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Der ehemalige französische Nationalspieler Nicolas Anelka soll dem Fußball in China zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen.

© AFP

Fußball in China: Spektakel im Smog

Der chinesische Fußball leidet unter Misserfolgen, Manipulationen und dem Ticket-Schwarzmarkt – aber in dieser Saison soll alles anders werden.

Du weißt, was die Fans hier rufen?“, fragt der chinaerfahrene Stadionbesucher, kurz bevor er zwei Dosen japanischen Biers durch die Kontrolle vor Block 19 im Pekinger Arbeiterstadion schmuggelt. „Glaube schon“, sagt der Autor und erinnert sich vage an die Geschichte vom „Pekinger Fluch“, der den chinesischen Behörden vor den Olympischen Spielen 2008 so viele Sorgen bereitet hat. „Verfolgt das Spiel zivilisiert!“, hatten die ums Ansehen besorgten Beamten damals bei Fußballspielen von Beijing Guoan auf der Anzeigetafel einblenden lassen, Lautsprecher sollen damals sogar den Fluch übertönt haben. Und nun? Nur Sekunden nachdem der Autor das Innere des Arbeiterstadions betritt, schallt von allen Seiten: „Sha bi! Sha bi! Sha bi!“

„Wir haben es ein bisschen öfter als sonst gerufen“, wird Brandon Chemers später zugeben. Der US-Amerikaner, der in Peking in einer Internetfirma arbeitet und Autor eines englischsprachigen Blogs über chinesischen Fußball („wildeastfootball.net“) ist, zählt zu den Beijing Guoans Ultras. Diese zeigen sich an diesem kalten Märzabend dem Fluchen besonders zugeneigt, kommt es doch im ersten Heimspiel der Saison gleich zum China-Derby, dem Duell mit dem ewigen Erzrivalen Schanghai Shenhua (wobei diese Ewigkeit 1992 begonnen hat, als die erste chinesische Liga gegründet worden ist). Hinzu kommt, dass Schanghai im Winter nicht nur Pekings australischen Stürmer Joel Griffith abgeworben hat, sondern in dem ehemaligen französischen Nationalspieler Nicolas Anelka auch den spektakulärsten Neuzugang der chinesischen Super League (CSL) melden kann. Genug Gründe für Brandon Chemers und seine Freunde in der Nordkurve, an diesem Abend gelegentlich „Pantu“ (Verräter) zu rufen. Meistens aber „Sha bi“. Er findet das nicht schlimm. „In Paris oder London hört man im Fußballstadion heftigere Wörter“, sagt er, „außerdem ist der Fluch auf Chinesisch nicht so schrecklich, wie er sich auf Englisch oder Deutsch anhört.“

Sha bi bedeutet wörtlich übersetzt: „Dumme Fotze“. Auf die Frage, was er in China nicht akzeptieren könne, sagt Joel Griffith: „Das Rauchen, der Smog – und wenn mich alle ’Sha bi’ rufen.“ So gesehen wird es kein guter Abend für Joel Griffith, den Verräter, im Gongti-Stadion werden.

Das Spiel findet nämlich auch noch im fast unvermeidlichen Pekinger Smog statt, der die chinesische Hauptstadt weltweit zu den Städten mit der schlechtesten Luft zählen lässt. 395 misst der Luftverschmutzungsindex, als der Schiedsrichter die Partie anpfeift, ein Wert, den die Weltgesundheitsorganisation als „gefährlich“ einstuft. Selbst gesunde Menschen sollten bei diesem Wert auf körperliche Anstrengungen im Freien verzichten. Kranken drohen massive Verschlimmerungen von bestehenden Herz- oder Lungenerkrankungen. Hielten sich die Pekinger an diese WHO-Vorgaben, dürfte an vielen Tagen kein Sport stattfinden.

Das China-Derby am vergangenen Freitag wollen 51 000 Zuschauer sehen, im Durchschnitt aber kamen in der vergangenen Saison lediglich 15 000 Zuschauer zu den 16 Super-League-Teams. Das geringe Interesse ist auch Ausdruck des schlechten Images, das der chinesische Fußball besitzt. Zum einen ist er von Korruption durchsetzt: Im Februar sind neun Schiedsrichter und Funktionäre des Chinesischen Fußballverbandes wegen Bestechlichkeit und Betrug zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Darunter auch der ehemalige WM-Schiedsrichter Lu Jun, der den Spitznamen „Goldene Pfeife“ trug. Noch schlimmer aber wiegen die dauerhaft schlechten Leistungen des chinesischen Nationalteams.

