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Traurige Auftritte: Mario Gomez: Der Fremde in seinem Trikot

Mario Gomez, 23 Jahre alt und mit vielen Talenten gesegnet, ist für viele der beste Stürmer, den Deutschland derzeit hat. Eigentlich. Denn am Samstag hat er seine Serie trauriger Auftritte in der Nationalmannschaft fortgesetzt.

Michael Ballack, der Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist durchaus gesegnet mit einem Gespür für die Emotionen der Masse, im Zweifel aber interessiert es ihn nicht, was alle Welt von ihm erwartet. Ballack ist kein Allerweltstyp, das hat er auch am Samstag in Leipzig bewiesen, als er sich einen Affront gegen die Masse leistete – weil er genau das tat, was ein Kapitän tun muss. Etwas mehr als eine Stunde war im WM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein vorüber, das Endergebnis von 4:0 bereits hergestellt, und seine Spannung bezog der Restabend nur noch aus einer einzigen Frage: Schießt Mario Gomez doch noch ein Tor, sein erstes für Deutschland seit mehr als einem Jahr? In der 68. Minute wurde diese Frage abschließend beantwortet. Gomez nahm den Ball an der 16-Meter-Linie mit der Brust an, drehte sich zum Tor – und jagte den Ball volley in den Himmel über Leipzig. Das war definitiv zu viel. Die Zuschauer begannen zu pfeifen. Michael Ballack aber stellte sich entschlossen gegen die öffentliche Meinung. Er nahm einen Umweg in Kauf, lief zu Gomez und klatschte ihm gegen die Brust: „Komm, weiter!“, sagte er. „Scheiß drauf!“

An Zuspruch hat es Gomez nicht gemangelt an diesem Abend von Leipzig, an dem sich die Wut des Publikums ausschließlich gegen ihn richtete – wider die menschliche Natur eigentlich, die in solchen Fällen eher zum Mitleiden mit dem Gepeinigten neigt. „Es ist ein bisschen unglücklich, gegen einen Spieler zu pfeifen, der seiner Form bei uns hinterherläuft“, sagte Bundestrainer Joachim Löw. Die Kollegen immerhin kümmerten sich rührend um Gomez, während des Spiels genauso wie danach. Michael Ballack ließ schon in der ersten Halbzeit eine große Chance ungenutzt, weil er den Ball zum schlechter postierten Gomez spielen wollte. Solche Versuche der Solidarität führen selten zum Erfolg, der Krampf ist bis auf die Tribüne zu spüren. „Wir sollten nicht alles auf ihn konzentrieren“, sagte Gomez’ Stuttgarter Kollege Thomas Hitzlsperger. „Wir werden jetzt nicht alle zu ihm aufs Zimmer gehen und ihn trösten. Um Gottes willen. Er ist selbst stark genug.“

Mario Gomez, 23 Jahre alt und mit vielen Talenten gesegnet, ist für viele der beste Stürmer, den Deutschland derzeit hat. Eigentlich. Das Spiel in Leipzig aber hat die Zweifel an Gomez weiter genährt. Auf 13 Länderspiele am Stück hat er nun die Serie verlängert, in denen er nicht getroffen hat – dass er gleichzeitig für den VfB Stuttgart Tor um Tor erzielt, 14 allein in der Bundesliga, macht die Sache nur noch mysteriöser. „Für mich ist das unerklärbar“, sagte Gomez. „Ich mach nichts anders als im Verein. Aber es ist wie verhext, ich weiß nicht, warum.“

Nach 17 Sekunden köpfte Gomez zum ersten Mal am Tor der Liechtensteiner vorbei. Der Ton des Abends schien damit vorgegeben. „Im Gegenteil“, sagte Gomez, „ich dachte, dass ich gut im Spiel bin.“ Genau diese Denkweise lässt Hitzlsperger hoffen, dass sein Kollege „in seiner positiven Art“ bald wieder treffen werde. Schon am Mittwoch wird er wohl die nächste Chance erhalten. Bundestrainer Löw deutete an, dass Gomez in Cardiff gegen Wales erneut in der Anfangself stehen wird. „Er hat mir nach dem Spiel gesagt, dass ich das Tor jetzt gegen Wales mache“, berichtete Gomez. Es spricht für Löw, dass er dem Kriselnden nicht das Vertrauen aufkündigt. So hat er es in einer ähnlichen Situation auch mit dem kriselnden Miroslav Klose getan. Alles andere würde nicht zu Löw passen.

„Mario hat ein dickes Fell“, sagte der Hoffenheimer Andreas Beck, der Gomez aus dem VfB-Nachwuchs kennt. „Er ist mental stark.“ Diese Stärke aber wurde bis zum Zerreißen strapaziert. Gomez fehlte es nicht an Engagement, er folgte instinktiv dem Gespür für gefährliche Situationen, das einen guten Stürmer auszeichnet: Aber dann köpfte er am Tor vorbei; kam einen Schritt zu spät; wurde im letzten Moment geblockt; versuchte einen Fallrückzieher und trat anderthalb Meter über dem Boden am Ball vorbei. „Ich bin noch relativ cool, solange ich sehe, dass ich noch Chancen hab“, sagte Gomez.

Der Krise lässt sich nur schwerlich etwas Positives abgewinnen, sieht man einmal davon ab, dass sie irgendwann zu Ende geht. Jeder große Stürmer hat ähnliche Phasen erlebt. Man weiß, dass es so kommt, kann es aber offenbar nicht ändern. Trotzdem fragt sich Gomez, „ob ich was angestellt habe“. Die Frage ist berechtigt. Unmittelbar vor der Pause war er in einen Steilpass von Thomas Hitzlsperger gesprintet, er lief allein auf den Torhüter zu und hatte ihn quasi schon umkurvt, da pfiff der Schiedsrichter ihn wegen Abseits zurück. Aber Gomez hatte nicht im Abseits gestanden. Zum Unvermögen kam auch noch Pech hinzu.

Nach dem Abpfiff stand Gomez lange im Mittelkreis, auf der Suche nach einem klaren Gedanken. In seinem Kopf aber war „nichts, Leere eigentlich“. Als die Mannschaft ihre Ehrenrunde startete und die Spieler ins Publikum klatschten, trottete Gomez lustlos hinterher, den Kopf gebeugt wie ein gläubiger Katholik beim Empfang der Kommunion. Seine Hände rührten sich nicht. „Sie haben gewonnen und können eigentlich glücklich sein“, sagte er – über seine eigene Mannschaft. Sie, nicht wir. Mario Gomez fühlte sich irgendwie fremd.

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