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Claudemir Jerônimo Barreto, kurz Cacau (36), ist seit November 2016 Integrationsbeauftragter des DFB.

© dpa

Ex-Nationalspieler Cacau im Interview: "Der DFB muss vielfältiger werden"

Ex-Nationalspieler Cacau spricht im Interview über seine Arbeit als Integrationsbeauftragter beim DFB und die starren Verbandsstrukturen.

Von David Joram

Cacau, stimmt die Geschichte, dass Sie sich vor Fußballspielen manchmal Pfeffer in die Stutzen geschüttet haben?

Das hatte ich eigentlich schon längst vergessen, aber ja, es war so.

Ihre Mutter soll gesagt haben, Pfeffer im Stutzen helfe gegen die deutsche Kälte.

Ein paar Mal hat es geholfen. Ein paar Mal leider überhaupt nicht, aus welchem Grund auch immer. Aber geschadet hat es jedenfalls nie, wenn Pfeffer mit dabei war.

Haben Sie den Pfeffer-Tipp schon an ein paar Kids weitergegeben? Seit November 2016 sind Sie ja Integrationsbeauftragter des DFB.

Die Frage, was gegen Kälte zu tun ist, hat jetzt noch keiner gestellt. Das Problem haben aber bestimmt viele.

Sie kamen 2000 quasi ohne Sprachkenntnisse aus Brasilien nach Deutschland. Ihr erster Verein war der Fünftligist Türk SV München. Schildern Sie mal, wie das war: In die Kabine kommen und erst mal nicht verstanden werden.

Ich habe tatsächlich kein Wort Deutsch gesprochen. Das Gute war, dass es einen Spieler gab – Oytan Saka hieß der –, der ein bisschen Italienisch gesprochen hat.

Sie sprechen auch Italienisch?

Nein, nein. Das waren nur zwei, drei Wörter, die ein bisschen wie Portugiesisch klingen.

Wissen Sie noch, mit welchen Vokabeln Sie sich verständigt haben?

„Wie geht’s“ heißt auf Italienisch come va, auf Portugiesisch eben como vai. Und so gibt es noch ein paar einfache Wörter, die verwandt sind. Weil Saka am Anfang zwei, drei Wörter mit mir gewechselt hat, entstand eine Bindung zwischen uns. Und ich hab gleich gedacht: Das ist der Spieler, an den ich mich wenden kann.

Ihr erster Kontakt sozusagen.

Ja, allein dadurch, dass er versucht hat, mit mir zu sprechen, hat das den Weg für mich erleichtert. Saka hat mich dann auch teilweise zum Bahnhof gebracht oder ich bin mit ihm zu den Spielen gefahren, so wuchs das irgendwie zusammen. Das war gut. Sonst war es eher schwierig. Zu Hause habe ich häufig alleine Deutsch gelernt und dann versucht, die neue Sprache im Alltag umzusetzen.

Was waren die wichtigsten deutschen Fußballvokabeln? Abseits? Abwehr? Spiel ab?

Das erste Wort, das ich gelernt habe, war „spielen“. Nicht „spiel ab“, das war zu kompliziert. Spielen, spielen, spielen, habe ich immer gerufen. Klar, ich habe immer den Ball gefordert – den wollte ich als Stürmer unbedingt haben.

Sie gelten als sehr pünktlicher Mensch. Ist das so ein typisch deutscher Wert, den Sie verinnerlicht haben?

Ach, bin ich das?

Liest man zumindest über Sie.

Für brasilianische Verhältnisse war ich immer pünktlich beim Training, das kann man schon sagen. Statt einer halben Stunde kam ich nur 15 Minuten später (lacht). Nein, es ist tatsächlich so, dass das ein wichtiges Merkmal ist, um hier Fuß zu fassen. Das gehört zur Kultur, das muss man verinnerlichen. Genauso wie eine gewisse Ordnung. Auf der anderen Seite stelle ich auch fest, dass die Deutschen von anderen Kulturen lernen, gerade was die Lockerheit betrifft.

