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Sport: Fatimas Abschied

2003 begann in Gaza ein Ruderprojekt sehr erfolgversprechend – doch dann kam die politische Krise

Berlin - Fatima kommt nicht mehr, sie lebt jetzt irgendwo in der qualvolle Enge des Gazastreifens. Sie ist jetzt 15 Jahre alt, sie ist zwangsverheiratet. Ihr Vater hatte einen Eselskarren, er verkaufte Obst und Gemüse, aber jetzt kommt kaum noch frisches Obst und Gemüse nach Gaza. Seit die Hamas die Wahlen gewonnen hat, seit zwei israelische Soldaten entführt wurden, hat Israel die Grenze rigoros abgeriegelt. Fatima hat noch sechs Geschwister, ihr Vater konnte nicht mehr jedes seiner Kinder ernähren. Also wurde für Fatima ein Mann gesucht.

Seither ist das Rudertalent Fatima nur noch Erinnerung.

„Sie war das größte Talent“, sagt Iradj El-Qalqili. Fatima war so etwas wie die größte sportliche Hoffnung seines Projekts. Trockenrudern in Gaza, der Aufbau einer Rudermannschaft, die später auf dem Wasser trainiert, das ist Teil des Projekts. Der sportliche Teil. Kinder von der Straße holen, Kindern Abwechslung von den grauenhaften Bildern des Alltags bieten, von Panzern und Krieg, das ist der viel bedeutsamere Teil des Projekts. El-Qalqili hat es 2003 mit Freunden aufgebaut. Er arbeitete damals im UN-Auftrag als Berater des palästinensischen Sportministeriums in Gaza. El-Qalqili ist eigentlich Unternehmensberater, er hat einen deutschen Pass, aber sein Vater lebt im Westjordanland. Der 31-Jährige ruderte mal in der deutschen Nationalmannschaft, er ist immer noch Vorstandsmitglied des palästinensischen Ruderverbands. Der existiert allerdings quasi nur auf dem Papier. El-Qalqili sah das Elend in Gaza, er richtete mit Freunden und Geld von der UN und zwei Stiftungen in einem heruntergekommenen Gebäude im Flüchtlingslager „Al Shaati“ eine Trainingsstätte für Trockenrudern ein.

Die Kinder kamen nach und nach, auch Fatima. Sie war 13 Jahre alt, als sie in einer rosaroten Schlafanzughose auftauchte, ihr wertvollstes Kleidungsstück. Rund 100 Kinder zogen bald an den Seilen der Maschinen, in diesem Jahr wollten El-Qalqili und seine Freunde Wettbewerbe, regelmäßiges Wassertraining und klare sportliche Strukturen haben. „Aber durch die Krise sind wir wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen worden“, sagt El-Qalqili. Er arbeitet jetzt in Bahrain, doch er hält mit seinen Kollegen vom Projekt in Gaza engen Kontakt.

Von 100 Kindern sind 40 übrig geblieben, von ehemals zehn mühsam ausgebildeten Trainern gibt es noch vier. Fünf der zehn Ergometer sind beschädigt, zehn bestellte und bezahlte Boote liegen in China fest. Sie gelten als Sicherheitsrisiko, Israel lässt sie nicht in den Gazastreifen. „Damit könnte man ja aufs Meer fahren“, sagt El-Qalqili. Fischer dürfen schon lange nicht mehr auslaufen.

Viele Kinder, die früher im Projekt waren, sammeln jetzt Metallhülsen der israelischen Granaten. Das bringt Geld, fünf Euro für 50 Kilogramm. Früher haben die Trainer mit den Kindern auch am Strand gejoggt. Aber „Al Shaati“ ist fünf Kilometer von der israelischen Grenze entfernt, im Sommer schlugen permanent Granaten in den Strand. Der Beschuss hat zwar nachgelassen, „doch das Risiko“, sagt El-Qalqili, „ist zu groß“.

Ersatzteile für die Ergometer gelten auch als Sicherheitsrisiko. „Weil es Metall- und elektronische Teile sind.“ Es gibt Trainer, die aufhörten, „weil sie nicht wussten, ob sie wegen der Straßensperren wieder nach Hause kommen“, sagt El-Qalqili.

Probleme bereiten aber auch palästinensische Funktionäre. „Das Nationale Olympische Komitee oder das Sportministerium versuchen öfter, Hindernisse aufzubauen, uns an das lokale ,Geschäftsgebahren’ zu gewöhnen. Doch das würde nicht gewährleisten, dass wir unser Geld für die Sportler verwenden“, sagt El-Qalqili. Stattdessen würden damit auch Funktionärsreisen finanziert. Die Ergometer gehören offiziell einem Verein, und aus dessen Spitze kam plötzlich die Forderung nach Gebühren für die Ergometer. Die Projekt-Manager lehnten empört ab.

Sie brauchen das Geld dringend für andere Aufgaben. Den Kindern sollen zum Beispiel Englischkurse bezahlt werden, als Leistungsanreiz und um ihre Chancen zu verbessern. Ein anderer Leistungsanreiz ist Mark Gerban. Der 25-Jährige ist der einzige Nationalmannschafts-Ruderer von Palästina. Er lebt in den USA, hat aber palästinensische Eltern, und bei der WM in Eton im August fuhr er im Einer. El-Qalqili betreute ihn dort, Gerban wurde Achtzehnter. Er war ein Thema für arabische Zeitungen, die Artikel wurden im Projekt stolz vorgelesen. „Er ist enorm wichtig für unser Projekt“, sagt El-Qalqili. Denn Gerban steht auch für eine Botschaft. Den Kindern sagt er: Wer sich anstrengt, kann es bis zur WM schaffen. Misstrauischen Politikern oder auch Eltern, die das Projekt als Tarnung für undurchsichtige Dinge betrachten, sagt er: Hier geht es nur ums Rudern.

Nur eines verschweigen El-Qalqili und seine Helfer den Kindern: dass sie Gerban vor der WM alles bezahlt haben, damit der sich wie ein Vollprofi vorbereiten konnte. „Anders wäre er nicht in Form gekommen“, sagt El-Qalqili. „Aber wenn wir das sagten, würden die Kinder glauben, wir könnten das bei jedem machen.“

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