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Vorbereitung auf der Rolle. Matthias vor einem Straßenrennen in Lohne.

© promo

Erfahrungen eines Ex-Radsportlers: Doping unter Jugendlichen: Keiner spricht darüber

Über Doping wird im Radsport lieber geschwiegen – auch im Jugendbereich. Unser Autor war Nachwuchsradsportler, erlebte das Schweigen ehemaliger DDR-Trainer und hörte, wie Jugendliche Nasenspray oder Hustensaft nahmen. Ein Erfahrungsbericht.

Ich war 13 Jahre alt. Aufgeregt saß ich auf meinem Fahrrad. Vor dem Start meines ersten Zeitfahrrennens stand mein Trainer plötzlich mit einem Kaffeebecher in der Hand vor mir, gefüllt mit einem halben Liter Cola. „Trink schnell aus, Sportsfreund“, sagte er, „das wird dir schnell und effektiv Kraft geben.“ Ich weiß noch, dass ich ihn verwundert angesehen habe und mich dann gefragt habe: Ist das jetzt Doping?

Sechs Jahre lang bin ich als Kind und Jugendlicher für einen Verein in Brandenburg gefahren, nach ersten Erfolgen wie einem dritten Platz bei den Berlin-Brandenburger Meisterschaften auf der Straße ist der Sport für mich schnell immer wichtiger geworden. Es wurde eine kurze, aber intensive Leistungssportkarriere. Jan Ullrich war mein großes Idol.

Mit 15 Jahren war aus gesundheitlichen Gründen Schluss. Am Ende habe ich von Montag bis Freitag zehn bis zwölf Stunden trainiert, plus Rennen und noch mehr Training am Wochenende. Über das Thema Doping aber habe ich in dieser Zeit nur ein einziges Mal gesprochen: als mich ein Fernsehteam der ARD interviewt hat. Doping war das Tabuthema in meinem Radsportverein. Unser Aufklärungsniveau war gleich null, und wir haben auch nicht nachgefragt: Wir waren die Nachwuchssportler – warum hätten wir etwas so Kompliziertes wie das Dopingproblem im Radsport mit Erwachsenen besprechen sollen? Erst jetzt, fünf Jahre später, stelle ich mir diese Fragen. Dabei war das Thema Mitte der 2000er Jahre medial omnipräsent. Über die Gründe der großen Stille kann ich nur spekulieren: Womöglich wurde auch deshalb so intensiv geschwiegen, weil die Jugendrennradszene im Osten von Fahrern und Trainern geprägt ist, die es aus ihrer DDR-Vergangenheit gewohnt waren, nicht darüber zu sprechen.

Schon bei den U-17-Meisterschaften gibt es Dopingkontrollen

Ich persönlich habe vor jedem Rennen gedopt – mit einer großen Portion Nudeln, um genügend Kohlenhydrate für den nächsten Tag zu haben. Das war meine Art der Leistungssteigerung. Etwas anderes habe ich nie genommen. Befreundete Sportler haben mir allerdings von Konkurrenten erzählt, die ohne gesundheitliche Indikation mit zwölf, 13 oder 14 Jahren regelmäßig Nasenspray oder Hustensaft genommen haben. Also Wirkstoffe, die laut Dopingreglement verboten sind.

In dieser Zeit wurde mir bewusst, dass Doping nicht nur in der Spitze des Radsports existiert, sondern auch auf niederem Niveau den Sport verdreckt. Deshalb mussten sich schon bei den Deutschen Meisterschaften der U 17 die drei Sieger und ein weiterer ausgeloster Fahrer einer Dopingkontrolle unterziehen.

Meine Hüfte ist kaputt - das hat mir die Entscheidung abgenommen

Auf dem Rad habe ich mich immer gut gefühlt. Man kommt schnell von A nach B, kann vor allem wegfahren, und wenn ein Training oder Rennen gut oder schlecht gelaufen ist, ist man selbst dafür verantwortlich und niemand anders. Diese Unabhängigkeit habe ich von Anfang an gemocht, ich benötigte nur Luft im Reifen, und Straßen und Wälder gehörten mir. Und wenn ich nach einem Training ausgepowert nach Hause kam, machte sich ein erschöpftes, aber glückliches Gefühl in mir breit. Gleichzeitig aber wuchsen auch mein Ehrgeiz – und der Druck. Es geht auch in der Jugend schon um Geld.

Je besser die Platzierungen der jugendlichen Radsportler, umso mehr zahlen auch die Sponsoren. Nicht viel, aber irgendwie müssen ja die anfallenden Kosten bezahlt werden. Nach mehreren Erfolgen bekam ich einen persönlichen Trainer, der mich auf die deutschen Meisterschaften im Cyclocross vorbereiten sollte. Schnell bin ich im Training über meine physischen Grenzen hinausgegangen, um mir selbst und den anderen etwas zu beweisen. Im Nachhinein kann ich deshalb die Doper sogar etwas verstehen. Der Mensch hat auch schlechte Tage, und trotzdem wird von einem Leistungssportler erwartet, immer in bester Verfassung zu sein. Das könnte ein Grund sein, warum Radsportler auf Doping zurückgreifen. Auch können die Karrieren kurz sein. Ein unglücklicher Sturz – und man hat viel Lebenszeit in etwas investiert, das sich nicht gelohnt hat.

Bei mir ist seit Jahren die Hüfte kaputt, ich habe bis heute Schmerzen. Trotzdem bin ich froh über die Verletzung, sie hat mir die Entscheidung für oder gegen Doping erspart. Keine Ahnung, wie ich mich entschieden hätte.

Fabien Matthias

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