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Sport: Erfolg in hohen Dosen

Tabellenführung, mehr Zuschauer, weniger Abneigung: RB Leipzig ist tatsächlich auf dem Weg nach oben.

W olfgang Loos würde jetzt gerne ein paar Fragen zur Zukunft beantworten, leider kommt die Gegenwart immer wieder zur Tür herein und stört. Der Sportdirektor von RB Leipzig sitzt in einem schmucklosen Raum im Berliner Poststadion, gleich muss sein Verein in der Regionalliga beim Berliner AK antreten. Der 56-Jährige berichtet von Perspektiven, von Nachwuchsarbeit und Zuschauerrekorden. Alle paar Minuten muss er seinen routinierten Redefluss aber unterbrechen: Gegnerische Spieler oder Mitarbeiter stecken den Kopf zur Tür herein, gucken erstaunt in die Runde, nehmen eine Banane mit oder tragen gleich einen ganzen Tisch nach draußen. So groß die Ambitionen bei RB Leipzig auch sind: Momentan muss sich Loos noch der unglamourösen Realität in der Vierten Liga stellen. „Keiner der Verantwortlichen will natürlich auf Dauer in der Regionalliga spielen“, sagt Loos. „Wir denken nur nach oben.“

Dass es aufwärts gehen soll mit dem Verein, ist seit seiner Gründung im Sommer 2009 klar. Damals stieg die Firma Red Bull beim Fünftligisten SSV Markranstädt ein, ein Aufschrei ging durch die deutsche Fußball-Landschaft „Es ist unser Ziel, in den nächsten fünf bis acht Jahren in die Bundesliga aufzusteigen“, sagte Dietrich Mateschitz, der Chef des Getränkekonzerns. Ein Aufstieg folgte, danach eine Saison in der Regionalliga, die mit einem Platz vier und 18 Punkten Rückstand auf Aufsteiger Chemnitzer FC endete. Loos wurde verpflichtet, Trainer Peter Pacult übernahm, neun neue Spieler kamen, elf Spieler gingen. Jetzt ist RB wieder auf Kurs und steht nach 14 Spieltagen an der Tabellenspitze.

Draußen auf dem Rasen des Poststadions wärmen sich die Leipziger Spieler auf. Der defensive Mittelfeldmann Timo Rost ist der prominenteste von mehreren Spielern im Kader, die Bundesliga- oder Zweitliga-Erfahrung haben. Hinten auf Rosts Trikot steht „RB Leipzig“, vorne prangt das Logo des Getränkekonzerns. Offiziell heißt der Verein Rasen-Ballsport Leipzig e.V., weil es der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Firmen verbietet, sich in Vereinsnamen einzukaufen. Red Bull hat Wege gefunden, diese Bestimmung haarscharf zu umgehen. Die Internetpräsenz des Klubs findet man unter www.redbulls.com, auf den Jacken der Betreuer steht „Die Roten Bullen“. Das Unternehmen hat sich aber die Namensrechte am Leipziger Volksstadion für Jahrzehnte gesichert und es in „Red Bull Arena“ umgetauft. Zuletzt kamen immer mehr Zuschauer in das WM-Stadion von 2006. Ein 3:2 gegen den VfL-Wolfsburg im DFB-Pokal vor 31 000 Zuschauern sorgte für Begeisterung in Leipzig, die folgende Pokal-Niederlage gegen den Bundesligisten FC Augsburg lockte mehr als 34 000 Fans an. Das Regionalliga-Spitzenspiel gegen Holstein Kiel wollten noch gut 17 000 Menschen sehen.

Beim Sächsischen Fußballverband (SFV) verfolgt man die Entwicklung des Klubs genau. Sachsen Leipzig und Lokomotive Leipzig, die beiden Traditionsklubs der Stadt, hatten zuletzt nur durch Randale sowie finanzielle und sportliche Pleiten auf sich aufmerksam gemacht. „Beide Vereine hatten ihre Chance“, sagt SFV-Geschäftsführer Frank Pohl. „Da sagen viele: Jetzt gehe ich eben zu RB.“ Der harte Kern der Lok-Fans werde natürlich nicht überlaufen, andere Fans fühlten sich aber von der friedlichen Atmosphäre angezogen: „Viele wollen einfach nur Fußball genießen. Erfolg macht süchtig.“ Bei RB schwärmt man bereits vom großen Einzugsgebiet der Stadt, von zehn, zwölf Millionen Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die auf erstklassigen Fußball warten.

