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Sport: Eine seltsame Situation

Hockey-Bundestrainer Weise hat vor der Nominierung seines Olympia-Kaders die Qual der Wahl.

Alle vier Jahre verflucht Markus Weise seinen Job als Hockey-Bundestrainer. Denn dann naht der Tag, an dem der kahlköpfige Erfolgscoach den Nationalspielern seinen endgültigen Olympia-Kader präsentieren muss. Von anfangs 32 Kandidaten ist das Team aktuell auf 22 Mann reduziert, beim Turnier in London sind 16 Spieler plus zwei Ersatzleute zugelassen. Vier Akteure muss Weise also noch aus seinem Kader streichen – und wegen der enormen Qualität im deutschen Team schlägt ihm die unerfreuliche Streich-Aufgabe diesmal besonders aufs Gemüt.

Am 24. Juni, nach dem viertägigen Test-Turnier gegen Spanien, Niederlande und Belgien in Düsseldorf, ist es so weit. „Die nächste Woche wird super für mich“, murmelt Markus Weise in böser Ironie und denkt mit Grauen zurück an die Nominierung für Peking 2008. „Wir standen zusammen auf einem Haufen, auf einem Nebenplatz in Rotterdam, in irgendeiner Ecke“, erinnert sich der 49-Jährige. „Ich habe einen Fresszettel rausgezogen und die Namen derjenigen vorgelesen, die dabei waren. Tja, und danach gab's auch nicht mehr viel zu sagen.“

Mitten im wüsten Gedränge um die London-Tickets steckt vier Jahre später auch Timo Wess. Der 29-Jährige von Rot-Weiss Köln war Kapitän der Olympiasieger von 2008. Nach Peking legte er offiziell eine Pause im Nationalteam ein, war sich im Grunde aber sicher, nie mehr ins DHB-Trikot zu schlüpfen. Wess hat sich getäuscht: Im Oktober stieg er wieder in die Lehrgänge des Nationalteams ein – und harrt nun Weises finaler Auslese.

„Als ich das zum ersten Mal mitgemacht habe, vor der WM 2002, hab' ich schon sehr gebibbert. Danach war ich Stammspieler – doch die Sicherheit, die ich in der Zeit hatte, ist jetzt nicht da“, gesteht der Rückkehrer, ehe er die Gründe für sein akutes Magendrücken benennt: „Ich war drei Jahre weg. Und die Konkurrenz in der Mannschaft ist einfach unheimlich stark.“ Speziell in dem Arbeitsbereich von Timo Wess, der Defensive.

„Die deutsche Abwehr ist im letzten Olympia-Zyklus extrem stark geworden“, hat Top-Stürmer Christopher Zeller beobachtet – und sagt: „Spieler, die 2008 als sehr talentiert galten, haben sich extrem entwickelt.“ So habe sich etwa Martin Häner zu einem „unfassbar guten Spieler“ gemausert. Oder Timo Wess' jüngerer Bruder Benjamin, der dank seiner Tempovorstöße auf der Außenbahn fester Bestandteil des Teams sei. Außerdem erwähnt Zeller aus der glorreichen Defensiv-Reihe Maximilian Müller. „Der war“, sagt er, „damals schon sehr gut. Doch jetzt hat er auch die Kapitänsrolle sehr gut angenommen – ohne dass sein Spiel darunter leidet, was ja oft der Fall sein kann.“

Im deutschen Angriff sieht Zeller die Konkurrenzsituation im Vergleich zu 2008 ebenfalls erhöht. Im Mittelfeld immerhin, findet der Schütze des einzigen Treffers im Pekinger Olympia-Finale gegen Spanien, sei sie „eigentlich gleich geblieben“. Bleiben die Torhüter, von denen Weise („Auf der Position habe ich drei sehr gute Leute“) nur einen (plus Ersatzmann) mit auf die Insel nehmen darf.

Bei den beiden Kölner Länderspielen gegen Pakistan am Mittwoch (3:4) und Donnerstag (2:0) sammelte der Bundestrainer gerade weitere Erkenntnisse über die Defensivkünste asiatischer Teams – und für die anstehende Qual der Wahl. „Früher konnte der eine oder andere vielleicht schon mal häufiger im Gefühl der Sicherheit schwelgen. Das geht jetzt nicht mehr so richtig – auch für gestandene Spieler nicht“, betont Weise, der sich mit den 22 verbliebenen Kandidaten bereits auf eine Vorgehensweise verständigt hat.

Die lautet: Keine E-Mails, keine Anrufe. „Sie wollen es als Gruppe hören – weil sie sich auch als Gruppe empfinden“, erzählt der Bundestrainer, der das als „ein tolles Signal der Mannschaft“ sieht. Was die Sache für ihn am 24. Juni in Düsseldorf nicht leichter macht. „Das wird wieder sehr schwer, sehr emotional. Eine seltsame Situation“, seufzt Weise vorab. In seinem Leiden befeuert von Goalgetter Christopher Zeller, der sagt: „Das wird eine extrem schwere Entscheidung, die ich persönlich nicht treffen möchte.“

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