lief im deutschen Fernsehen eine Serie mit Liebesfilmen, in denen Rudi Assauer die Hauptrolle spielte. Es war nicht die Art von Liebesfilm, an die man sich gewöhnt hatte, nein, in Assauers Filmen wurde weder geflirtet noch geküsst. In den Schlüsselszenen kamen nicht einmal Frauen vor, nicht eine einzige Frau. Es ging auch gar nicht um Assauers Gefühlsleben, sondern um die Liebe der Fernsehzuschauer zu Rudi Assauer. Insofern war es ein Beziehungstest. Sach et Rudi! hieß die Sendung, sie lief hin und wieder vor Europapokalspielen, und sie zeichnete sich dadurch aus, dass Assauer etwas Belangloses tat und dabei von einer Kamera aufgenommen wurde. Es war eine Sendung ganz ohne Sinn, und wer die erste Staffel zu Ende sah, stellte fest, dass Assauer etwas Unglaubliches gelungen war: Ihm war alles egal. Zum Beispiel war ihm egal, ob er im Fernsehen war. Er tat nicht, was die Kamera wollte. Die Kamera tat, was er wollte. Mit einem Fan seines früheren Fußballvereins Schalke 04, dem Schauspieler Peter Lohmeyer, saß Assauer in einer Hafenkneipe in Hamburg und ließ sich dabei aufnehmen, wie sie Matjesbrötchen verspeisten. Wer einen dieser Filme durchhielt, der musste Rudi Assauer lieben, eine andere Erklärung gab es nicht.

Manchmal drehte Assauer der Fernsehkamera den Rücken zu, so selbstverständlich, als sei er nicht die Hauptfigur, sondern ein Statist, der sich langweilt. Einmal zog er sein Handy aus der Tasche und telefonierte. Man hätte sich vorstellen können, dass sich Assauer am Ende der Sendung entkleidet, seinen Pyjama überstreift und sich schlafen legt. Als die erste Staffel der Fernsehserie gelaufen war, kündigte der Sender eine zweite an, strahlte sie aber nie aus. Assauers kleine Filmkarriere endete, weil er eigensinniger war als das Medium, das glaubte, ihn eingefangen zu haben.

Jetzt ist er unheilbar krank. Er leidet an Alzheimer. Am 30. April dieses Jahres, seinem 68. Geburtstag, wird Assauers Sekretärin sein Büro in Gelsenkirchen zum letzten Mal abschließen, nach Hause gehen, das war es dann. Die jüngsten Fernsehbilder, die man von ihm kennt, zeigen einen Mann, der sich in einer Klinik darum bemüht, eine Uhr auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Zwischen dem Mann, der mit Kameras spielte, und dem Mann, der sich Kameras schutzlos ausliefert, gibt es nur noch eine lose Verbindung. Tausende E-Mails sind in seinem Büro angekommen, von denen die meisten besagen: Rudi, halt durch. Rudi, du bist unser Held.

Über Mut muss man sprechen, wenn man über Assauer spricht, über Unbeherrschtheit, Beharrlichkeit, Leidenschaft und Stolz. Man könnte es sich einfach machen und sich alte Fotos ansehen, dieses Gesicht studieren, das besser zu einem serbischen Partisanenführer gepasst hätte als zu einem deutschen Fußballmanager. Man könnte sich an seine blau getönten Sonnenbrillen erinnern, die Kaschmirschals, die Davidoff-Zigarren, die einfallslosen Insignien eines Emporkömmlings, aber das sagt alles wenig.

