Ein Rückblick: Momente, die bleiben
Sport kann die Welt bewegen - für einige Augenblicke entfachte Olympia Faszination oder Diskussion. Unsere Olympia-Reporter Friedhard Teuffel und Benedikt Voigt blicken zurück.
Warten auf sich selbst
Es ist nicht der schönste Ausblick, beim Schwimmen am Ziel zu sein und nach vorne zu schauen. Da gibt es nicht viel mehr zu sehen als den Beckenrand. Doch Britta Steffen will in diesem Moment nichts anderes sehen. Ihr Blick geht nach innen. Sie hat ein Rennen über 100 Meter Freistil ohne Angst hinter sich gebracht. Ohne sich schon vor dem Start zu denken, dass die anderen Schwimmerinnen neben ihr viel besser sind, dass sie mehr Talent haben und ein besseres Training. So war es ihr zuvor viele Male passiert. Diesmal ist es anders, und das Gefühl kostet sie aus, während um sie herum 18 000 Zuschauer in der olympischen Schwimmhalle lärmen. Die Ergebnisse hängen derweil unbeachtet hinter ihr auf der Anzeigetafel. Als sie sich dann nach diesem langen Moment am Beckenrand umdreht, kann sie hinter ihrem Namen und ihrer geschwommenen Zeit eine 1 lesen. Britta Steffen ist Olympiasiegerin.
258 Kilogramm und eine Frau
Als Matthias Steiner auf das Podium steigt, sind die vielen anderen Geschichten, die sich um ihn und seine dopingbelastete Sportart ranken, für einen kurzen Moment vergessen. Nur eines zählt: Schafft es der massige Mann, der den Unfalltod seiner Frau mit sich herumträgt, auf das Podium? Gelingt es ihm, 258 Kilogramm zu stemmen oder nicht? Zunächst tigert er einmal vor der Hantel hin und her, später erklärt er: „Ich mache das immer unterbewusst, um zu sehen, ob die Gewichte richtig gesteckt sind.“ Dann sucht er den richtigen Griff. Schließlich hebt er die Hantel mit einem gewaltigen Ruck. „Das Aufstehen ist nicht so schwierig, ich kann auch mit 260 Kilogramm aufstehen“, erzählt er. Dann der finale Stoß mit unmenschlicher Gewalt. Trainer und Betreuer hüpfen vor Begeisterung, das Publikum jubelt. Matthias Steiner wirft die Hantel weg, schreit seine Euphorie heraus und beginnt einen langen Freudentanz über die Bühne. Bei der Siegerehrung schließlich hebt er seine Frau hoch – auf einem kleinen Foto. Wer all das sieht, wird diesen olympischen Moment nicht vergessen. Wie leicht sich ein 145,9 Kilogramm schwerer Mensch fühlen kann.
Die Mini-Playback-Show
So haben es 91 000 Zuschauer in Peking und eine Millarde Menschen weltweit gesehen: Lin Miaoke schwebt an Drahtseilen bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ins Stadion. Als die chinesische Fahne hereingetragen wird, erklingt das Lied „Ode an das Mutterland“. Das neun Jahre alte Mädchen im roten Kleid singt es hingebungsvoll. Am Tag danach erzählt Chen Qigang, der musikalische Chef der Eröffnungsfeier, wie ein Funktionär des Politbüros bei einer Probe das Mädchen sah, das sang und sie für zu hässlich befand. Dieses Mädchen heißt Yang Peiyi, ist sieben Jahre alt, kann sehr gut singen – und hat ein rundliches Gesicht und schiefe Zähne. Der musikalische Direktor besetzte um. „Es war eine unvermeidbare Entscheidung“, sagte Chen Qigang, „und es war eine sehr wichtige und ernsthafte Angelegenheit, die die nationalen Interessen betraf.“ Im nationalen Interesse also steht Lin Miaoke am Abend des 8. August auf der Bühne. So hätten es die 91 000 Zuschauer und eine Milliarde Menschen weltweit sehen sollen: Lin Miaoke schwebt an Drahtseilen bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ins Stadion. Als die chinesische Fahne hereingetragen wird, erklingt das Lied „Ode an das Mutterland“. Das neun Jahre alte Mädchen im roten Kleid öffnet und schließt hingebungsvoll den Mund. Sie singt nicht.
Zu schnell fürs Auge
Michael Phelps muss eigentlich nur noch gleiten. Aber er nimmt seine Arme mit einer Spannweite von 2,04 Meter nach vorne, macht den letzten Schlag. Im Rennen über 100 Meter Schmetterling sieht es kurz so aus, als habe Phelps sein erstes olympisches Schwimmrennen verloren. Neben ihm hat der Serbe Milorad Cavic das getan, was Phelps nicht wollte: ausgleiten. Phelps wird als Sieger angezeigt, die Serben legen Protest ein. Während Phelps seine siebte Goldmedaille feiert, stellt das Schiedsgericht fest: Er soll 4,77 Millimeter Vorsprung haben. In diesem Rennen – einem von acht gewonnenen – ist er sogar schneller, als es das bloße Auge erkennen kann.
Wo bleiben Sie denn?
Aus den Augenwinkeln kann Usain Bolt erkennen, dass ihn keiner mehr einholen wird. Es sind noch mehr als zehn Meter bis zum Ziel. Doch der Jamaikaner breitet schon jetzt die Arme aus, rudert mit den Händen, dreht den Kopf zur Seite, schlägt sich mit der Hand auf die Brust. Seine Beine laufen währenddessen immer langsamer. Weltrekord wird es trotzdem, 9,69 Sekunden über 100 Meter. Jacques Rogge jubelt nicht mit. „Er sollte seinen Konkurrenten gegenüber mehr Respekt zeigen“, tadelt der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees später. Der deutsche Sprinter Tobias Unger sagt: „Sich nach seinen Gegnern umzusehen, wo sie denn bleiben, gehört sich einfach nicht.“ Aber Bolt findet auch einen Verteidiger, Frankie Fredericks, Vorsitzender der Athletenkommission und ehemaliger Sprinter: „Das ist einfach seine Art, auszudrücken, dass er etwas geschafft hat, was keinem zuvor gelungen ist."
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