Im Sommer 2016 haben Sie Ihre Spielerkarriere beim VfB Stuttgart beendet. Seit Kurzem sind Sie Inhaber der Trainer-A-Lizenz. Wann werden Sie an der Seitenlinie stehen?

Ich muss ehrlich sagen: Trainer zu werden ist nicht mein Ziel. Den Kindern, die ich als Integrationsbeauftragter besuche, helfe ich natürlich gerne beim Training.

Vielleicht sollten Sie Spielertrainer werden. Ein Verbandsliga-Kollege, der mit Ihnen kürzlich die Lizenz erworben hat, meinte: „Cacau schweißt die Dinger aus 16, 18 Metern immer noch in den Torwinkel – man sieht, dass er mal Nationalspieler war.

Ja, genau, das wär’s. Nee, Spaß beiseite. Ich habe schon deutlich gemacht, dass ich eher im administrativen Bereich arbeiten will. Also besser ins Management statt direkt auf den Platz.

Inwieweit hilft da der Trainerschein?

Es ist einfach gut, diesen Schein zu machen, um beurteilen zu können, wie ein Trainer arbeiten muss. Das halte ich für wichtig. Defensivthemen, Offensivthemen, mannschaftstaktische Aufstellungen, darüber muss man Bescheid wissen. Wie coacht man Teams, damit sie zum Ziel geführt werden?

Sie sprachen den administrativen Bereich an. Gibt es schon Kontakte zum VfB Stuttgart, Ihrem erklärten Herzensklub?

Klar, der Kontakt zum VfB ist da, ich wohne ja auch in der Nähe von Stuttgart und habe viele Jahre bei dem Verein gespielt. Es gibt aber nichts Offizielles in diese Richtung. Aber wer weiß, ergeben kann sich ja immer etwas.

Wie lange wollen Sie noch für den DFB als Integrationsbeauftragter arbeiten?

Am Anfang haben wir uns auf drei Jahre verständigt. Ein Jahr sollte der Einarbeitungszeit dienen, das ist nun vorbei. Jetzt geht es darum, eigene Ideen auszuarbeiten und Dinge zu planen, die man umsetzen kann. Wenn es sich ergibt und der Job sich mit einer anderen Funktion kombinieren lässt, würde ich auch gerne über die drei Jahre hinaus Integrationsbeauftragter bleiben wollen.

Welche Ideen wollen Sie umsetzten?

Das sind viele Dinge. Beispielsweise gibt es viele Jugendliche, die auch mal Trainer werden wollen, aber von der Sprache her noch nicht so weit sind. Der Berliner Fußball-Verband bietet da entsprechende Angebote. So etwas wollen wir unterstützen. Qualifizierungen für Jobs im Ehrenamt etwas leichter machen, auch durch eine Spracherleichterung. Wichtig ist mir auch Transparenz: Wir wollen den Vereinen die Möglichkeit geben, Projekte vorzustellen – oder sich für Integrationspreise zu bewerben. Der DFB vergibt hier seit zehn Jahren einen hochdotierten Preis. Denn darum geht es auch: Zu zeigen, dass Vereine etwas bewegen können. Im Idealfall folgen dann andere Klubs diesem Beispiel. Ein weiterer Punkt ist das Ehrenamt, das wir stärken müssen. Gerade die Menschen, die schon dabei sind, haben noch viel mehr Aufmerksamkeit und Bestätigung verdient.

Häufig brauchen Sie auch Geld für Vereinszwecke. Ein Mitglied des Berliner Fußball-Verbands sagte, er begrüße die DFB-Aktion „1:0 für ein Willkommen“, bei der Vereine 500 Euro erhalten, wenn sie sich für Geflüchtete engagieren. Nur sei das Geld auch schnell verbrannt ...