Zunächst müssen die Leipziger aber beim Berliner AK gewinnen, vor 621 Zuschauern. Mehr als 100 RB-Fans haben die Reise mitgemacht, in ihrer Kurve hängt ein Plakat: „Rote Bullen braucht das Land“. Dahinter schwenkt ein kleiner Block seine Fahnen, ein Trommler gibt den Takt vor: „Rasenballsport, allez allez allez!“ Der Stadionsprecher kündigt die „Die roten Rasenballspielbullen aus Leipzig“ an, auf der Bank der Gäste ist nicht genug Platz für alle Betreuer, zwei müssen stehen. RB Leipzig geht früh in Führung, der BAK kann vor der Pause ausgleichen. In der zweiten Hälfte sind die Leipziger überlegen, am Ende steht ein 3:1 für die Gäste. Torwart Pascal Borel muss seine Erfahrung aus 32 Bundesligaspielen für Werder Bremen kaum einmal unter Beweis stellen. Bei der anschließenden Pressekonferenz gibt es türkisches Fladenbrot und Schafskäse, Peter Pacult sagt, die individuelle Klasse seines Teams habe den Ausschlag gegeben. Hinter den nicht einmal zehn Journalisten haben mehrere Mitarbeiter des RB Leipzig Platz genommen, „Liveticker“ und „Fanradio“ steht auf ihren Jacken. Das Fernsehen des MDR ist zwar auch nach Berlin gereist, der Anhang soll aber auch schon während des Spiels mit Informationen versorgt werden.

Für viele Fans steht das Projekt immer noch für die Kommerzialisierung des Fußballs, Red Bull ist ein Feindbild. „Das kann ich gar nicht verstehen“, sagt Loos. „In Köln wird auch viel Geld von Rhein-Energie umgesetzt.“ Dass sein Verein weiter angefeindet wird, ist für ihn Teil des Geschäfts. „Fans schreien auch ,Scheiß Bayern München‘ oder ,Scheiß 1. FC Köln‘. Mit diesen Leuten muss man immer leben.“ Das größte Ärgernis für Loos war in dieser Hinsicht eine Plakatkampagne des Berliner Zweitligisten 1. FC Union, der den Verkauf seiner Stadionaktien mit einer zerdrückten Red-Bull-Dose und dem Slogan „Wir verkaufen unsere Seele nicht an jeden“ bewarb. Loos spricht von „Doppelmoral“ der Unioner: „Das gehört sich einfach nicht.“

Streitereien wie diese sind Lappalien verglichen mit dem blanken Hass, auf den RB noch vor zwei Jahren stieß. Im Sommer 2009 rammten Unbekannte ein Holzkreuz mit der Aufschrift „Hier stirbt der Fußball“ in den Mittelkreis des kleinen Markranstädter Stadions, in dem RB Leipzig seine ersten Heimspiele austrug. Dem Rasen wurde mit Unkrautvernichtungsmittel zugesetzt, in Jena wurden Spieler bespuckt und der Mannschaftsbus mit Flaschen beworfen. Von einer solchen Aggression ist beim Berliner AK rein gar nichts zu spüren, auf der Tribüne wird lediglich leise in Richtung des Schiedsrichters gegrummelt. Die Leipziger Fans haben nach Spielende genauso wenig zu befürchten wie die Leipziger Spieler von ihren Gegnern in den 90 Minuten zuvor.

Sportlich läuft es gut für Leipzig, Formalien könnten den Weg nach oben aber noch bremsen. Die „50+1“-Regelung der Deutschen Fußball-Liga (DFL) verbietet es Investoren, die Stimmmehrheit bei einer Fußball-Profiabteilung zu erlangen. Wie RB Leipzig in dieser Hinsicht aufgestellt ist, ist schwer zu durchschauen. Am liebsten würde man auch gar nicht über das Thema sprechen, aus dem Klub heißt es aber, man habe inzwischen mehr als 200 Mitglieder. RB sei aber nun einmal kein traditioneller Klub, sondern ein modernerer Profiverein. Laut Loos sind die Spekulationen über die Einflussnahme der Red-Bull-Zentrale „total überzogen“, er und Pacult könnten so arbeiten, wie sie es für richtig halten. DFB und DFL wissen um den Sonderweg und haben die Entwicklung des Klubs im Blick, detaillierte Angaben wollen beide aber nicht machen. Bei RB spricht man höchstens von „Adaptierungen“, die in der Zukunft nötig werden könnten. Insgesamt herrscht aber Zuversicht, die Lizenz auch im kommenden Jahr zu erhalten – dann womöglich schon für die Dritte Liga.

Bevor Wolfgang Loos in den Bus zurück nach Leipzig steigt, berichtet er noch von einem Gespräch mit dem Präsidenten des Ligakonkurrenten ZFC Meuselwitz. „Vor dem Spiel gegen uns hat er gesagt: Heute wäre es super, wenn wir euch besiegen“, erzählt Loos. „Aber wenn ihr mal aufsteigt, dann kaufe ich mir auch eine Dauerkarte.“

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