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Hände hoch. Es gab ja auch was zu feiern. Besonders für Claudia Pechstein, die über 3000 Meter in Berlin Zweite wurde.

© dpa

Eisschnelllauf-Weltcup: Rechnen mit Claudia

Der Weltcup in Berlin offenbart die Krise der Eisschnellläufer - nach Sotschi werden die Deutschen mit einem wenig aussichtsreichen Team fahren. Nur bei Claudia Pechstein läuft es ordentlich.

Die Faust schnellte in die Höhe bei der Zweitschnellsten. Vermutlich eher selten hat Claudia Pechstein einen zweiten Platz so bejubelt, wie den im 3000-Meter-Rennen beim Eisschnelllauf-Weltcup in Berlin am vergangenen Wochenende. Aber der furiose Lauf im Sportforum Hohenschönhausen war eine Kampfansage der besten deutschen Eisschnellläuferin aller Zeiten in ihrer letzten Olympiasaison. Und es war bereits ihr vierter Podestplatz in dieser Weltcup-Saison. Nun ist bei den Spielen in Sotschi sogar damit zu rechnen, dass die neunmalige olympische Medaillengewinnerin in Russland ihre zehnte Medaille holt. Mit 41 Jahren.

Damit ist dann auch schon viel gesagt über Pechstein und über die Situation der deutschen Eisschnellläufer. Denn außer von Pechstein ist wenig Glanz zu erwarten in Sotschi. Überraschend verpassten die Männer am Sonnabend ihre Qualifikation in der Team-Verfolgung. Das Team der Frauen um Pechstein scheiterte tags darauf im letzten Rennen der Veranstaltung weniger überraschend und kam nur auf Platz neun. Das ist besonders bitter für das deutsche Team, schließlich gewannen die Frauen in der Verfolgung in Turin 2006 und Vancouver 2010 jeweils Gold. Unvergessen der Moment, in dem Anni Friesinger in Kanada im Halbfinale mit letzter Kraft bäuchlings über die Ziellinie rutschte. Aber für derlei aufregende Episoden fehlt in Sotschi die Basis – die Deutschen werden wohl mit dem kleinsten und wenig aussichtsreichsten Team seit der Vereinigung antreten. Die Mannschaft stehe, sagte Gerd Heinze, der Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG). Zwar gibt es über die EM in Hamar und die Sprint-WM in Nagano noch theoretische Chancen, die DOSB-Norm zu erfüllen. Gemessen an den bisherigen Ergebnissen der Saison werde es dort „keine Überraschungen mehr geben“, sagte Heinze.

Pechstein bemängelte die Verbandsvorgabe von fünf Medaillen. „Jenny Wolf und ich können die Eislaufnation nicht allein retten“, sagte sie der „Bild am Sonntag“. Der fehlende Eifer des Nachwuchses sei Grund für die seit Jahren anhaltende Misere der deutschen Läufer. „Es ist eher erschreckend.“ Bei den meisten fehle es an der Einstellung, sich quälen zu wollen. „Manche Wettkämpfe werden weggelassen, weil die Belastung angeblich zu hoch ist.“

Der Eisschnelllauf in Deutschland ist weit von seinen Hochzeiten entfernt. Bei den Männern schon seit Jahren, da wurde der Berliner Samuel Schwarz nach seinem Muskelfaserriss in Hohenschönhausen über 1000 Meter respektabler Siebter beim Weltcup, einen Rang vor dem Chemnitzer Nico Ihle, der am Sonntag über 500 Meter auch noch Zehnter wurde. Für olympische Medaillen kommen wohl beide Sprinter nicht in Frage. Auf den langen Strecken war der neunte Platz des Erfurters Patrick Beckert in Berlin schon ein Erfolg.

Auf den an den drei Tagen zumeist gut gefüllten Rängen im Sportforum spiegelte sich die deutsche Misere wider. Ein guter Teil der Fans kam wieder mal aus den Nationen, in denen Eisschnelllauf ungebrochen populär ist. Die Niederländer bejubeln eben ihre Irene Wüst und aus dem Osten Europas tat sich eine große Fraktion tschechischer Anhänger lautstark hervor. Gab ja auch etwas zu feiern, etwa den souveränen Siegeslauf von Olympiasiegerin Martina Sablikova über 3000 Meter – im gewonnenen Duell gegen Pechstein.

Dass Claudia Pechstein auch abseits des Ovals die auffälligste deutsche Läuferin ist, verwundert angesichts ihrer Geschichte nicht. Bei ihr und ihren Anhängern schwingt der Trotz über eine als stark ungerecht empfundene Behandlung, die Sperre und das Verpassen von Vancouver 2010 mit. Für die Menschen, die ihr die Liebe dauerhaft entzogen haben, hat die gerne mal polarisierende Pechstein natürlich nicht viel übrig. Trotz der „Negativ-Propaganda der Medien“ glaubt die Berlinerin, dass es in Sotschi große Spiele geben wird. Am besten mit einer Medaillengewinnerin Claudia Pechstein. „Ich hoffe, die Form hält bis Sotschi, damit ich dort meine zehnte Olympia-Medaille holen kann“, sagte sie.

Drei Chancen hat Claudia Pechstein, über 1500, 3000 und 5000 Meter – mit der Teamverfolgung der Frauen wird es ja seit Berlin nichts in Sotschi. Und über 1500 Meter erwischte Pechstein in Berlin keinen guten Lauf und wurde nur Neunte. Das habe sie als „Trainingslauf“ eingeordnet“, sagte Pechstein. Aber sie sei beste Deutsche geworden. „Das war mein Ziel.“ Verständlich. Wo so wenig nachkommt im deutschen Eisschnelllauf.

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