Die Fußballfans sind auffallend jung und oft weiblich

Zum dritten Mal in Folge hat sich China nicht für eine Weltmeisterschaft qualifizieren können. In der asiatischen Qualifikationsgruppe für die WM 2014 reichte es für das Team von Trainer Jose Antonio Camacho nur zum dritten Platz hinter Irak und Jordanien. Das Fifa-Ranking weist China auf Platz 68 aus, hinter Usbekistan. Kurioserweise sind die Pläne rund um den chinesischen Fußball trotzdem weiterhin hochfliegend. So äußerte Xi Jingping, der wahrscheinlich künftige Staatspräsident Chinas, dass er drei Wünsche hege: China solle eine Fußball-WM ausrichten, sich für eine WM qualifizieren und den WM-Titel gewinnen. Davon aber ist das Reich der Mitte zurzeit so weit entfernt wie die Goldene Pfeife vom nächsten Schiedsrichtereinsatz. Xi Jingpings Worte beweisen allerdings, dass die Verbesserung des chinesischen Fußballs ganz oben auf der Agenda der mächtigen und reichen Kommunistischen Partei Chinas steht.

Die Fans von Schanghai Shenhua.
Die Fans von Schanghai Shenhua.

© dapd

In dieser Saison wenden auch die Super-League-Teams so viel Geld wie nie zuvor auf. Spitzenreiter dürfte neben Schanghai Shenhua der Meister Guangzhou Evergrande sein, dessen Hauptsponsor 83 Millionen Euro in das Team investieren will. Pro Sieg in der asiatischen Champions League erhält das Team 715 000 Euro, die Hälfte, wenn es in der heimischen Liga gewinnt. Schanghai hingegen hofft nach Trainer Jean Tigana (drei Millionen Euro pro Saison) und Nicolas Anelka (270 000 Euro – pro Woche) im Sommer auch Didier Drogba vom FC Chelsea verpflichten zu können. Es bleibt allerdings umstritten, inwiefern die spektakulären Zugänge dem chinesischen Fußball weiterhelfen. „Fußball ist in China sehr populär. Aber es ist seltsam, dass nur wenige Menschen Mitglied im Chinesischen Fußballverband sind“, sagt Arie Haan, der seit drei Jahren chinesische Teams trainiert. Vielleicht ist es der große Name Anelka, der mehr Aufmerksamkeit bringt.

Im Arbeiterstadion allerdings wird der Franzose bei seinem ersten Ballkontakt im Smognebel ausgebuht. Hier tragen die auffallend jungen und oft weiblichen Fußballfans zumeist Jacken in den Pekinger Farben Grün und Gelb. Die meisten von ihnen haben sie bei einem der vielen illegalen Händler vor dem Stadion gekauft. 13 Euro kostet eine gefälschte Trainingsjacke von Nike, sieben Euro ein gefälschtes Trikot. Die Polizisten stehen daneben, sie interessieren sich nicht für die illegalen Händler und auch nicht für den Ticket-Schwarzmarkt, der um sie herum blüht. Brandon Chemers wundert sich schon länger, dass viele Karten gar nicht erst in den freien Verkauf kommen. „Die billigsten Tickets sind online schon nach einer Minute ausverkauft“, sagt der Fußballfan. Er vermutet, dass die Website mit den Schwarzmarkthändlern gemeinsame Sache macht. Weil die Karten für Beijing Guoan nur im Internet verkauft werden und dort ein chinesischer Personalausweis verlangt wird, sind ausländische Besucher vollkommen auf den Schwarzmarkt angewiesen.

Bereits 500 Meter vor dem Stadion wird man von den Tickethändlern angesprochen. „Piao, Piao“, sagt einer, „Karten, Karten.“ Manche Händler halten gleich 20 Stück in ihren Händen. Auf eine Karte für umgerechnet 35 Euro, die regulär 19 Euro gekostet hätte, verzichtet man noch. Beim dritten Händler gibt es dann ein Ticket für 24 Euro. Ein moderater Preis verglichen mit Europa, ein hoher Preis verglichen mit einer Saisonkarte für Beijing Guoan für 60 Euro.

Die Karte aber eröffnet den Eintritt zu einem unterhaltsamen und stimmungsvollen 3:2-Erfolg Beijing Guoans. Zu zwei krassen Abwehrfehlern, die jeweils zu Toren führen. Zu einem angeschlagenen und lustlos wirkenden Nicolas Anelka, der sein erstes Tor für Schanghai zum 2:2-Ausgleich erzielt. Und zu einer Roten Karte für Schanghais Kun Jiang nach einem Foul an der Mittellinie. Er wird von den 51 000 Fußballfans so verabschiedet, wie es sich in Peking offenbar einfach gehört: mit einem zünftigen Fluch.

Den Gästen aus Schanghai schallt der Fluch der Pekinger entgegen: „Sha bi! Sha bi!“

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