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Die Gebrüder Boateng: Kevin-Prince (links) und Jerome.

© AFP

WM-Novum: Das Bruderduell der Boatengs

Beim ersten Bruderduell der WM-Geschichte kreuzen sich die Wege von Kevin-Prince und Jerome Boateng nur selten – allein die deutschen Fans empfangen den Neu-Ghanaer unfreundlich.

Die Schuhe protzig-gelb, fein ausrasiert die Haare, tätowiert bis zum Hals. So steht Kevin-Prince Boateng, 23, auf dem Rasen, jongliert mit dem Ball, es ist 20.02 Uhr, eine halbe Stunde bis zum WM-Spiel gegen Deutschland. Schon in der Aufwärmphase spürt er die Abneigung. Als sein Name und seine Rückennummer verlesen werden, ist ein Pfeifkonzert zu hören, das sogar die Vuvuzelas übertönt: „Number Twenty-three, Kevin-Prince Boa …“ – „Buuh!“

Alle Augen sind an diesem Mittwochabend auch auf ihn gerichtet, es gibt ja diese schmerzhafte Vorgeschichte mit Michael Ballack, die wirklich jeder bei dieser WM herunterbeten kann und deshalb nicht unnötig oft wiederholt werden muss.

Kevin-Prince Boateng – weißes Trikot, Kinnbärtchen – steht zwanzig Minuten später auf dem Platz, die Augen geschlossen. Die Hand liegt auf seinem Herzen, die Hymne Ghanas ertönt. Boateng singt nicht mit.

Dann die deutsche Hymne. Boateng – schwarzes Trikot, Kinnbärtchen – singt nicht mit. Dieser Boateng heißt Jerome, 21, geboren ebenfalls in Berlin. Sie sind Brüder, auch deshalb ist es ein besonderer Abend, so ein Bruderduell gab’s noch nie in der WM-Geschichte.

Jerome spielt hinten links bei den Deutschen, Kevin-Prince spielt – ausgerechnet – auf der Ballack-Position, nur eben für Ghana. Das defensive Mittelfeld ist sein Revier, und er markiert es schnell: Körpertäuschung, den Ball hinterm Hacken geführt, Pass – Torchance. Da sind erst fünf Minuten gespielt.

Jeder deutsche Spieler hat ihm vor dem Anpfiff die Hand gereicht, sie alle sprechen eine Sprache. Nur mit seinem Bruder hat er energisch eingeschlagen, obwohl sie eigentlich verkracht sind.

So ist auch sein Spiel. Energisch und präsent, nicht nur wegen der Schuhe. Er fordert den Ball, schickt die Kollegen herum, schlägt über 30 Meter haargenau Pässe auf den Fuß und kann sehr schnell Tempo mit dem Ball aufnehmen und so Chancen einleiten gegen die Deutschen. Für die spielte er noch im Februar vor einem Jahr – für die U21-Auswahl, gemeinsam mit seinem Bruder. Kevin-Prince will es den Herren in schwarz zeigen, versucht es sogar mit dem Kopf und volley. Vergeblich. 0:0, Halbzeit.

Er ist mit 23 Jahren eine Leitfigur, die in Deutschland den Namen „Rüpel“ trägt, aber in der ersten Halbzeit nicht einmal zur Grätsche angesetzt hat. Er gewinnt, obwohl er ja defensiver Mittelfeldspieler ist, wenig Bälle im Zweikampf, nicht am Boden und nicht in der Luft. Es wirkt, als wolle er brenzligen Situationen aus dem Weg gehen. Wenn Bastian Schweinsteiger vor ihm mit dem Ball auftaucht, zieht er lieber zurück. Bei einem Ausweichmanöver verletzt er sich, fasst sich immer wieder an den Oberschenkel, geht raus zum Arzt – und kehrt wieder zurück. Ghana braucht ihn, oder umgekehrt. Es ist ja erst sein viertes Länderspiel. Nicht wirklich viel für einen, der mal als Deutschlands bester Nachwuchsfußballer galt.

Nach einer Stunde bleibt Kevin-Prince oft im Mittelkreis stehen. Er bekommt wenig Pässe, schimpft mit den Kollegen. Sein kleiner Bruder – zehn Zentimeter größer als Kevin – hat gut zu tun, aber es läuft besser für ihn, Deutschland führt 1:0. In der 72. Minute darf Jerome unter die Dusche gehen, es gibt Applaus. Für ihn kommt Marcell Jansen.

Dann ist Schluss. Die Deutschen jubeln. „Ich freue mich, dass mein Bruder auch weitergekommen ist“, sagt Jerome. Gratulieren konnte er ihm nicht. Kevin-Prince wütet nach dem Abpfiff an der Ersatzbank, brüllt, tritt um sich, er ist sauer. Und ein bisschen allein. Die Kollegen nehmen ihn, den in Berlin geborenen, in den Arm. Kevin-Prince winkt zu den Fans von Ghana, kann wieder lachen und geht – als Letzter aus dem Stadion.

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