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Sport: Für bestimmte Momente

Neuville und Odonkor erfüllen ihren Auftrag

Der Fußball, so heißt es, erzählt die schönsten Geschichten, und manchmal, wenn dem Fußball eine Geschichte besonders gut gefällt, erzählt er sie gleich mehrmals. Vor vier Jahren hat der Fußball die Geschichte von Oliver Neuville gehört, der bei der Weltmeisterschaft im Achtelfinale gegen Paraguay zum ersten Mal von Anfang an für die deutsche Mannschaft spielen durfte. Bis kurz vor Schluss stand es 0:0, dann flog der Ball von der rechten Seite in den Strafraum der Paraguayer, Neuville stand am kurzen Pfosten, traf zum 1:0 und schoss die Deutschen mit diesem Tor ins Viertelfinale.

Ah, schön, hat der Fußball gedacht, und die Geschichte am Mittwochabend noch einmal erzählt. Diesmal lief bereits die Nachspielzeit, David Odonkor, eingewechselt, flankte von der rechten Seite in den polnischen Strafraum, Neuville, eingewechselt, erwischte den Ball am kurzen Pfosten und erzielte das 1:0. „Heute war es schöner“, sagte der Torschütze später. „Hier war es emotionaler.“

Das deutsche Volk spielt im Moment ja ein bisschen Südkorea 2002, berauscht sich am Fußball, und nutzt die Nationalmannschaft, um eine lässige Art von Patriotismus aufzuführen. Emotional sind die Fans längst in der K.o.-Runde angelangt, in der es in jedem Spiel um alles geht, und deshalb widerfuhr dem Siegtreffer Neuvilles und der Vorarbeit Odonkors eine Überhöhung, die das reale Maß weit überstieg. Odonkor, 22 Jahre alt, „wusste gar nicht, wo ich hinlaufe“ und wählte intuitiv den Weg zur Trainerbank, um sich feiern zu lassen; Neuville sprach später sogar vom wichtigsten Tor seiner Karriere.

Man kann Neuville sogar ein bisschen verstehen. Denn eigentlich geht seine Geschichte ja genau andersrum. In der Regel gehört er vor den Turnieren zum Stamm der Nationalmannschaft, wenn es losgeht, ist er dann leider nicht mehr dabei. Das war 2000 so, als er alle Qualifikationsspiele für die Europameisterschaft bestritten hatte und dann zwei Stunden vor Ablauf der Nominierungsfrist von Teamchef Erich Ribbeck informiert wurde, dass er nicht mitfahren werde. Auch vier Jahre später verpasste Neuville die EM.

Angesichts dieser Vorgeschichte ist es die vielleicht größte Leistung Neuvilles, dass er immer daran geglaubt hat, bei der WM im eigenen Land dabei zu sein. Er ist jetzt 33, spielt bei Borussia Mönchengladbach im Mittelfeld der Liga und ist von Klinsmann lange ignoriert worden. Aber als Neuville seine Chance bekam, hat er sie genutzt. Im März, im letzten Länderspiel vor der Nominierung, brachte sich Neuville mit einem Tor und einer Vorlage noch einmal in Erinnerung. „Ich bin nicht nur wegen eines Spiels nominiert worden“, sagt er. Was immer der Grund war – Klinsmann darf sich in seiner Entscheidung bestätigt fühlen. Das Gleiche gilt für Odonkor, der noch kein Länderspiel bestritten hatte, als Klinsmann ihn nominierte. Gegen Polen kam der Dortmunder eine halbe Stunde vor Schluss ins Spiel. Odonkor flitzte gleich die Linie entlang, holte eine Ecke heraus – und hatte damit das Publikum wieder aufgewiegelt. „Beide haben noch mal Bewegung ins Spiel gebracht“, sagte Bernd Schneider zu den Einwechslungen.

Oliver Neuville scheint inzwischen auf die Rolle als erster Einwechselspieler festgelegt zu sein. Gegen Polen schoss er in 20 Minuten zweimal aufs Tor – doppelt so oft wie Lukas Podolski in 70 Minuten. Neuville hat unter Erich Ribbeck und dessen Nachfolger Rudi Völler in 48 Länderspielen vier Tore geschossen, unter Klinsmann traf er in neun Spielen fünfmal – immer als Einwechselspieler. „Ich warte auf meine Chance“, sagt Oliver Neuville. „Die Startformation am Anfang des Turniers muss ja nicht dieselbe sein wie am Ende.“

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