Ich weiß, dass 500 Euro für einen Verein nicht viel sind. Allerdings fördern wir ja viele Vereine, deutschlandweit haben sich über 3000 beworben. Und durch die Folgeinitiative „2:0 für ein Willkommen“ werden nachhaltige Projekte noch stärker honoriert. Je nach Projekt haben Vereine die Möglichkeit, auch 2000 oder 3000 Euro zu erhalten – wenn sie mehr als fünf Geflüchtete unterstützen. Die Aktion wird durch die DFB-Stiftung Egidius Braun gesteuert.

Weihnachten ist zwar vorbei, aber was wünscht sich der Integrationsbeauftragte des DFB?

Ich denke, dass Geld wichtig ist, das steht außer Frage. Wichtiger aber als Geld – gerade, wenn man an Berlin denkt –, ist es, Fußballplätze zu bauen.

Dafür braucht man auch Geld.

Ja, aber es geht um Geld, das nicht unbedingt ein Verein erhalten muss, sondern das direkt in die Sportstätten investiert wird. Da könnten sich manche Kommunen noch stärker einbringen. In diesem Jahr hat der DFB gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sport-Bund dafür gesorgt, dass innerstädtische Vereine etwas mehr Spielraum beim Lärmschutz haben. Teilweise war hier auf neuen Kunstrasenanlagen das Training ausgefallen, nur weil es ein paar Dezibel lauter war. Gut, dass wir hier gemeinsam mit der Politik etwas verändern konnten.

Sie wünschen sich also, dass Verbände und Politik enger zusammenarbeiten?

Der Fußball leistet ungeheuer viel. Wenn man sieht, welche Möglichkeiten der Fußball bietet, muss dieses Potenzial besser ausgeschöpft werden. Es ist nicht nur der Sport, der von besseren Trainingsbedingungen profitiert, sondern die Gesamtgesellschaft. Die Kinder kommen zusammen, sie lernen die Sprache, lernen Leute kennen. Das wirkt sich dann auch auf schulische Leistungen und ihr Engagement für die Gesellschaft aus.

Aktuell ist die politische Stimmung eher schwierig, jedenfalls für Geflüchtete. Inwiefern beeinträchtigt das Ihre Arbeit?

Wenn ich Vereine vor Ort besuche, bekomme ich davon wenig mit. Ich verfolge aber sehr genau, wie die Entwicklung gerade verläuft. Ich wünsche mir, dass man da einen guten Weg findet.

In Deutschland sind Führungspositionen meist sehr homogen besetzt, weiße Männer dominieren. Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder gar Frauen mit Migrationshintergrund sind absolute Ausnahmen. Auch beim DFB. Warum tut sich auf dieser Ebene nichts?

Es muss das Ziel sein, dass auch die DFB-Gremien vielfältiger werden, ganz klar. Die Basis muss sich darin widerspiegeln, es muss jemand da sein, der auch Menschen mit Migrationshintergrund repräsentiert. Damit die Menschen sehen: Aha, da gibt es jemanden, der hat denselben Hintergrund wie ich. Das ist wichtig.

Aber?

Es ist ein langer Weg dahin. Es gibt feste Strukturen und man muss auch die geeigneten Leute für solche Posten finden. Ich finde es verkehrt zu sagen: Nur weil du eine Frau bist oder einen Migrationshintergrund hast, darfst du jetzt mal bei uns mitmachen. Es braucht auch Kompetenz und Qualität.

Bewegt sich da beim DFB was in diese Richtung?

Seit fast zwei Jahren läuft ein Förderprogramm für besonders fähige und engagierte Frauen aus den Landesverbänden des DFB. Diese Frauen erfahren noch mal eine gezielte Förderung. Es ist auch mein Ziel, für die kulturelle Vielfalt im Verband etwas anzustoßen. Es ist wie überall, ein wenig Geduld braucht es schon.

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