Im April 2006, als sich der Manager Assauer mit den Aufsichtsräten des FC Schalke zerstritten hatte, führte er ein langes Gespräch mit der ZEIT . Auf seiner Nase klebte ein Pflaster. Assauer war zu einem Arzt gegangen, der für eine Untersuchung ein kleines Stück Haut entfernt hatte, möglicherweise Hautkrebs. Erst später stellte sich heraus, dass der Verdacht unbegründet war. Die Diagnose des Arztes und die entscheidende Machtprobe im Verein, beides stand Assauer damals bevor. Er sagte einen seiner berühmten Sätze: »Du siehst die Scheiße immer erst, wenn der Schnee geschmolzen ist.« Es wäre für ihn naheliegend gewesen, sich um sich selbst Sorgen zu machen und klein beizugeben, aber er brachte den Mut auf, den Konflikt mit dem eigenen Aufsichtsrat auf die Spitze zu treiben. Sein Arbeitsvertrag war hoch dotiert, doch Assauer hatte noch viel mehr zu verlieren, das Thema seines Lebens: die Verwandlung einer Stadt in einen Fußball. Nirgendwo war das so umfassend gelungen wie in Gelsenkirchen, wo Assauer eine Fußballarena hatte errichten lassen, die höchste Erhebung weit und breit, ein glühender, brodelnder Berg. Einer illusionslosen Stadt hatte er, der Sohn eines Zimmermanns, einen Ort zum Träumen gebaut.

Alles, was er erreicht hatte, stand auf dem Spiel, aber Assauer hörte nicht auf, sich den Chef des Aufsichtsrates vorzuknöpfen, einen einflussreichen Fleischfabrikanten. Den Mann, der Assauers Entlassung organisieren konnte, nannte er öffentlich »einen Metzgermeister«, der »keine Ahnung« habe. Welcher andere Manager hätte das gewagt?

Am Ende kam Assauer seinem Rauswurf zuvor, indem er zurücktrat. Präsident hätte er noch werden können, Präsident des FC Schalke und damit von Gelsenkirchen, ein dekorativer Posten, ohne Gehaltseinbußen, aber auch ohne Macht. Assauer wollte nicht, er ging zornig heim und schwieg. Er konnte sehr eindrucksvoll schweigen. Er schwieg, als ihn Zeitungsleute anriefen und fragten, was einer seiner Nachfolger, Felix Magath, falsch machte. »Ich trete nicht auf Leute, die am Boden liegen«, sagte Assauer. Er kaufte sich zwei Dauerkarten fürs Stadion und verschwand nach den Spielen schnell. Sein letztes Zeitungsinterview gab er dem Magazin der Deutschen Rentenversicherung. »Wie gehen Sie mit Ihrer Gesundheit um?«, wurde er gefragt. »Ich lebe bewusst und paffe Zigarren.«

Rudi Assauer hasst Selbstmitleid

Das Faszinierende an Assauer ist, dass er die Härte seines Geschäfts aushielt, ohne selber zu verhärten. Er brüllte seine Sekretärin an, so lange, bis sie zurückbrüllte. Danach wollte er keine andere mehr. Er schloss sie in sein Herz. Er gönnte sich selber keinen Urlaub, vielleicht ein paar Tage an der Nordsee, das erwartete er auch von seiner Sekretärin. Bis heute kümmert sie sich so sehr um ihn, als sei Assauer ihr Mann.

Er ließ sich auf zwei Ehen und verschiedene Beziehungen ein, mit Frauen, die jünger waren, einige sehr viel jünger, und die er »drall« nannte. Nicht immer war es Assauer, der die Verbindung kappte. In der Öffentlichkeit spielte er sich auf als der Mann, der sich von einer Frau nichts bieten lasse, aber manchmal wurde er sitzen gelassen. Dann war er allein in seiner Villa und rauchte. Wie immer die Sache auch ausging, hinterher sagte er: »Die Alte war in Ordnung.« Er machte einfach weiter, er ließ sich nicht hängen.

Begegneten ihm fremde Besucher auf dem Gelände des Vereins, grüßte er skeptisch und musterte sie mit seinem Alligator-Blick. Waren sie dem Großgrundbesitzer nicht eine Erklärung dafür schuldig, dass sie ihm nahe kamen? Er benahm sich wie ein Patriarch. Er drangsalierte Menschen, und er sorgte für sie. Oft stand er in seinem Eckbüro am Fenster und schaute nach draußen auf den Trainingsplatz. Er kannte sie alle, die da übten, sogar die Zwölfjährigen, er kannte auch ihre Großväter und wusste, ob sie noch ihre Dauerkarte besaßen.

