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Mager

© Thilo Rückeis

Fankultur: Zerrissen in der Moderne

Pepe Mager war viele Jahre lang der bekannteste Fan von Hertha BSC. Seine Schals verkauft er heute aber nur noch bei Union.

Berlin - Einen Moment funkeln die fünf goldenen, eingenähten Sterne sogar. Das liegt an den Sonnenstrahlen, die auf die blaue Baseballkappe fallen. Pepe Mager hat sie vom Kopf genommen und starrt sie jetzt an, als sähe er sie zum ersten Mal. Dann liest er bedächtig vor: „Born to be a star.“ Er blickt hoch und lächelt ironisch. „Muss ein Irrtum sein“, brummt er. „Früher war das so. Früher hatte die Mannschaft was drauf.“

„Hertha BSC“ steht über den fünf Sternen. Pepe Mager war einer der bekanntesten Hertha-Fans, viele Jahre lang. Er verkauft seit Jahrzehnten vor den Spielen Hertha-Schals und -Trikots an seinem Stand. Jetzt dreht er die Kappe wieder und sagt: „Mit Hertha habe ich nichts am Hut.“ Dann setzt er sie wieder auf, die Kappe. Er trägt sie ganz selbstverständlich, während er über Hertha schimpft.

Nichts zeigt die Zerrissenheit des Pepe Mager mehr.

Er ist jetzt 70, trägt einen kurzgestutzten weißen Vollbart, und über der verblichenen Jeans wölbt sich ein mächtiger Bauch. Es ist Nachmittag, Pepe, den niemand unter seinem richtigen Namen Peter Klaus-Dieter kennt, sitzt in einem Café. Seine Wohnung liegt auf der anderen Straßenseite. Pepe Mager hat zwei Schlaganfälle hinter sich, den zweiten erlitt er 2003.

In der Alten Försterei hat er am vergangenen Mittwoch Union gegen Hertha gesehen, das 5:3 für Hertha, das Freundschaftsspiel zur Stadioneinweihung. Es war das erste Mal seit fünf Jahren, dass er Hertha wieder live gesehen hat. Vor fünf Jahren hatte er auch Union gegen Hertha gesehen, Herthas zweite Mannschaft, ebenfalls ein Freundschaftsspiel, rund um die Einweihung des umgebauten Olympiastadions. Mager hatte für Union gebrüllt. Er stand da im roten-Union-Trikot, er brüllte die Schlachtgesänge von Union, er brüllte gegen seine große Liebe. „Es hat Spaß gemacht“, sagt er.

Am Mittwochabend stand er wieder im Union-Block, im T-Shirt von Union, aber mit Hertha–Mütze auf dem Kopf. Als Hertha die Tore schoss, hat er gejubelt. Als Union traf, nicht. „Das ist alte Gewohnheit, man jubelt bei Hertha-Toren“, sagt er. Pepe Magers innere Zerrissenheit ist die Geschichte einer innigen und zugleich enttäuschten Liebe.

Mager hatte sich schon lange innerlich abgewandt von einem Teil von Hertha BSC. Von jener Hertha, die ihre modernen Symbole hat. Millionenschwere Profis, Logen, Sitzplätze, Vips, durchorganisierte Mitgliederversammlungen. Pepe Mager ist das Symbol der alten Zeit, als der Fußball noch nach Bratwurst roch und die Fans brüllten: „Wen wollen wir lynchen? – Bayern München.“ Damals hatte ihn „Bild“ zum populärsten Fan hochgeschrieben. Mager hatte die Boulevardzeitung angerufen, weil Jugendliche bei einem Spiel leere Wodkaflaschen aufs Feld geworfen hatten. Mager, Mitglied des wegen teilweise gewaltbereiter anderer Mitglieder berüchtigten Fanclubs „Hertha-Frösche“, war empört. „Wir benötigten die Presse, um so etwas zu verhindern“, sagt er. Pepe Mager ist nie in die neue Zeit gewechselt.

Für ihn haben die anderen, die Spieler, die Vereinsverantwortlichen, die alten Ideale verraten. Mager klopft sich fast pathetisch auf die Brust. „Im Herzen", sagt er, „bin ich immer Herthaner.“

Seit sechs Jahren ist er bei keinem Spiel im Olympiastadion mehr gewesen. Hertha wäre in der vergangenen Saison fast Meister geworden, aber Mager hatte vier Wetten laufen, dass der Klub es nicht schafft. 40 Euro hat er insgesamt gewonnen.

Irgendwie ist er auch Unioner. Das ist er schon seit Jahrzehnten. Er fuhr mit einem westdeutschen Reisepass schon zu Union-Spielen, da stand die Mauer noch. Mager ist auch Mitglied bei Union. Dass ihn eingefleischte Union-Fans übel beschimpfen, ihn, den bekannten Hertha-Fan, das nimmt er in Kauf. Auch dass sie ihm Union-Aufkleber auf sein Nummernschild geklebt haben.

Direkt nach dem Mauerfall ist er zu den Union-Spielen gefahren, er rückte auch mit seinem Verkaufsstand vor die Alte Försterei. Mager hat seit vielen Jahren Hertha- und Union-Schals im Angebot. Wenn er sich jetzt Union demonstrativ nähert, will er damit nur die Leute bestrafen, die Hertha verraten. Verraten aus seiner Sicht.

Mager hatte immer sein Herzblut für Hertha gegeben, öffentlich und zu Hause, wenn er die Wohnung mit Devotionalien vollstopfte. Dafür erwartete er Respekt, ganz altmodisch. Aber irgendwann, noch vor seinem zweiten Schlaganfall, gingen die Profis achtlos an ihm vorüber. Das zerbrach etwas.

Er hätte sich ja wieder der aktuellen Hertha genähert, emotional und physisch, wenn ihn jemand besucht hätte. Er lag in Beelitz, erholte sich von den Folgen seines Schlaganfalls, und Hertha spielte im Liga-Pokal in Dessau. Ein paar Kilometer entfernt. Alle wichtigen Leute bei Hertha wussten das, sagt Mager. Jedenfalls jeder von denen, die die Fans betreuen. „Gekommen ist niemand.“ Beelitz lag doch auf der Strecke.

Der Boykott von Spielen, das Brüllen für Union, das ist für ihn die höchstmögliche Strafe. Verachtung, das ist seine stärkste Waffe. Es ist ihm egal, dass seine Kumpel fragen, ob er „bekloppt ist“. Sein Verkaufsstand vor dem Olympiastadion, in das er nicht mehr reinging, das war seine sichtbare Anklage. Er stellte gut sichtbar die alten, leicht vergilbten Fotos auf: Mager mit Berti Vogts, Mager mit alten Hertha-Profis. Viele von den jüngeren Fans liefen achtlos vorbei. Für sie ist er nur ein kauziger, alter Mann. Jetzt haben sie ihm den Verkaufsstand vor dem Olympiastadion genommen, nach 40 Jahren. Der Senat habe da ein neues Konzept entwickelt, berichtet er. „Aber vielleicht“, sagt er geheimnisvoll, „hatte da auch Hertha die Hände im Spiel.“ Auf jeden Fall verkauft er jetzt nur noch bei Union-Spielen.

Doch im Herzen, da wo die großen Gefühle sind, da ist Pepe Mager immer noch glühender Hertha-Fan. Wo kommen denn die ganzen Fotos hin und die anderen Erinnerungen an Hertha, wenn er mal nicht mehr da ist? Da blickt Mager fast melancholisch. Er beugt sich in seinem Stuhl vor und sagt leise: „Das vermache ich alles dem Hertha-Museum.“

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