Die Verwandlung der Stadt in einen Fußball ging voran, jetzt konnte er sich auf sein anderes Thema stürzen: die Verkürzung der Woche auf einen Tag, den Spieltag. Wann wird Schalke deutscher Meister? Vier Minuten und 38 Sekunden lang glaubte er sich schon am Ziel, im Mai 2001. Schalke schien Meister zu sein, da schoss der FC Bayern in letzter Sekunde ein Tor. Die Hoffnung war geplatzt, und Assauer weinte zum ersten Mal in einem Fußballstadion.

Danach rannte er fassungslos herum, blickte auf die Truppen deprimierter Schalke-Fans, ballte die Faust und holte aus wie zu einem K.-o.-Schlag. Er bäumte sich vor ihnen auf und schrie: »Ihr könnt stolz auf die Mannschaft sein!« Trauer konnte er nur ertragen, wenn sie sich in Wut entlud, in Spielwut, in Arbeitswut, in irgendeine sichtbare Kraft. Von nun an sprach er über die verpasste Meisterschaft so abgeklärt wie über eine zerbrochene Liebe. Er riss sich zusammen. Er brauchte nicht den größtmöglichen Triumph, um an den Sinn seiner Aufgabe zu glauben.

Er hasst Selbstmitleid, und deswegen ist das Auslaufmodell Assauer auch ein Beitrag zu jener Rollendebatte, in der sich erfolgreiche, gesunde, junge Frauen darüber beklagen, dass sie ständig auf erfolgreiche, gesunde, junge Männer treffen, die in Selbstzweifeln zerfließen. »Das Wort ›mental‹ gab es zu meiner Zeit als Spieler gar nicht«, sagte Assauer einmal, »nur eine Zahnpasta, die so ähnlich hieß.«

Er nahm sich ernst – und die kleine Welt, für die er verantwortlich war. Niemand vor ihm hatte es geschafft, aus dem Skandalverein eine halbwegs seriöse Macht zu formen, den Uefa-Pokal zu gewinnen, einen erfolgreichen Trainer über Jahre zu halten. Assauer freundete sich mit Bossen des großen Rivalen Borussia Dortmund an, ließ sich auf ihren Geburtstagspartys blicken, die Feindschaftsparolen der Fans hielt er für lächerlich. Er selbst hatte früher für Dortmund gespielt. Er bewunderte aus guten Gründen den geradlinigen Uli Hoeneß, aus ebenso guten Gründen misstraute er dem hysterischen Christoph Daum.

Er ist kein kluger Mann, war nie ein überwältigender Redner, kein geschickter Taktiker, mit der Vorbereitung einer Intrige völlig überfordert. »Du bist ein Arschloch«, sagte er auf Versammlungen, wenn er einen aggressiven Fan zurechtwies. »Von dir halte ich gar nichts«, sagt er hin und wieder zu einem seiner Mitarbeiter. Solche Sätze fallen heute nicht mehr. Das ist ein Gewinn, aber es ist auch eine Katastrophe. Im Management eines modernen Fußballvereins werden Menschen benötigt, die ihre Gefühle unter Kontrolle haben. Sie sollen flexibel sein, ausgleichend, demütig. Aber wenn sie alles so machen, wie es gern gesehen wird, dann werden sie leidenschaftslos, verwechselbar, langweilig. Das war gemeint, als Fans im Schalker Stadion das Plakat hochhielten: »Rudi, ohne dich ist alles nichts.«

Rudi Assauer ist sehr einseitig gebildet. Er weiß nichts über Opern, aber er weiß, noch weiß er, dass der Hilfsarbeiter Stan Libuda für ein paar Momente der beste Rechtsaußen der Welt war. Als Libudas Sohn seinen Job verlor, stellte Assauer ihn im Fanshop ein. Als der Dachdecker Trompeten-Willy, der im Stadion zur Attacke bläst, ein neues Instrument brauchte, bezahlte ihm Assauer eines. »Herr Assauer, können Sie mir helfen?« Tausend Mal hörte er diese Frage. Tausend Mal griff er in seine Tasche und fischte einen Geldschein heraus. Er war so stolz darauf, es weit gebracht zu haben, dass er zurückzahlen konnte. Seine Stärke zeigte er so hemmungslos, wie er jetzt seine Schwäche zeigt.

Im Grunde ist Rudi Assauer ein liebenswürdiger Kerl, der einfach zu viel vergisst.

Zuerst erschienen bei Zeit online.

Stefan Willeke

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